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24. Juni 1982

Nürnberg: In der Nacht zu Freitag werden der US-Amerikaner William Schenck (24), der amerikanische Soldat Rufus Surles (27) und der ägyptische Techniker Mohamed Ehap (21) beim rechtsterroristischen Attentat des Nürnberger Neonazis Helmut Oxner ermordet.

Der Täter

Der zur Tatzeit 26-jährige Helmut Oxner arbeitete als Dachdecker im Betrieb seines Vaters. Ab spätestens 1979 besuchte er viele Veranstaltungen der NPD und „Stammtischtreffen“ der JN, den Kontakt hatte unter anderem sein Arbeitskollege Stefan Körner hergestellt. Über die NPD bezog er Progandamaterial, das er auch verteilte. Am 29. Januar 1981 wurde Oxner zusammen mit seinen Freunden Edgar Wanderer und Rudolf Rother wegen antisemitischer Äußerungen von den JN-„Stammtischtreffen“ ausgeschlossen. Zusammen mit dem Fernmeldetechniker Rudolf Rother hatte Oxner im Jahr 1980 mehrere Juden_Jüdinnen (darunter Arno Hamburger, Vorsitzender der Isarelitischen Kultusgemeinde) und Türkei-stämmige Menschen in Telefonanrufen als „Judensau“, „Kameltreiber“ oder „Ausländersau“ bedroht. Einmal hatte Oxner dabei auch Bezug auf das tödliche Attentat von WSG Hoffmann-Akteur_innen auf Shlomo Lewin und Frieda Poeschke genommen: „Morgen geht es Dir wie dem Shlomo Lewin in Erlangen“, drohte er bei einem Anruf am Tag nach dem rechtsterroristischen Attentat von Erlangen. Am 23. Juni 1982, dem Tag vor Oxners Attentat, hatte die Hauptverhandlung gegen ihn und den 29-jährigen Rother deswegen begonnen. Rudolf Rother wurde zu einer 15 monatigen Haftstrafe ohne Bewährung verurteilt. Gegen Oxner sollte das Verfahren im Herbst fortgesetzt werden, denn er hatte sein bei der Polizei abgegebenes Geständnis, mit Rother rassistische und antisemitische Parolen und Hakenkreuze auf Häuser und die Nürnberger Stadtmauer geschmiert zu haben, im Prozess widerrufen und von einer „Erpressung“ durch die Polizei gesprochen.

Die Waffen

Anfang 1981 waren bei einer Hausdurchsuchung bei Oxner zwei illegale Schusswaffen beschlagnahmt worden. Das Verfahren wegen illegalen Waffenbesitzes wurde jedoch im August 1981 gegen eine Zahlung von 200 DM eingestellt. Die Behörde liess den Neonazi trotz des Waffenverfahrens und des Telefonterror-bzw. Volksverhetzungsverfahrens weiterhin vier Waffen (darunter zwei der späteren Mordwaffen) legal besitzen. Oxner, seit 1977 Schütze im Schützenverein „Rangierbahnhof“, hatte für die Waffen Waffenbesitzkarten von den Behörden ausgestellt bekommen. Nun wurden sie nicht eingezogen. Helmut Rietzer, der Leiter der Waffenbehörde, sagte dazu später in einem Interview: „Unser Endruck war, das ist zwar einer, der schreit, aber der schießt nicht.“

Das Attentat

Oxner steckt sich vier Faustfeurwaffen, rund 200 Schuss Munition, neonazistische Aufkleber der NSDAP/AO („Wir sind wieder da“, „Kampf den Judenparteien KPD, SPD, CDU, CSU, FDP“) ein. Die NSDAP/AO forderte zu diesem Zeitpunkt in ihrem „NS-Kampfruf“ ständig zum Begehen von Morden und anderen Gewalttaten auf. Oxner fährt nach seinem Arbeitstag im Dachdeckerbetrieb gegen 21.45 Uhr vom Haus seiner Eltern in Röthenbach mit dem Auto in die Innenstadt. Er parkt seinen Audi 80 in der Kartäusergasse. An der Ecke Königstraße/Luitpoldstraße fragt Oxner die Besucher_innen einer Imbissbude, ob sie Deutsche seien. Sie bejahen, es passiert nichts. Gegen 23.20 Uhr geht Oxner zur Kasse der dort in einem Keller gelegenen Diskothek „Twenty Five“. Das „Twenty Five“ ist zu der Zeit als eine der wenigen Nürnberger Diskos dafür bekannt, amerikanischen GIs (Soldat_innen der US-Streitkräfte) und POCs (people of colour) überhaupt Einlass zu gewähren.

Oxner zahlt nicht, sondern zieht seinen Smith&Wesson .357 Magnum-Revolver aus einer Umhängetasche und erschießt mit zwei Schüssen den zufällig dort stehenden William Schenck. Oxner schießt anschließend an einem Tisch drei mal auf Diskobesucher_innen, tötet dabei Rufus Surles und verletzt eine Frau mit koreanischer Staatsbürgerschaft schwer. Etwa zwei Dutzend Gäste befinden sich zu der Zeit auf dem Dancefloor. Ein Türkei-stämmiger Kellner rangelt mit Oxner um den Revolver und kann ihm diesen entwenden. Aber der Neonazi zieht zwei weitere Waffen (eine Wehrmachtspistole Luger 0.8 und eine Polizeipistole Walther PPK Kal. 7.65) aus der Tasche und schießt damit zweimal auf den Kellner, der dadurch am Hals und Ohr verletzt wird. Oxner läuft aus der Diskothek raus auf die Königstraße, er überkreuzt seine Arme und hält in jeder Hand eine Pistole (in seinem Auto wird später noch eine vierte Pistole sichergestellt werden). Er ruft: „Es lebe der Nationalsozialismus!“. Oxner fragt einen Passanten: „Sind Sie Türke“? Als dieser verneint, läuft er weiter. An der Klarakirche schießt Oxner auf eine Gruppe Menschen (es handelt sich um ausländische Techniker_innen, die zu einer Schulung in Nürnberg sind) und ermordet dabei Mohamed Ehap aus Ägypten, außerdem verletzt er dessen aus Libyen stammenden Kollegen durch einen Kopfschuss schwer. Zivilpolizist_innen, auf die Oxner stößt, ruft er zu: „Ihr braucht Euch nicht zu verstecken, ich schieße nur auf Türken!“. Oxner legt dann noch ruhig die Aufkleber der „Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei – Auslands- und Aufbauorganisation“ (NSDAP/AO) mit Hakenkreuzen auf der Straße aus. Er klebt einen der rot-weißen Sticker zudem auf ein parkendes Auto.

Elf Minuten nach Beginn des Attentatsgeschehens entwickelt sich in der Klaragasse ein Feuergefecht mit eingetroffenen Polizeibeamt_innen. Oxner verbarrikadiert sich in einer Hausnische, wird aber von einer Kugel in der Hüfte getroffen. Er ruft „Ihr bekommt mich nicht, Ihr Bullen!“ und begeht Suizid, in dem er sich, am Boden liegend, zweimal in die Brust schießt.

Die Naziszene

Im „NS-Kampfruf“ und in der (ebenfalls von Gary Lauck herausgegebenen) Zeitschrift „Le flambeau européen“ werden das Attentat Oxners als „Fanal“ gegen „Kanakenintegration“ und gegen die US-Army abgefeiert. Ihm sei es gelungen, „drei schwarze Soldaten [sic!] der amerikanischen Besatzungsarmee zu liquidieren.“ Mindestens eine der Tatwaffen hat Oxner von einem einschlägig vorbestraften Nürnberger Neonazi erworben. Bei einer Hausdurchsuchung bei dem 25-Jährigen werden Hitler-Porträts und Hakenkreuz-Armbinden gefunden.

Das Verdrängen

Der für rechtsterroristische Taten eigentlich zuständige Generalbundesanwalt übernimmt die Ermittlungen dennoch ausdrücklich nicht. Die Staatsanwaltschaft nennt Oxner gegenüber der Presse einen „Wirrkopf“ und betont dessen Schilddrüsenerkrankung („Solche Menschen werden leicht nervös und können unter Bluthochdruck leiden“). Der Nürnberger Polizeipräsident spricht davon, dass bei Oxner „keine Bereitschaft zur Gewalt erkennbar“ gewesen sei. Bei der Sonderkommission spricht man von Oxner als einem „Waffennarren“. Der Leiter der Sonderkommission, Erwin Hösl, wird vom Spiegel zitiert, Oxner sei ein „terroristischer Einzelgänger“ und „wie alle diese Leute nicht normal“. Wieder setzt, wie so oft nach rechtsterroristischen Attentaten in Deutschland, die behördliche Individualisierung und Entpolitisierung von Tat und Täter ein. Im Schlussvermerk der LKA-Ermittlungen heißt es, Oxner habe als „Alleintäter“ gehandelt, „es konnten keine Anzeichen festgestellt werden, dass er bei der Tatausführung oder -vorbereitung Mittäter bzw. Mitwisser hatte“.

Gedenken und Vergessen

In Nürnberg gibt es mehrere Gedenkversammlungen nach dem Attentat: Am Abend nach den Morden ziehen, organisiert vom Kulturladen Nord und vom Ausländerbeirat, mindestens 300 (nach einem anderen Bericht: 600) Menschen mit einem Fackelzug vom Tatort zum Polizeipräsidium und später zum Gewerkschaftshaus. Auf Transparenten fordern sie ein „Verbot der NPD und aller faschistischen Organisationen“. Der DGB hat einem Artikel zufolge einen Aufruf abgelehnt, Nürnberger Politiker_innen Redebeiträge verweigert. 30 Menschen versammeln sich zudem auf einer Mahnwache am Tatort. Der Nürnberger Stadtrat verspricht laut den „Nürnberger Nachrichten“ in einer Erklärung, alles dafür zu tun, „dass entsprechend dem Willen der großen Mehrheit der Nürnberger Bevölkerung deutsche und ausländische Mitbürger in Frieden, Solidarität und gegenseitiger Hilfsbereitschaft“ zusammen leben können. Laut einem anderen Artikel enthält die Resolution auch die Aufforderung an die Behörden, „gegen Extremisten von Links und von rechts“ mit allen gesetzlichen Mitteln vorzugehen. Die Journalistin Sabine Rosenbladt berichtet damals in der Zeitschrift „Konkret“ von ihrem Besuch beim verletzten Kellner Aliriza K.: „Keiner, keiner hat es für nötig befunden, ihn im Krankenhaus zu besuchen, außer seinen türkischen Freunden und ein paar schwarzen GIs, Stammgästen im ‚Twenty Five‘: Kein Stadtrat, kein Bürger, kein Linker.“

Die Antifaschist_innen, die in München das Gedenken an das Oktoberfestattentat organisieren, lassen zwei der beim Oxner-Attentat Verletzten auf der Gedenkkundgebung 1982 als Redner_innen auftreten.

Danach wird das Attentat von der Mehrheitsgesellschaft in Nürnberg (wie auch bundesweit) völlig verdrängt. Es gibt weder einen offiziellen Hinweis an der Königstorpassage, noch ein Denkmal oder städtische Gedenkveranstaltungen für die Ermordeten. Zum 20. Jahrestag des Attentats 2002 organisiert die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) eine Mahnwache am Tatort. Mehr als 35 Jahre nach der Tat beenden Aktivist_innen der antifaschistischen Initiative „Das Schweigen durchbrechen“ durch ihre Gedenkaktionen abermals das Verdrängen und bringen an der Stelle der damaligen Diskothek „Twenty Five“ mehrfach kleine Gedenktafeln an. Darauf heißt es u. a.: „Anstatt an die Ermordeten zu erinnern, die Tatumstände vollständig aufzuklären und das rassistische Motiv zu benennen, geriet das Verbrechen weitgehend in Vergessenheit.“

Siehe auch:

– Przybilla, Olaf: „Elf Minuten Terror“. In: Süddeutsche Zeitung, 12./13. März 2022, Seite

– Rosenbladt, Sabine: „Nürnberg, Germany“. In: Konkret, 08/1982.

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