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NSU in Bayern (Teil 1)

Blut und Ehre

Man müsse die „ideologieprägende Wirkung von ,Blood & Honour‘ genau beleuchten, um den NSU-Terror zu verstehen“ sagt der Rechtsextremismus-Experte (und taz-Autor) Andreas Speit als Sachverständiger im Oktober 2012 bei einer Anhörung des Sächsischen Landtags.

Denn bei dem seit den 1980-er Jahren von England aus expandierenden internationalen, neonazistischen und militanten „Blood & Honour“ (B&H)-Netzwerk handelt es sich mitnichten „nur“ um eine subkulturelle Erscheinungsform der rechten Musikszene, die Rechtsrock erfolgreich als Propagandainstrument einsetzt. B&H propagiert auch terroristische Strategien, z. B. das Konzept des „leaderless resistance“ („führerloser Widerstand“), unter anderem im „Blood & Honour“ Magazin der deutschen B&H-Division, Ausgabe 2/1996.

Auch die drei späteren Mitglieder des Kerns des NSU-Netzwerks sind in Jena zu dieser Zeit Teil dieser Szene. In Bayern finden ab dem Jahr 1994 viele „Blood & Honour“-Konzerte statt. Diese Konzerte werden von der Szene zum intensiven Austausch untereinander genutzt. Trotz strafrechtlich relevanter Vorkommnisse werden sie von den Behörden nicht konsequent unterbunden. In Bayern ist das „Blood & Honour“-Netzwerk mit den Sektionen „Franken“ und „Bayern“ vertreten. Die „Sektion Bayern“ hat ihren Sitz im Raum Amberg, wird von Thorsten K. (Name bekannt) geleitet und veröffentlicht ein Fanzine: „United White & Proud“. Die „Sektion Franken“ ist eine Gruppe um Bernd P. (Name bekannt, Bamberg), Matthias G. (Name bekannt, Schwabach) und die Neonaziband „Hate Society“, bei der auch der heutige „Freies Netz Süd“-Kader Matthias Fischer – wenn auch nur bei vereinzelten Anlässen – getrommelt haben soll.

„Blood & Honour“ verfügt zu dieser Zeit mit „Combat 18“ gewissermaßen über einen „bewaffneten Arm“. Anlässlich von Konzerten in Deutschland sollen terroristische Aktionen und koordinierte Aktionen in ganz Europa besprochen werden. In den 1990-er Jahren werden sowohl in diversen „Blood & Honour“-Magazinen als auch von „Combat 18“ Anschläge auf Migrant_innen propagiert: „Vor allem müssen wir die Einwanderer selbst angreifen“ zitiert das ARD-Magazin „Monitor“ im November 2011 aus „Combat 18“-Schriften. In den „Blood and Honour“-Terroranleitungen steht, man solle keine Bekennerschreiben hinterlassen, in kleinen Zellen arbeiten, Nagelbomben einsetzen und Listen von möglichen Opfern erstellen. In den bayerischen Verfassungsschutzberichten von 1996, 1997, 1998 und 1999 werden das internationale „Blood & Honour“-Netzwerk und seine zwei bayerischen Sektionen nicht erwähnt.

Nürnberg, Aschaffenburg, Coburg

Laut Presseberichten reist Mitte der 90er Jahre die frühe Kerntruppe der „Kameradschaft Jena“, zu der auch Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe zählen, zu einem Kameradschaftsabend nach Nürnberg. Mit dabei sind Zeugenaussagen zufolge auch der wegen Unterstützung der NSU inhaftierte Ralf Wohlleben sowie André K.(Name bekannt). Unter „Polizeischutz“ sei die thüringische Neonazi-Truppe noch am selben Abend zurückgefahren, heißt es in einem Artikel des Fachinformationsdienstes „Blick nach rechts„.

Am 29. Februar 1996 kontrollieren Polizeibeamt_innen mehrere Autos auf dem Weg zum neonazistischen „Hans-Münstermann-Gedenkmarsch“ im unterfränkischen Aschaffenburg. Im Wagen von Ralf Wohlleben fahren auch Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und André K. mit. Der Rudolstädter THS-Führungskader Mario Brehme sitzt mit dem Bayreuther Neonazi Sandro T. (Name bekannt) in einem Fahrzeug. Beim Aufmarsch nehmen führende Neonazis aus Thüringen, Hessen, Baden-Württemberg und Bayern teil, darunter Jürgen Schwab (heute FNS), der heutige NPD-Landesgeschäftsführer Axel Michaelis (damals Pommersfelden) und der frühere „Wiking-Jugend“- Aktivist Axel Schunk (damals Stockstadt). Schwab, der spätere NPD-Bundespressesprecher Klaus Beier und der heutige NPD-Bundesvorsitzende Holger Apfel und Andere sprechen zu den Teilnehmenden.

Am 3. August 1996 sind mutmaßliche Mitglieder und Unterstützer des NSU bei einem Neonazi-Konzert in Ebersdorf bei Coburg anwesend. Wie der „Mitteldeutsche Rundfunk“ (mdr) im Jahr 2012 veröffentlicht, habe Tino Brandt dieses Konzert und andere Skinhead-Konzerte „quasi für den Verfassungsschutz“ mitorganisiert. Der Geheimdienst sei dann bei den Konzerten vor Ort gewesen, das Konzert bei Coburg hätte sogar mit Einverständnis des Verfassungsschutzes länger dauern dürfen.

Der ‚Einblick Nr. 2‘

Im September 1996 beantragt die Bundesanwaltschaft Durchsuchungsbeschlüsse gegen die damals bekannten nordrhein-westfälischen Neonazis Andree Zimmermann, und Thomas Kubiak sowie gegen Kai Dalek und den Münchner Neonazi Ralf K. (Name bekannt, Macher der „Janus BBS“-Mailbox im „Thule-Netz“). Der „Spiegel“ berichtet später, dass die betroffenen Neonazis über ein Postfach in den Niederlanden eine Broschüre mit Privatadressen und Telefonnummern von Politiker_innen, Jurist_innen und Polizist_innen verbreiten wollten – gewissermaßen einen „Einblick Nr. 2“. Dalek, so steht es im 2012 von der Thüringer Landesregierung veröffentlichten „Schäfer-Gutachten“, soll zu der Zeit neben dem heutigen NPD-Bundesvorstandsmitglied Frank Schwerdt ein führender Aktivist der Thüringer Kameradschaftsszene gewesen sein.

Heilsberg und München

Unter anderem das fränkische „Widerstand“-Fanzine dokumentiert im Jahr 1997 die engen thüringisch-bayerischen Neonazibeziehungen: Die Amberger Band „Südsturm“ erzählt im Interview von vielen Konzerten in Heilsberg (Thüringen) und Lichtenfels (Oberfranken). In Heilsberg hat der „Thüringer Heimatschutz“ eine Gaststätte angemietet. Ein Bericht schildert die Fahrt bayerischer Neonazis zu einem dortigen Konzert, dessen Einnahmen an den militanten THS gehen. Im Amberger Neonazi-Heft „United, white & proud“ kann mensch im Frühjahr 1997 lesen, dass die bayerischen „Kameraden“ aus Amberg nach Anaberg Buchholz gefahren sind, dass sie bei anderer Gelegenheit in Chemnitz bei Hendrik L. übernachtet haben und dass bei einem Konzert am 20.Dezember 2006 im Clubheim „MC The Clan“ drei bayerische Bands gespielt hätten und dazu „60 Leute aus Bayern angereist“ seien.

Am 1. März 1997 marschieren in München über 5000 Neonazis und extrem Rechte gegen die sogenannte „Wehrmachtsausstellung“ des Hamburger Instituts für Sozialforschung auf. Im langen Zug der Neonazis, der kurz vor Erreichen des Marienplatzes von tausenden beherzten Nazigegner_innen gestoppt werden kann, marschieren auch Uwe Mundlos und Uwe Bönhardt mit. Uwe Mundlos ist mit seiner schwarz-weiß-roten Fahne Teil des „Fahnenblocks“. Auch in anderen Städten, in denen Neonazis zu dieser Zeit gegen die Ausstellung aufmarschieren, sind die Neonazis der „Kameradschaft Jena“ um Uwe Mundlos, Uwe Bönhardt, Beate Zschäpe und André K. dabei.

Im „Thule-Netz“ schlägt Kai Dalek derweil militante Töne an. Er speist Texte irischer Nationalisten ins Computernetzwerk ein, arbeitet an der „Schaffung einer nationalrevolutionären Kampffront in Europa gegen den Imperialismus“ und verharmlost die Attentate des Berliner Neonazis Kay Diesner. O-Ton Dalek:

„Das hätten sich die Schreibtischtäter mit Sicherheit nicht träumen lassen, wie manche Kameraden auf Verbote reagieren können. Daß da Kameraden mal die Sicherung durchbrennt, ist verständlich und von meiner Seite nachvollziehbar (…) Wie sagte Kamerad Christian Worch vor ein paar Jahren sinngemäß: Sie werden uns auf Knien bitten, daß wir die Kameraden wieder zurückpfeifen, damit es nicht weitere Tote geben wird.“

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