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Die Geschichte von Rudolf Heß

 

 

Gefangenschaft und Mythos

Für das Naziregime ist das Verschwinden des Stellvertreters eine schwierige Situation. In der Bevölkerung kursiert eine ganze Reihe von Rudolf-Heß-Witzen, u.a. folgender: “Winston Churchill begrüßt Heß mit den Worten: ‘Also, Sie sind der Verrückte?’ Woraufhin Rudolf bescheiden antwortet: ‘Nein, ich bin nur der Stellvertreter.’” In Wahrheit sahen sich die beiden niemals. Alle öffentlichen Bilder von Heß werden in Deutschland entfernt, Publikationen entsprechend gesäubert. Der negative Kriegsverlauf hat dann schnell zur Verdrängung des spektakulären Verschwindens eines Mitgliedes der Reichsregierung geführt.

Rudolf Heß wird zusammen mit Hermann Göring, Albert Speer, Ernst Kaltenbrunner, Wilhelm Keitel, Alfred Jodl, Joachim von Ribbentrop und anderen in Nürnberg angeklagt. Anfangs simuliert er totale Amnesie. Sicherlich ist er geistig gestört, aber das völlige Vergessen nimmt ihm kein Psychologe ab. Selbst im Gespräch mit Hermann Göring tut er so, als ob er den Mann nicht kennen würde. Im Prozess gibt er später zu, dass er simuliert hat und in Wirklichkeit nur Konzentrations-Störungen habe. In seinem Schlusswort betont er seinen Stolz, mit dem Genie Adolf Hitler eng zusammengearbeitet zu haben und endet mit dem Satz “Ich bereue nichts!”. Heß entgeht der Todesstrafe und wird zu lebenslanger Haft verurteilt, die Strafe wird im Spandauer Gefängnis vollstreckt. Nach der Entlassung Albert Speers, der 20 Jahre abgesessen hatte, ist er der einzige Insasse dieses Gefängnisses, dessen Bewachung sich die alliierten Siegermächte auch während des kalten Krieges teilen. Im Lauf der Jahrzehnte gibt es immer wieder Bemühungen, eine Freilassung zu erreichen. Manche sind humanistisch orientiert und argumentieren mit Heß’ hohem Alter und der langen Haftdauer. Andere instrumentalisieren ihn, um neonazistische oder rechtskonservative Vorstellungen über die NS-Vergangenheit zu propagieren. Heß’ Familie gehört zu letzteren und tut ihm damit bestimmt keinen Gefallen. Heß selber ist seelisch instabil und wird im hohen Alter immer gebrechlicher. 1987 erhängt er sich im Alter von 92 Jahren.

ie seitdem von extrem rechten Kreisen verbreiteten Mord- und Verschwörungstheorien sind sicher nicht ernst zu nehmen (siehe Seite 13). Ob die extrem lange Haft von 46 Jahren nun gerecht war, kann sicherlich verschieden bewertet werden. Heß war allerdings bis zuletzt ein unverbesserlicher Nationalsozialist und an führender Stelle an massivsten Verbrechen beteiligt.

Der Mythos um Heß, beziehungsweise überhaupt die Möglichkeit, ihn zu kreieren, ist auch davon geprägt, dass er Nazideutschland verlassen hat, bevor die Vernichtungslager gebaut wurden und er “nur” als geistiger und politischer Vorbereiter eine Rolle spielt. Andererseits geistert die Mär von der “Friedensmission” durch die deutschnationalen Köpfe. Eines kann man allerdings sicherlich sagen: Heß gehört zu den ganz wenigen Deutschen, die für ihre Verbrechen wirklich zahlen mussten. Andere, deren Rolle mindestens ebenso wichtig und verbrecherisch war, kamen besser weg. Wer allerdings glaubt, Mitgefühl mit Heß haben zu müssen, sollte seine typische Nazikarriere vom Freikorpskämpfer bis zum rassistischen Volksverhetzer nicht übersehen.

Zum Autor

Der Autor Michael Fehrin ist Referent des Antirassistischen Bildungsforums Rheinland (ABR) und steht für Vorträge zur Verfügung.
Kontakt über bildungsforum (at) gmx.de

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