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Die „Identitäre Bewegung“ Amberg. Neofaschistische Schläger aus dem „Eisengau“?

Die „Identitäre Bewegung“ (IB) ist bundesweit auf dem absteigenden Ast. Im oberpfälzischen Amberg, wo es verstärkt zu rechten Straf- und Gewalttaten kommt, tritt indes eine neu gegründete Gruppe in Erscheinung. Ihr führender Aktivist war bis Ende letzten Jahres bei der Neonazipartei „Der III. Weg“ aktiv.

Von Jan Nowak

Angriffe auf die „Hutfabrik“

Am letzten Freitag im September ist in der „Hutfabrik“ im Amberg mehr los als normal, im Treffpunkt für alternative Kultur wird gefeiert. Zwischen einer Halfpipe für Skater_innen, selbstgebauten Möbeln und einigen Sofas haben mehrere Dutzend Jugendliche und junge Erwachsene ihren Spaß. Als einige von ihnen nach draußen zum Rauchen gehen, entdecken sie an der Tür Aufkleber der extrem rechten „Identitären Bewegung“ (IB), auch ein parkendes Auto ist damit vollgeklebt. Die Macher_innen der „Hutfabrik“ sind zwar etwas verunsichert, aber nicht überrascht. Zuletzt sind in der Stadt immer wieder Flugblätter und Aufkleber der IB aufgetaucht und da sich der einzige selbstverwaltete Treffpunkt für alternative Kultur in Amberg klar gegen Nationalismus, Rassismus und Sexismus positioniert, ist man Teil des Feindbildes der extremen Rechten. Die Feier geht weiter, die Besucher_innen werden aber darauf hingewiesen, auf dem Heimweg vorsichtig zu sein.

Überreste von Plakaten der IB in Amberg. Foto: privat/a.i.d.a.

Am Freitag darauf ist in der „Hutfabrik“ weniger Betrieb, nur ein paar Skater_innen trainieren bis spät in den Abend und sitzen danach noch zusammen. Es ist deutlich nach Mitternacht, als sie vor der Tür Geräusche hören und durch ein Fenster nach draußen blicken. Dort sehen sie eine Gruppe von etwa 10 Vermummten, die sich aggressiv der „Hutfabrik“ nähern. Sie schaffen es gerade noch, die Tür von innen zu verriegeln. Augenblicke später treten die Angreifer massiv gegen das Tor der alten Manufaktur, das zum Glück standhält. Die Situation ist bedrohlich und die Leute in der „Hutfabrik“ rufen die Polizei. Als die ankommt, sind die Angreifer weg. Hinterlassen haben sie wieder Sticker der IB. Am nächsten Tag wird klar, dass nicht nur der alternative Treffpunkt betroffen war. Die Gruppe ist durch die Stadt gezogen und hat Dutzende Graffiti mit dem Logo der IB gesprüht, Plakate geklebt und Aufkleber angebracht. Zwar hat es auch die Fassaden ganz normaler Läden erwischt, besonders intensiv jedoch die Geschäftsstellen der IG Metall und der SPD. Beide haben sich in der Vergangenheit explizit gegen die extreme Rechte positioniert, beispielsweise an Demonstrationen gegen die AfD teilgenommen.

IB-Sprühereien in Amberg. Foto: privat/a.i.d.a.

Eine Woche später wird die Scheibe eines Auto eingeschlagen, das vor der Hutfabrik parkt. Am darauf folgenden Wochenende ist in Amberg Ruhe, dafür tauchen im gut eine halbe Stunde entfernten Weiden massenhaft Aufkleber der IB auf. Am letzten Freitag in Oktober erwischt es wieder die Hutfabrik: Zwei massive Pflastersteine aus Granit werden gegen eine Scheibe geschmissen, die wird erheblich beschädigt und muss ausgetauscht werden.

Beschädigung der „Hutfabrik“-Tür durch Pflastersteinwurf. Foto: privat/a.i.d.a.

Entstehung und Entwicklung der IB in der Oberpfalz

Die Aktuelle Situation
Um die organisierte extreme Rechte in Amberg war es die letzten Jahre relativ ruhig, doch schon seit dem Frühjahr zeichnet sich Bewegung ab. So wurden wiederholt Flugblätter der IB in der Stadt verteilt und bei einem „Fest der Demokratie“ mit Vorträgen zu Klimawandel, Fakenews und der extremen Rechten im Mai 2019 versuchte eine Gruppe von fünf jungen Männern Besucher_innen zu provozieren und einzuschüchtern. Ende Juni 2019 sollen Teile derselben Gruppe an Übergriffen auf alternative Jugendliche auf dem Altstadtfest im benachbarten Sulzbach-Rosenberg beteiligt gewesen sein.

Amberger IB-ler bei einer Kundgebung im Oktober 2019 in München. Foto: Anne Wild

Mindestens seit Mitte 2019 taucht die Amberger Gruppe auch regelmäßig bei Veranstaltungen der IB auf. Mal vollständig, mal nicht, beteiligte sie sich etwa an der Sommersonnwendfeier der IB Bayern im Juni, am gescheiterten IB-Aufmarschversuch im Juli in Halle, am Fackelmarsch der österreichischen „Identitären“ im September in Wien, an einem bayerisch-fränkischen IB-Schulungswochenende (inklusive Kampfsportübungen) im September und an einer Kundgebung der „Identitären Bewegung“ im Oktober in München.

Die offizielle Gründung der IB Oberpfalz wurde Mitte August auf dem Instagram-Account „eisengau.revolte“ bekannt gegeben. Er war nur kurz online und wurde zwischenzeitlich durch „defend.eisengau“ ersetzt. Die martialisch klingende Bezeichnung „Eisengau“ geht auf die jahrhundertealte Tradition des Eisenerzbergbaus und der Eisenverarbeitung in der Region Amberg-Sulzbach zurück. Die Social-Media-Strategie erscheint insgesamt unausgegoren, so wurden die meisten Fotos der eigenen Aktivitäten schnell wieder gelöscht. Gut möglich, dass dies mit polizeilichen Ermittlungen wegen der Straftaten im Oktober zusammenhängt oder dass die Selbstdarstellung nicht den Vorstellungen übergeordneter IB-Strukturen entsprochen hat. Die betrachten die IB Oberpfalz als ein Bindeglied zwischen den Gruppen in Franken und Südbayern und erhoffen sich dadurch eine bessere Zusammenarbeit der Regionen.

Frühere IB-Strukturen in der Region
Bis zu den neuen Umtrieben hatten zuletzt keine relevanten Strukturen der IB in der Region mehr bestanden. Die erste Ortsgruppe in der Oberpfalz war im Oktober 2015 auf dem Haus der „Burschenschaft Ostmark-Breslau“ in Regensburg gegründet worden. Mit dem damaligen Bundeswehroffizier Felix S., dem AfD-Funktionär Vadim Derksen, dem Burschenschafter Andreas W. und dem ehemaligen Anhänger des neonazistischen „Freien Netz Süd“ Benedikt A. saßen damals Akteure aus verschiedenen Spektren der extremen Rechten mit am Tisch. Nach einer öffentlichen Problematisierung und darauf folgenden Konsequenzen für einige der Beteiligten wurde es jedoch bereits nach wenigen Monaten sehr ruhig um die Gruppe. Einzig Benedikt A. trat bis mindestens 2018 noch öffentlich regional für die IB in Erscheinung.

Ausblick
Ob der Amberger Gruppe eine längere Existenz beschert sein wird, bleibt abzuwarten. Einige grundlegende Unterschiede zwischen beiden Organisationsversuchen gibt es: Während die Regensburger Ortsgruppe ein zusammengewürfelter Haufen war, handelt es sich beim Kern der Amberger Gruppe um einen Freundeskreis. Dies könnte zu höheren Bindungskräften führen, geht jedoch auch mit einer geringeren Vielfalt an Hintergründen, Kompetenzen und Netzwerken einher. Weiter sind die Protagonisten der Amberger Gruppe grobschlächtiger, deutlich jünger und politisch weniger erfahren. Während in Regensburg mit Felix S. und Andreas W. mindestens zwei Personen beteiligt waren, die eine Vorgeschichte in der ‚Neuen Rechten‘ und das theoretische Rüstzeug für eine ‚Metapolitik‘ im Sinne der IB hatten, sind bei den Ambergern lediglich Erfahrungen in der Neonaziszene bekannt. Das bisherige Auftreten der Akteure scheint zu bestätigen, dass es sich mehr um eine neofaschistische Schlägerbande handelt, als um eine Gruppe, die der von der IB bevorzugten Selbstdarstellung entspricht: also vorgeblich theoretisch versiert, kreativ und gewaltfrei. Angesichts der anhaltenden Schwäche der „Identitären Bewegung“ scheint die Organisation die Ansprüche hinsichtlich des öffentlichen Auftretens ihres Personals nun wohl abzuschwächen. Dass die IB versucht, eine Struktur in einer Mittelstadt mit gut 40.000 Einwohner_innen in einer ländlich geprägten Region aufzubauen ist nicht neu – ähnliche, erfolglose Versuche gab es in Ostbayern bereits in Deggendorf und Passau – entspricht aber auch nicht dem gerne transportierten Bild einer vor allem im urbanen Raum verankerten Organisation.

IB-Akteure aus der extremen Rechten und Neonaziszene

Vor ihrer Aktivität bei der IB ist die Amberger Gruppe wiederholt in anderen extrem rechten Kontexten aufgetreten. Fast vollzählig war die Gruppe während des bayerischen Landtagswahlkampfes im Juni 2018 bei einer Veranstaltung der AfD in Lappersdorf vertreten. Dort sprachen mit Björn Höcke, Kathrin Ebner-Steiner, Benjamin Nolte, Christoph Maier und Roland Magerl fast ausschließlich bekannte VertreterInnen des völkisch-nationalistischen „Flügels“. Im Oktober 2018 nahmen Teile der Gruppe an einer Veranstaltung mit der stellvertretenden AfD-Bundesvorsitzenden Alice Weidel im „Amberger Congress Centrum“ teil. Darüber hinaus waren einige der fünf zentralen Protagonisten der Amberger IB auch bei der neonazistischen Partei „Der III. Weg“ aktiv.

Der heute führende IB-Aktivist als Teilnehmer des neonazistischen Aufmarsches in Wunsiedel. Foto: Jan Nowak

Führender Aktivist der Gruppe ist Matthias N. Bereits im Februar 2016 beteiligte er sich an einem Aufmarsch der IB im oberbayerischen Freilassing, damals noch in Begleitung von AktivistInnen der neonazistischen Partei „Der III. Weg“. In der Folgezeit war er regelmäßig bei Kundgebungen und Demonstration der Neonazipartei anzutreffen, beispielsweise im März 2016 bei einer Kundgebung in Arnbruck oder im September 2017 in Straubing. Die Tatsache, dass er dabei teilweise in offizieller Parteikleidung auftrat und „Der III. Weg“ in dieser Zeit seine Aktivitäten in Amberg steigern konnte, weist auf eine organisatorische Einbindung hin. Noch im November 2018 beteiligte sich N. an einem Aufmarsch der Partei „Der III. Weg“ zum Gedenken an die ‚gefallenen Helden‘ von Wehrmacht und Waffen-SS in Wunsiedel.

Heutige IB-Aktivisten tragen bei einer Kundgebung in Straubing ein Transparent der neonazistischen Partei „Der III. Weg“. Foto: Jan Nowak

Moritz K. nahm ebenfalls mindestens an einer Veranstaltung der Neonazipartei „Der III. Weg“ teil. Gemeinsam mit N. war im September 2017 bei der neonazistischen Kundgebung in Straubing und hielt dort ein Transparent der Partei mit der Aufschrift „Multikulti tötet! Ausländerterror stoppen“. Bei Instagram posiert er mit einem T-Shirt der NS-Black-Metal-Band „Burzum“, deren Sänger wegen Mord, Kirchenbrandstiftungen und illegalen Waffen- und Sprengstoffbesitzes lange im Gefängnis saß und Kultstatus in der Szene besitzt. K. trainiert im „MMA Fight Team Amberg“ und ist bereits zu Wettkämpfen angetreten. Angesichts des Auftretens der lokalen IB ist zu befürchten, dass dies nicht allein aus sportlichen Gründen passiert, sondern auch eine Vorbereitung für den Straßenkampf darstellt. Das Gym, in dem er trainiert, ist kein explizit rechtes. Es bleibt abzuwarten, wie sich die Verantwortlichen zukünftig gegenüber bekannten AnhängerInnen der organisierten extremen Rechten positionieren werden.

Maximilian H. mit bayerischen „Identitären“ bei einer IB-Kundgebung im Oktober 2019 in München. Foto: Anne Wild

Maximilian H. wirkt auf den ersten Blick wie ein ganz normaler Jugendlicher vom Dorf: Er spielt Fußball im Verein, legt Wert auf Brauchtumspflege, vor wenigen Jahren war er gar der männliche Part des Kirchweihpaars in seinem Dorf. Zugleich positioniert er sich offen im Sinne des historischen Nationalsozialismus. So verbreitet er bei Instagram das fragmentarische Zitat „Denn der Haß stirbt … Aber alles Große ist ewig“, das auf Léon Degrelle zurückgeht. Der Führer der mit den Nazis kollaborierenden belgischen Rexisten und Offizier der Waffen-SS glorifizierte damit die ‚Aufrichtigkeit und Opferbereitschaft der Jugend im Kampf für Glaube und Kultur, für die gerechte Sache‘, den Nationalsozialismus. H. trainiert wie Moritz K. im „MMA Fight Team Amberg“.

Eine weiterer Aktivist der Amberger Gruppe war mindestens bis Mitte des Jahres 2019 noch bei der „Jungen Alternative“ (JA) aktiv. Fotos zeigen ihn gemeinsam mit Luis Hill, dem Vorsitzenden der JA Ostbayern hinter einem Infostand im April in Neumarkt in der Oberpfalz und bei einem Ausflug der JA zur Befreiungshalle im Juni in Kelheim.

Von Sven K., dem fünften Protagonisten der lokalen IB ist wenig bekannt. Im Juli 2017 besuchte er jedoch gemeinsam mit Matthias N. das neonazistische „Rock gegen Überfremdung“-Festival in Themar, das mit über 6.000 TeilnehmerInnen das größte Rechtsrockevent der letzten Jahre war. Eine Vorgeschichte im subkulturellen Neonazismus ist also auch hier durchaus naheliegend.

Heutige Amberger IB-ler als Teilnehmende beim neonazistischen Großkonzert in Themar. Foto: Jan Nowak

Ein Fazit

Für die IB läuft es die letzten Jahre nicht gut: Fähiges Personal ist weggebrochen (weil es seit der Beobachtung der Organisation durch die Inlandsgeheimdienste negative soziale Folgen fürchtet) oder organisiert sich lieber direkt in der ungleich erfolgreicheren JA bzw. der AfD. Mit der Abschaltung ihrer Accounts durch Facebook im Jahr 2018 haben die „Identitären“ zudem ihr wichtigstes Kommunikationsmittel verloren. Da sie lange eher wie eine Werbeagentur im Sinne des völkischen Nationalismus und weniger wie eine klassisch strukturierte extrem rechte Organisation funktioniert haben, wiegt dieser Schlag besonders schwer. In der Kombination führten beide Ereignisse zu einer massiven Schwächung der IB.

Für den Nachwuchs der extremen Rechten in Amberg reicht der verbliebene Glanz jedoch aus. Sie finden ein etabliertes Label sowie Rumpfstrukturen vor und können offensichtlich weitgehend ohne taktische Zurückhaltung agieren. Auch wenn das innerhalb der IB nie ein ernsthafter Hinderungsgrund gewesen ist, scheint es heute noch viel weniger zu stören, dass der überwiegende Teil der Amberger Gruppe einen offen neonazistischen Hintergrund hat und im Stile einer Schlägerbande auftritt.

Beflügelt durch die Zugehörigkeit zu einer deutschland- bzw. europaweiten Struktur, bei der die Selbstüberhöhung zur politischen DNA gehört, legen die Amberger „Identitären“ ein erschreckendes Maß an Gewalttätigkeit an den Tag. Dass sie bisher noch keine Konsequenzen für ihre Handlungen erfahren haben, lässt sie offensichtlich gefährliche Allmachtsphantasien hegen. Es wäre deshalb unbedingt notwendig, dass Sicherheitsbehörden und etablierte politische Akteur_innen vor Ort deutlich reagieren. Auch dürfen die „Hutfabrik“ und andere Betroffene rechter Gewalt nicht alleine gelassen werden, sie brauchen Solidarität.

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