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NSU in Bayern (Teil 1)

Kai Dalek und das ‚Thule-Netz‘

Der Computerfachmann Kai Dalek aus Oberrodach bei Kronach ist damals einer der wichtigsten Kader der neonazistischen „Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front“ (GdNF), soll zeitweise sogar „Geschäftsführer“ der GdNF gewesen sein. Ihr Ziel ist der Wiederaufbau NSDAP-ähnlicher Organisationen. Im oberfränkischen Steinwiesen unterhält Dalek damals ein „Computer-Grafik-Design-Studio“, ein wichtiger logistischer Stützpunkt für die GDNF. Hier betreibt er als Sysop (System Operator, heute: Admin) „Undertaker“ auch die „Kraftwerk-BBS-Weissenbrunn“-Mailbox des bundesweiten neonazistischen Computernetzwerks „Thule-Netz“. Neben Thomas Hetzers „Widerstand BBS“ (Erlangen) ist Daleks Mailbox einer der wichtigsten Knotenpunkte des Mailboxverbunds. 1993 wird das „Thule-Netz“ bundesweit bekannt, weil Bombenbauanleitungen als Diskette in der Szene die Runde machen. Das „Thule-Netz“ wird verdächtigt, diese verbreitet zu haben.

Im Januar 1993 formuliert „Alfred Tetzlaff“ (richtiger Name: Thomas Hetzer) die Ziele seiner elektronischen Aktivitäten, die „Undertaker“ Kai Dalek ein Jahr später übernimmt:

„Die Mailbox hat ganz bestimmte Aufgaben zu erfüllen: 1. Herstellung und Verfestigung der Kontakte zwischen nationalen Gruppen. 2. Entwicklung einer Datenbank mit Informationen für nationale Aktivisten. Insbesondere soll die Herstellung von national gesinnten Publikationen durch Bereitstellung von Artikeln gefördert werden. 3. Minderung des Verfolgungsdruckes durch das System, indem Kommunikationsmöglichkeiten bereitgestellt werden, die vom System nicht – oder nur mit erheblichem technischen Aufwand – ausgespäht werden können. Es gibt hervorragende Kodierverfahren, deren Dekodierung für Unbefugte praktisch nicht möglich ist.“

Sensible Nachrichten werden mit PGP („Pretty Good Privacy“) verschlüsselt. Nur registrierte User, die einen monatlichen „Kostenbeitrag“ leisten, haben nach Eingabe eines Passwords Zugriff auf alle Boards mit Veranstaltungsterminen, Buchrezensionen und Propagandatexten, Anleitungen zum Bombenbauen (z.B. „Pyrotechnical Textfiles“) sowie auf die Telefonnummern weiterer Knoten.

‚Anti-Antifa‘

Bei der „Kraftwerk BBS“ hat Dalek Zugriff auf alle Nutzer_innen und speist Anti-Antifa-Meldungen über politische Gegner_innen ein. Aus der „Kraftwerk BBS“ können sich Neonazis zum Beispiel Fotos von Antifaschist_innen und Journalist_innen abrufen. Dalek hat schon für Michael Kühnen Anti-Antifa Organisationen geführt und soll für ihn die erste zentrale Erfassungsdatei für politische Gegner_innen erarbeitet haben. 1989/90 gehört Dalek neben Christian Worch und Berthold Dinter zum engeren Vorbereitungskreis der Rudolf-Hess-Gedenkmärsche.

1990 leitet er das sog. „ANTIKO“ („Antikommunistisches Aktionsbündnis“) zusammen mit dem bekannten fränkischen Aktivisten Günter Kursawe. Im Neonaziblatt „Neue Front“ rühmt sich diese Gruppe, mit „professionellen Mitteln“ linke Einrichtungen und Gruppen im Vorfeld einer Wunsiedel-Demonstration ausgespäht zu haben, darunter das „KOMM“ in Nürnberg und das „Bürgerhaus“ in Coburg. Die Neonazistin Silke W. (Name bekannt) vom „Nationalen Block“ gab in einer polizeilichen Vernehmung an, dass sie im Auftrag Kai Daleks 1993 in ein antifaschistisches Archiv in Nürnberg eingeschleust werden sollte.

Seit 1990 existiert mit dem „Deutschen Freundeskreis Franken“ (DFF) zuerst im Raum Aschaffenburg, dann in Teilen Frankens ein Aktionsbündnis regionaler Neonazi-Gruppen. Bei der DFF-Aktionswoche 1993 spricht Karl Richter (München), heute stellvertretender Bundesvorsitzender der NPD, über „Gedanken zu Großdeutschland“. Später stoßen Kai Dalek und der heute für das „Freie Netz Süd“ (FNS) in Bayern aktive Uwe Meenen (damals Würzburg, heute Berlin) sowie Jürgen Schwab (damals Bamberg, heute Autor für das FNS, Nürnberg) zum DFF. Sie gründen die Zeitschrift „Junges Franken“ mit Jürgen Sünkel (Kronach) als Schriftleiter und Dalek als „Koordinatorsleiter“. Meenen entwirft darin das Konzept einer „nationalistischen Revolution“.

Der ‚Einblick‘

1993/1994 hilft Dalek bei der Herausgabe der Anti-Antifa-Broschüre „Der Einblick“. Der „Einblick“ ist die bis dahin wichtigste Outing-Aktion einer überregional organisierten Anti-Antifa aus Rhein-Main, Hessen und Bayern. Als Vorbild gilt die Kampagne des rechtsterroristischen Netzwerks „Combat18“ (C18) in Großbritannien und den USA. Die Neonazis veröffentlichen 250 Namen politischer Gegner_innen, die „unruhige Zeiten“ verleben sollen. An der Erstellung sind neben Dalek u. a. auch Stephan Cumic (Wiesbaden), Ursula Müller (HNG-Vorsitzende), Eberhard Hefendehl (Drucker mit eigener Druckerei in Rodach) sowie der heutige „Freies Netz Süd“-Führungsaktivist Norman Kempken (Rüsselsheim, dann Nürnberg) beteiligt. Dalek kassiert sein erstes Verfahren wegen „Bildung einer kriminellen Vereinigung“.

1995 wirbt Kai Dalek in Anzeigen für das neonazistische Computer-Mailbox-Netz „Thule Netz“: „Alle Möglichkeiten des Widerstandes konsequent nutzen!“ Seine „Kraftwerk-BBS-Weissenbrunn“-Mailbox sei „24 h online“. Interessent_innen können sich auch an ein Postfach Daleks in Weissenbrunn wenden. Ob sich wohl auch die späteren NSU-Mitglieder in die „Thule“-Mailboxen des mutmaßlichen bayerischen V-Manns eingewählt haben?

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