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NSU in Bayern (Teil 1)

Uwe Mundlos mit Fahne beim Neonaziaufmarsch am 1. März 1997 in München.  Screenshot eines a.i.d.a.-Videos. Copyright: a.i.d.a.Die Mitglieder des rechtsterroristischen „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) und ihres Umfeldes unterhielten vielfache Kontakte zur bayerischen Neonaziszene. Einige bayerische Rechte gehörten dem Unterstützernetzwerk des NSU an. Und Uwe Mundlos stand zumindest vor seinem Abtauchen in direktem Kontakt zu Kai Dalek, einem mutmaßlichen V-Mann des bayerischen Verfassungsschutzes.

Es begann mit einer Verharmlosung: Im Jahresbericht 2011 des bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz (LfVS) heißt es auf Seite 120:

„Über Mitgliedschaften bayerischer Rechtsextremisten im THS oder unmittelbare Verbindungen zur ‚Zwickauer Terrorgruppe‘ konnten bislang keine konkreten Erkenntnisse gewonnen werden“.

Nicht zuletzt diese Falschbehauptung war Anlass für a.i.d.a., in einer Artikelserie den vielen Verbindungen des NSU nach Bayern nachzuspüren, wo das rechtsterroristische Netzwerk in den Jahren 2000 bis 2005 fünf Menschen erschossen hat.

Teil 1: Vor der Mordserie (1994 bis 1998)

Am Abend des 6. August 1994 feiert der bis heute mit der bayerischen Neonaziszene vernetzte Kuno S. (Name bekannt) aus Perasdorf bei Straubing mit 30 „Kameraden“. Sie versammeln sich zuerst ab 17.00 Uhr im „Kleinen Café“ in Straubing und werden von dort konspirativ zur Donaustaustufe Oberau bei Freising gelotst. Im „kleinen Café“ haben Neonazis fünf Tage zuvor einen Polizeieinsatz ausgelöst: „Sieg Heil“-Rufe von Neonazis im ersten Stock sollen zu hören gewesen sein. Die Polizei trifft damals vor Ort auch den heutigen stellvertretenden NPD-Landesvorsitzenden Sascha Roßmüller (Rain) an.

Zu ähnlichen Neonazifeiern kommt es zu dieser Zeit an fast jedem Wochenende im Raum Straubing, an Weihern oder in Gaststätten. Die „Gäste“ bei Kuno S.‘ Feier kommen aus Deggendorf, Straubing, Salching, Perkam und Feldkirchen, es sind aber auch ein Dutzend Neonazis aus Thüringen angereist, einige schon am Vortag, wo in der Straubinger Kneipe „Bierteufel“ eine Art „Vorfeier“ stattfindet. Unter den Thüringern sind auch die späteren Mitglieder des NSU bzw. des NSU-Unterstützernetzwerks Uwe Mundlos aus Jena und Hendrik „Laschi“ L. (Name bekannt) aus Chemnitz.

‚Blut muss fließen‘

Kuno S. hat die Thüringer „Kamerad_innen“ bereits im Mai 1994 in Auerbach zu seiner Geburtstagsfeier eingeladen und diese nehmen nun die weite Anfahrt bis nach Niederbayern auf sich. Geboten wird ihnen nicht sehr viel: In einer Kiesgrube stehen Biertische und Bänke, es gibt Gegrilltes und vier 50-Liter-Fässer Bier. Aus einem Auto dröhnt Musik und zwar so laut, dass es einer Polizeistreife an der nahegelegenen Donausbrücke auffällt. Der Leiter der Polizeiinspektion höchstselbst, so heißt es später, soll sich dann auf die Lauer gelegt haben, er hört, wie Neonazis das Lied „Blut“ der Mannheimer Band „Tonstörung“ abspielen und mitgrölen:

„Wetzt die langen Messer auf dem Bürgersteig, lasst die Messer flutschen in den Judenleib (…) In der Synagoge hängt ein schwarzes Schwein, in die Parlamente werft die Handgranaten rein. Blut muss fließen knüppelhageldick und wir scheissen auf die Freiheit dieser Judenrepublik“.

Der polizeiliche Einsatzleiter lässt die Straubinger Feuerwehr anfahren und das Gelände ausleuchten. Polizeibeamt_innen nehmen 27 Neonazis fest und verbringen sie zum Teil zur Wache. Der bis heute mit der bayerischen Neonaziszene gut vernetzte Thomas H. (Name bekannt, Straubing) hat die „Blut“-Kassette im Rucksack. Die Polizei beschlagnahmt bei den Verhafteten viele rechte Tonträger, überprüft diese jedoch später nie auf eine strafrechtliche Relevanz hin. Im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens wegen Volksverhetzung verschickt das Kommissariat Staatsschutz bei der PI Straubing in der Folgezeit Vernehmungsbescheide durch die Republik. Zu Uwe Mundlos gibt es eine Rückmeldung der Jenaer Polizei: Der sei polizeibekannt, u. a. wegen „Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen“ und wolle an dem Abend nicht mitgesungen haben. Hendrik L. teilt mit, den Inhalt des Liedes habe er nicht verstanden und er befasse sich auch nicht „mit rechten politischen Inhalten und deren Musik“.

Kontakte und Kommunikation

Gegenseitige Kontakte der thüringer, sächsischen und bayerischen Neonaziszene sind zu dieser Zeit nicht selten. Im Süden Thüringens haben die Kameradschaftsaktivisten sich zumindest punktuell das geschaffen, was in neonazistischen Strategiepapieren „National befreite Zonen“ genannt wird, viele bayerische und vor allem fränkische Neonazis fahren in dieser Zeit zu Konzerten, Parties und politischen Veranstaltungen nach Thüringen oder auch nach Sachsen. Die zahlreichen Mitglieder thüringischer Kameradschaften reisen wiederum regelmäßig zu Aufmärschen und Veranstaltungen in den Süden.

Die politischen, aber auch die freundschaftlichen persönlichen Verbindungen der Neonaziszenene aus den benachbarten Bundesländern sind vielfach dokumentiert in den Skinzines, den kopierten Heftchen, die in den Jahren vor der allgemeinen Etablierung des world wide webs die überregionale Kommunikation der Naziszene ermöglichen. In den Jahren ab 1994 sind dies z. B. die bayerischen „Fanzines“ „Widerstand“, „Spinnzine F.D.J“,“Lokalpatriot (Bamberg), „Brauner Bär“ (Schwabach) und „Der fränkische Beobachter“. Oft werden darin Fahrten der Neonazis nach Thüringen beschrieben und regelmäßig die Kamerad_innen gegrüßt. Die thüringischen Neonazis revanchieren sich mit Grüßen nach Bayern in den Thüringer Pendants „Trabireiter“(Erfurt), „Doitsche Musik“ (Erfurt), „Wachturm“ (Chemnitz), „Roiberpost“ (Eisenach) und „Foier-Frei“ (Chemnitz). In Bayern kursieren 1994 zudem die „Nachrichten aus dem weissen Widerstand/ALLBUS“. Neben Texten wie „Bist du arisch?“ und „Ist militärischer Widerstand legitim?“ gibt es auch Anleitungen zu terroristischen Aktionen: „Chemie – Selbstzünder-‚Mollie‘ zum Selbermachen“.

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