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19. Dezember 1980

Erlangen. Shlomo Lewin und Frida Poeschke werden in ihrem Haus in der Ebrardstraße 20 durch ein neonazistisches, antisemitisches Attentat aus den Reihen der WSG Hoffmann ermordet.

Die Ermordeten:

Der 69-jährige Shlomo Lewin war vor den Nationalsozialist_innen nach Frankreich und Palästina geflohen. 1960 kehrte er nach Deutschland zurück. Der jüdische Verleger engagiert sich als Vorsitzender der Israelitischen Kultusgemeinde und als Geschäftsführer der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit in Franken. Die 57-jährige Frida Poeschke und Lewin leben seit 1964 zusammen, als Lewin aus Frankfurt/Main nach Erlangen hergezogen war. Als Publizist ist Lewin gegen die „Wehrsportgruppe Hoffmann“ (WSG), andere Neonazis sowie gegen Holocaustleugner_innen aktiv. Im August 1977 ist er Hauptredner einer antifaschistischen Kundgebung auf dem Hauptmarkt. In seiner Ansprache warnt er u. a. vor Karl-Heinz Hoffmann und fordert zum Handeln auf: „Also, liebe Bürger, wir dürfen Ihnen nicht die Gelegenheit geben, ihre Lügen weiterzuverbreiten. Wir müssen sie mundtot machen. Wir wollen keine körperliche Gewalt. Das wollen wir nicht. Aber wir wollen die Macht unserer Solidarität. Nur dadurch können wir erreichen, dass diese unwürdigen Geschöpfe aus unserer Mitte endlich zum Schweigen und zur Erfolglosigkeit gebracht werden. Es gibt für uns nur einen einzigen Ruf: Wehret diesen Anfängen, damit wir nicht wieder einen Faschismus in unserem demokratischen Deutschland bekommen.“

Die Wehrsportgruppe Hoffmann:

In der neonazistischen „Wehrsportgruppe Hoffmann“ wurden rund 400 Männer und Frauen paramilitärisch ausgebildet und auch bei brutalen Angriffen auf Linke eingesetzt. Am 26. September 1980, zweieinhalb Monate vor dem Mord an Lewin und Poeschke, verübten das WSG-Mitglied Gundolf Köhler und eventuelle Mittäter_innen den Bombenanschlag auf das Oktoberfest in München und ermordeten 12 Menschen. In Bayern hatte die Gruppe bis zu ihrem Verbot durch den Bundesinnenminister Gerhart Baum im Januar 1980 nichts zu befürchten gehabt. Der bayerische Innenminister Gerold Tandler (CSU) nannte sie „halbverrückte Spinner, nicht eine gefährliche Organisation im eigentlichen Sinne“.

Das Attentat:

Zwischen 18.45 und 19.04 Uhr lockt der Täter/locken die Täter_innen Shlomo Lewin an die Tür und erschiesst/ erschiessen ihn sofort mit vier Schüssen. Frida Poeschke eilt aus dem Wohnzimmer herbei und wird ebenfalls mit vier Schüssen ermordet.

Die Behörden, Medien und Öffentlichkeit:

Ein öffentlicher Aufschrei bleibt nach den Morden aus. Im Gegenteil: „Stattdessen standen die Lebensführung Lewins, Zerwürfnisse innerhalb der jüdischen Gemeinde sowie eine (fälschlicherweise unterstellte) Agententätigkeit im Zentrum der Berichterstattung wie im Fokus der Ermittlungen“, fassen Sebastian Wehrhahn und Martina Renner 2019 in einem grundlegenden Artikel zum Fall die Reaktionen zusammen. Ulrich Chaussy hat die damalige Berichterstattung recherchiert und zitiert sie in seinem Buch: „Die Nürnberger/Erlanger Nachrichten titelten über das Opfer: ‚Viele Fragezeichen im Leben des Shlomo Lewin‘, und schrieben: ‚Nach dem Tod des jüdischen Verlegers wird über Ungereimtheiten seiner schillernden Vergangenheit gerätselt‘, und: ‚Er will persönlicher Adjutant Dajans gewesen sein, doch der kann sich nicht erinnern. Gerüchte wuchern: War er Mitarbeiter des Geheimdienstes?’“.

Am Tatort liegt eine Sonnenbrille, die die Heroldsberger Firma Schubert – früher unmittelbare Nachbarin von Karl-Heinz Hoffmann, Franziska Birkmann und ihrem Untermieter Uwe Behrendt – speziell für Karl Heinz Hoffmanns Partnerin Franziska Birkmann angefertigt hat; außerdem Teile eines Schalldämpfers, wie ihn Karl Heinz Hoffmann zusammen mit dem WSG-Mitglied Behrendt gebaut hat. Trotzdem dauert es mehrere Monate, bis sich die polizeilichen Ermittlungen gegen die Neonazis richten. Erst im Mai 1981 wird der Wohnsitz von Hoffmann und Birkmann im Schloss Ermreuth durchsucht. Die am Tatort aufgefundenen Projektile sind durch eine früher verplombte und dann wieder scharfgemachte Beretta-Maschinenpistole verschossen worden. Eine solche Waffe gab es im Schloss Ermreuth, ebenso eine Perücke, wie sie Zeug_innen bei der Tatbegehung gesehen hatten.

Uwe Behrendt fährt nach dem Tattag zu Verwandten in die DDR und nach Österreich, schließlich flieht er zur „WSG Ausland“ nach Bir Hassan bei Beirut (Libanon), die Karl-Heinz Hoffmann nach dem Verbot der SWG dort aufbaute. Dort angekommen, befördert Hoffmann Behrendt zum „Oberstleutnant“ der WSG. Behrendt ist in weitere Mordfälle und Mordversuche verwickelt: Zusammen mit anderen WSG-Mitgliedern foltert er im Lager den in Ungnade gefallenen Neonazi Uwe Bergmann zu Tode. Bereits in Deutschland soll er versucht haben, den abtrünnigen Neonazi Ralf Rößner und dessen Freundin durch ein Bombenattentat zu töten. Im Beirut gibt es zudem noch einen bis heute ungeklärten Mord an der ebenfalls bei WSG und „Fatah“ in Ungnade gefallenen Liliane Kolditz. Im Mai 1981 soll Behrendt mit falschen Papieren noch einmal nach Europa eingereist sein, um einen Auftragsmord für die PLO zu begehen. Behrendt stirbt am 5. September 1981 im Libanon, ebenfalls durch einen Schuss. Ein Suizid? In den Ermittlungen konnte das letztlich nicht vollständig sicher geklärt werden.

Der Prozess:

Erst vier Jahre nach der Tat beginnt ein Prozess gegen Karl-Heinz Hoffmann und Franziska Birkmann. Hoffmann wird Mord (d. h. der Auftrag zum Mord) und Birkmann die Beihilfe an den Morden vorgeworfen. Unter anderem der WSG-ler Alfred Keeß belastet Hoffmann schwer. Er gibt an, Hoffmann habe ihn gefragt, ob er – getarnt mit Perücke und Sonnenbrille und unter Verwendung eines Schalldämpfers – einen älteren Juden nahe Ermreuth töten würde. Im April 1981 hatte Hoffmann dem geflüchteten Tatverdächtigen Uwe Behrendt noch ein Alibi gegeben. Im Verlauf des Prozesses schiebt er das Attentat dagegen allein dem zwischenzeitlich verstorbenen Behrendt als „Einzeltäter“ zu. Nach 186 Prozesstagen werden Hoffmann und Birkmann am 30. Juni 1986 bzgl. des Mordvorwurfs freigesprochen. Im Urteil heißt es: „Die Kammer hat sich bei den Sachverhaltsfeststellungen im Wesentlichen an die Einlassung des Angeklagten Hoffmann gehalten“. Ulrich Chaussy schreibt in seinem Buch dazu „Wie beim Oktoberfest-Attentat wurde Karl-Heinz Hoffmann auch im Falle des Erlanger Doppelmords am Ende juristisch vollständig entlastet – und die Tat einem Einzeltäter angelastet“. Für die Ermordung von Shlomo Lewin und Frida Poeschke ist also bis heute niemand zur Rechenschaft gezogen worden.

Quellen:

Ulrich Chaussy: Das Oktoberfest-Attentat und der Doppelmord von Erlangen – Wie Rechtsterrorismus und Antisemitismus seit 1980 verdrängt werden. Christoph Links Verlag (3. Auflage, 2020).

Sebastian Wehrhahn & Martina Renner: Spurensuche. In: der rechte rand, Ausgabe 193/2021.

Sebastian Wehrhahn & Martina Renner:„Ermordet von Händen von Bösewichten“ – der Mord an Shlomo Lewin und Frida Poeschke. In: Wissen schafft Demokratie, Ausgabe 6/2019.

Elke Graßer-Reitzner: Verbindung zum Oktoberfest-Attentat? Erlanger Mord wirft Fragen auf. In: Nürnberger Nachrichten, 17. Dezember 2020.

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