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NS-Täter John Demjanjuk aus der Haft entlassen

Demjanjuk in Sobibor

Iwan Demjanjuk war nach Überzeugung des Gerichts von März bis September 1943 als Wachmann im Lager Sobibor tätig und dabei an allen wesentlichen Stationen des Vernichtungsprozesses beteiligt.  Sein Einsatz in Sobibor ab dem 23. 3. 1943 sei unter anderem durch eine Eintragung auf dem Dienstausweis Nr. 1393 belegt. Es gebe „keinen objektiven Zweifel, dass die Unterschrift im Ausweis nicht von Demjanjuk stamme und das Foto nicht den Angeklagten zeige“, hieß es in der Urteilsbegründung des Landgerichts. Transferlisten, Eintragungen in Waffenbücher und Aussagen ehemaliger Trawniki-Männer bestätigten ebenfalls die Anwesenheit eines am 3. April 1920 geborenen Iwan Demjanjuk im Vernichtungslager.

Von 29 779 Menschen, die zwischen dem 2. April 1943 und dem 23. Juli 1943 in 16 Transporten nach Sobibor verbracht wurden, sind mindestens 28 060 sofort ermordet worden. Nach dem Aufstand der Häftlinge vom 14. Oktober 1943, bei dem die Hälfte der SS- und Polizeiangehörigen getötet werden und 320 Gefangene fliehen konnten, machte die SS das Lager dem Erdboden gleich, versuchte alle Spuren zu verwischen und verlegte die „Trawniki“ aus dem Generalgouvernement ins Reichsgebiet. Demjanjuk war von Oktober 1943 bis in den Winter 1944/45 im oberpfälzischen Konzentrationslager Flossenbürg und anschließend im schwäbischen KZ Heuberg als Wachmann eingesetzt. Taten dort waren jeweils nicht Bestandteil der jetzigen Anklage.

Richter Ralph Alt wies in der Urteilsbegründung darauf hin, dass der Prozess überhaupt viele Erwartungen nicht erfüllen konnte: „Das Gericht hatte nicht die deutsche oder europäische Geschichte aufzuarbeiten, sondern ein Schwurgerichtsverfahren zu führen“.

Urteil und Strafzumessung

Am Ende dieses Verfahrens war sich die Kammer sicher: Demjanjuk hat sich in Sobibor in sechzehn Fällen der Beihilfe zum Mord schuldig gemacht. Die Massentötung der Jüdinnen und Juden durch Vergasen sei Mord, die Mordmerkmale der Grausamkeit seien genauso erfüllt wie die „niederen Beweggründe“, der „Rassenhass“. Demjanjuk habe „in Kenntnis aller Tatumstände“ gehandelt und sich dabei weder in einem Notstand noch in einem vermeintlichen Notstand befunden. Eine Flucht aus Sobibor sei für den Angeklagten möglich gewesen, 1000 von 5000 „Trawniki“ seien geflohen.

Angesichts des Grauens in Sobibor, so ist in der Urteilsbegründung zuerst festgehalten, sei „schwer denkbar, dass etwas anderes als die Höchststrafe von 15 Jahren in Frage kommt, auch angesichts der hohen Zahl der Opfer“. Mit der Ankündigung eines „Hungerstreiks“ habe sich Demjanjuk über das Gericht und alle Prozessbeteiligten lustig gemacht, zumal er sich für alle sichtbar habe „jeden Tag Essen aus der Kantine bringen“ lassen. Bei der Strafzumessung, so schränkt die Kammer in der Begründung dann jedoch ein, sei darauf zu achten, dass nach der Entlassung noch ein Leben in Freiheit geführt werden könne. Angesichts des Alters des Angeklagten (91) sei diese Regel nur durch eine deutliche Strafmilderung einzuhalten.

Für die Mitwirkung an der Ermordung der Menschen aus den jeweiligen Transporten verhängte die Kammer in fünfzehn Fällen jeweils eine Einzelstrafe von vier Jahren, für die Mitwirkung an der Ermordung der Deportierten des sogenannten „Kindertransports“ von vier Jahren und drei Monaten. Am 11. Juni 1943 waren über 3000 Menschen aus Westerbork nach Sobibor deportiert worden, mehr als 1000 von ihnen waren jünger als vierzehn Jahre. „Unter Berücksichtigung aller Umstände“ sei daraus eine Gesamtstrafe von fünf Jahren zu bilden.

Der aus der U-Haft entlassene Demjanjuk und seine Verteidiger Busch (l.) und Maul (r.).  Foto: Robert Andreasch
Der aus der U-Haft entlassene Demjanjuk und seine Verteidiger Busch (l.) und Maul (r.). Foto: Robert Andreasch
Die Freilassung Demjanjuks aus der Haft

Demjanjuks Wahlverteidiger Ulrich Busch kündigte an, Revision gegen das Urteil beim Bundesgerichtshof einzulegen: „Dieses Gericht war vom ersten Tag an überzeugt, dass Herr Demjanjuk schuldig sei, was ich in 22 Befangenheitsanträgen dokumentiert habe (…) Ein solches Urteil ist nur eine Sekunde, eine Episode in der Geschichte“.  Busch fuhr auch am letzten Prozesstag noch fort, seine Verschwörungstheorien zu propagieren: „Für wieviel Nationen soll er denn noch Südenbock sein? Spanien, Frankreich, Niederlande?“ haderte er mit einer eventuell bevorstehenden neuen Anklage der spanischen Staatsanwaltschaft gegen seinen Mandanten. Vielleicht muss Iwan Demjanjuk, diesmal wegen seiner späteren Tätigkeit als Wachmann im oberpfälzischen Konzentrationslager Flossenbürg, ja schon bald wieder vor Gericht.

Zuerst jedoch wurde Demjanjuk aus der Untersuchungshaft entlassen. Am Ende der Urteilsbegründung verlas Richter Ralph Alt nämlich noch einen Beschluss, nachdem der am 10. März 2009 vom Amtsgericht München erlassene Haftbefehl gegen den Angeklagten aufgehoben würde. Es bestehe zum Einen „keine Gefahr mehr, dass sich der Angeklagte dem Verfahren entzieht“ und zum anderen sei „angesichts der verhängten Strafe eine über die zwei Jahre hinausgehende Untersuchungshaft nicht verhältnismäßig.“

Rob Fransman aus den Niederlanden verlor in Sobibor beide Eltern, Onkel, Tanten, Cousins und Cousinen. Als Nebenkläger hat er in München an über 80 Prozesstagen persönlich teilgenommen. Am Ende des Prozesstags wies er auf die vielen noch unbestraften NS-Täter hin: „Die deutschen Gerichte haben noch eine große Aufgabe – in den Altersheimen gibt es noch hunderte Demjanjuks“.

 

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