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Der Kandidat, die Bombe und der Einzeltäter: Das Oktoberfest-Attentat vom 26. September 1980

aibDieser Artikel ist in der Ausgabe #60, 3/2003 des Antifaschistischen Infoblatts erschienen.

Der Kandidat, die Bombe und der Einzeltäter

Das Oktoberfest-Attentat vom 26. September 1980

Ein stummer Zeuge hat die Tatzeit genau festgehalten. Die große Uhr mit den schwarzen Zeigern am Taxistand „Brausebad“ blieb um 22.19 Uhr stehen: Ein scharfes Zischen, eine gelbrote Feuersäule, eine gewaltige Detonation – für einige Sekunden herrscht Totenstille. Dann beginnt das Stöhnen, Wimmern und Schreien der Verletzten, die verzweifelten Hilferufe von Menschen, die Freunde und Angehörige suchen. „Willkommen zum Oktoberfest“ steht über dem Tatort – dem Haupteingang zur Theresienwiese in München.

An diesem Freitagabend war Hochbetrieb auf der „Wiesn“. Der größte faschistische Terroranschlag der deutschen Nachkriegsgeschichte traf am 26. September 1980 eine ahnungslose, ausgelassene Menschenmenge auf ihrem Nachhauseweg. Die Opfer hatten keine Chance: Menschen wurden von der Druckwelle der Bombe durch die Luft geschleudert, andere grauenhaft verstümmelt. Abgerissene Beine und Gliedmaßen lagen in Blutlachen herum. „13 Menschen getötet, 211 zum Teil schwer verletzt“ lautet die schreckliche Bilanz in nüchternen Zahlen – viele Opfer leiden bis heute an den Folgen.

Die Toten und Verwundeten waren noch nicht abtransportiert, da begann schon der politische Streit. Es war Wahlkampfzeit. Der „Kandidat“ wollte in wenigen Wochen Kanzler werden. Längst hatte Franz Josef Strauß diese Wahl zur „Schicksalsfrage“ für Deutschland hochstilisiert: „Freiheit oder Sozialismus“ lautete die zentrale Parole des Unions-Kandidaten. Noch am Tatort suchte die CSU-Prominenz die Attentäter in der Linken. Motto: Linke Terroristen bomben unschuldige Oktoberfestbesucher in die Luft. Ein alter Strauß-Bekannter wetterte „das habt ihr von eurer linken Politik“.

Auch Franz Josef Strauß eilte um 1.00 Uhr nachts mit seiner Tochter zum Tatort. Doch der Kandidat selbst äußerte sich erst am nächsten Tag gegenüber einem Millionenpublikum. In der Bild am Sonntag warf Strauß dem FDP-Innenminister „schwere Schuld“ und „Verharmlosung des Terrorismus vor“. Gemeint war die RAF. Kurz zuvor hatte bereits der CDU Stahlhelm Alfred Dregger in einem Interview darüber spekuliert, dass die RAF in naher Zukunft einen Anschlag mit vielen Toten durchführen könnte. Propaganda in einem Szenario der „Strategie der Spannung“ vermischt mit dem Ruf nach einem „starken Mann“, der die Angst vor dem Terrorismus schürte.

Doch der Bombenanschlag auf der Wiesn trug eine ganz andere Handschrift: Unter den Toten befand sich der 21-jährige Geologiestudent Gundolf Köhler aus dem schwäbischen Donaueschingen. Die Münchner Abendzeitung titelte bereits am Samstagabend in einer Sonderausgabe: „Wiesn-Mörder sind Neonazis“. Damit war der Wahlkampfschlager der CSU zerstört. Statt einen starken Staat gegen die linke Gefahr beschwören zu können, geriet der Kandidat selbst in die Defensive. Hatte die bayerische Staatsregierung mal wieder die Gefahr des Rechtsextremismus verharmlost? Köhler war Mitglied und Anhänger der neonazistischen Wehrsportgruppe von Karl-Heinz-Hoffmann, robbte bei paramilitärischen Übungen durchs Gelände, hatte auch zu anderen faschistischen Organisationen und Personen Kontakt. Die Untersuchungen ergaben: Er hatte die Bombe in den Papierkorb am Eingang zur Wirtsbudenstraße gelegt. Als „halbverrückte Spinner, nicht eine gefährliche Organisation im eigentlichen Sinne“ hatte Bayerns Innenminister Gerold Tandler noch im Januar 1980 die Wehrsportgruppe Hoffmann bezeichnet. Sein Chef Franz Josef Strauß wetterte bereits im März 1979 im bayerischen Landtag gegen die Opposition: „Machen Sie sich doch nicht lächerlich, wenn sie gewisse Gruppierungen – Sie haben heute die Wehrsportgruppe Hoffmann genannt – durch Ihre ständigen, in der Öffentlichkeit vorgetragenen überdimensionierten Darstellungen überhaupt erst der bayerischen Bevölkerung bekannt gemacht und Ihnen dadurch eine Bedeutung zumessen, die sie nie hatten, nie haben und in Bayern nie bekommen werden.

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