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Der Mythos Rudolf Heß

Image Dieser Artikel ist im Sommer 2004 in der Ausgabe #17 der antifaschistischen Zeitschrift Lotta erschienen.

Der “ermordete Friedensflieger”

Der Mythos Rudolf Heß

von Alexander Brekemann 

Bei der unerschöpflichen Mythenbildung der extremen Rechten um ihren Star-”Märtyrer” Rudolf Heß stehen zwei Kernlegenden im Vordergrund: Die Mär vom “Friedensflug” sowie die von der angeblichen Ermordung des Hitler-Stellvertreters. Anhand eines Artikels im zwischenzeitlich eingestellten publizistischen Flaggschiff der “Freien Kameradschaften”, dem “Zentralorgan” (“Zorg”), soll exemplarisch “Der Fall Hess”[1] aus Sicht der extremen Rechten nachgezeichnet werden.
 

Die grundlegende Legende ist der Englandflug von Heß am 10. Mai 1941, bei dem es ihm wohl um die Verhinderung eines für das “Dritte Reich” auf längere Sicht schwer zu bestehenden Mehrfrontenkrieges ging. Sollte England dem “Friedensangebot” nebst erpresserischen Forderungen (siehe Seite 10) nicht zustimmen, würde man unbarmherzig gegen die Briten vorgehen. “Der Reichsführung war bewusst, dass eine große Gefahr für alle Völker Europas an der Ostgrenze des Deutschen Reiches lauerte und sich zum großen Schlag rüstete”, so das “Zorg”. “Es galt, den Weltbolschewismus niederzuhalten”. Deshalb sei von Hitler eine “Beendigung des unnötigen weißen Bruderkrieges, der nur einen hohen Blutzoll gemeinsamen Blutes bedeuten würde” angestrebt gewesen. Churchill habe aber abgelehnt, Heß eingekerkert und damit, wie es “Volkssänger” Frank Rennicke sang (siehe Seite 14), “den Weltenbrand entfacht”, also den zweiten Weltkrieg eigentlich erst entfesselt. Und dass, so das “Zorg”, obwohl Heß “in seinem Gepäck […] die umfangsreichsten Friedensangebote und weitreichendsten Zugeständnisse” mitgebracht habe, “die die Reichsregierung jemals an die britische Regierung sandte.” Aber das “Zorg” ‘weiß’ noch mehr darüber, was Heß im Köfferlein hatte: “Es soll auch einen weitreichenden Lösungsvorschlag bezüglich der europäischen Juden gegeben haben, der bei einem Friedenschluß das Überleben der vielen hunderttausend Juden in deutscher Obhut sichergestellt hätte.” Diese Unterlagen seien “in die Hände des britischen Geheimdienstes” gefallen und “bis heute der Weltöffentlichkeit vorenthalten worden”.

Diese abstruse Darstellung beinhaltet so ziemlich alles, was Heß zu einem Star-Märtyrer aufsteigen lässt und gleichzeitig den NS entlastet. Die Briten seien nicht ‘nur” schuld am “Weltenbrand” (“Wenn nämlich die kriegerischen Handlungen mit England beendet worden wären, dann hätte sich Stalin niemals getraut, an der deutschen Ostgrenze einen Angriffskrieg vorzubereiten”), sondern auch am Schicksal der europäischen Juden.

“Das war Mord”

Nach der – für das “Zorg” erwartungsgemäß “völkerrechtswidrigen” – Anklage, Verurteilung und Inhaftierung von Heß, seien es auch “im Besonderen […] die Engländer” gewesen, die sich über die Jahrzehnte immer wieder gegen eine Begnadigung ausgesprochen hätten. Als dann “im Frühjahr 1987 […] Gorbatschow […] aus humanitären Gründen und als ein Zeichen der Menschlichkeit” Heß habe freilassen wollen, sei es für die Engländer gefährlich geworden. Schließlich hätten sie befürchten müssen, dass nach einer Freilassung von Heß alles herauskommen könnte. Und was macht so eine in die Enge getriebene englische Regierung? Sie beauftragt ‘natürlich’ ihren Geheimdienst, die Angelegenheit zu erledigen: “Ein Killerkommando des englischen Geheimdienstes MI5 in amerikanischen Uniformen (!) verschaffte sich […] Zugang zum Innenhof […] und lauerte Rudolf Heß im Gartenhäuschen auf. Dort erdrosselten sie ihn und täuschten einen Selbstmord vor”, weiß das “Zorg”. Dass Heß sich mitnichten erhängt habe, hätten “unabhängige deutsche Gerichtsmediziner” festgestellt, die ein “waagerecht um den Hals verlaufendes Würgemal” festgestellt hätten. Ein “Strangulationsmal” jedoch würde “bei einem Erhängten an einer Stelle am Hals aufwärts verlaufen, logischerweise dort, wo der Knoten des Seils zugezogen wird.” Also “Mord”…

Fazit

Mit den genannten Mythen umgeben, eignet sich Heß hervorragend für die Geschichtsklitterung der extremen Rechten. Ein Mann, der im Auftrag des Führers einen angeblichen Angriffskrieg Stalins, also den zweiten Weltkrieg verhindern, gar die europäischen Juden retten wollte, ein Mann der wegen seiner frühen Inhaftierung “selbst” in Nürnberg nicht des Völkermordes für schuldig befunden wurde, ein Mann, der bis zu seiner “heimtückischen Ermordung” niemals dem NS abgeschworen hat: Was will man mehr, um einem solchen Helden zu Ehren und zur Huldigung der Sache für die er stand, also den NS, als europaweit nach Wunsiedel zu mobilisieren um dort einmal jährlich den wohl wichtigsten neonazistischen Event überhaupt zu zelebrieren.

 

FUSSNOTE

[1] Ohne Autor: Der Fall Heß, in: Zentralorgan, Nr. 3, Juli 1998

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