Verstrickungen zwischen der Rechten und deutschen Sicherheitsbehörden gibt es nicht erst seit dem NSU. Anfang Mai traf sich der konspirative „Jagsthausener Kreis“ in Freilassing – zum 119. Mal. Bei dem Netzwerk, das einst aus ultrarechten Einzelpersonen sowie Mitarbeitern von BND und Verfassungsschutz gebildet wurde, saßen in diesem Jahr zwei ehemalige Staatsoberhäupter mit am Tisch.
Von Lara Schultz und Robert Andreasch
Staatschefs im Landgasthof
Der historische Landgasthof liegt abseits an der Ortsausfahrt, durch eine Mauer von der benachbarten Weide getrennt. Die Fenster sind klein, die Gebäude verwinkelt. Von außen ist es nicht einsehbar, von innen unübersichtlich. Hier verbringt ein gutes Dutzend älterer Männer und Frauen das Wochenende vom 3. bis zum 5. Mai 2019, um die Tradition des „Jagsthausener Kreises“ fortzuführen. Man fährt teure Autos und kleidet sich konservativ. Beim Frühstück wird über die Einsatzfähigkeit der deutschen Marine und ihrer U-Boote diskutiert.
Für Freitag ist Václav Klaus eingeladen, der ehemalige tschechische Staatspräsident. Zweiter prominenter Referent am Wochenende ist Jan Čarnogurský, der ehemalige Ministerpräsident der Slowakei, zum Thema „Verhältnis der Visegrád-Gruppe zur Europäischen Union“. Ob die ehemaligen Staatschefs wissen, wo sie auftreten? Václav Klaus ist in diesem Jahr schon zum zweiten Mal beim „Jagsthausener Kreis“ zu Gast. 2018 mag ihm dessen Hintergrund noch nicht so klar gewesen sein: „Meine deutsche Sprache ist nicht genügend, deshalb war ich nicht sicher, was der Begriff ‚Jagsthausener Kreis‘ bedeutet. Der Kreis von Jägern? Im Wörterbuch habe ich nur das Wort Jägerhaus gefunden, es muss etwas Ähnliches wie Jagsthaus sein. Ich möchte gleich hinzufügen, dass ich kein Jäger bin.“, sagte er damals in seiner Rede. 2019 kann er sich nicht mehr mit „Nichtwissen“ herausreden. Inhaltlich passt Klaus sowieso gut in diese Kreise: Er war zuletzt gern gesehener Gast der AfD, war Gesprächspartner von Eva Hermann und ist Liebling des ultrarechten Compact-Magazins.
Die Rede zum Thema „Wohin führt uns die EU?“, die er 2018 beim „Jagsthausener Kreis“ hielt, hat er unterdessen veröffentlicht: In der heutigen Welt, so Klaus, dominiere als Ideologie ein Kulturmarxismus der Frankfurter Schule. Deutschland sei aktuell das Schlachtfeld Europas, bedroht durch „politische Korrektheit, Multikulturalismus und Humanrightismus, Feminismus, Genderismus und die Aggressivität des Homosexualismus, Massenmigration, Frau Merkel“. Die „heutige Terrorismuswelle“ sei „ohne Zweifel ein unvermeidlicher Bestandteil der Massenmigration“.
Der ehemalige slowakische Ministerpräsident Jan Čarnogurský zeigte zunächst Unsicherheiten bezüglich des Auftrittsorts. „Für das kommende Wochenende habe ich eine Einladung nach Freissing [sic] in Bayern“, schrieb er auf Facebook. Genau wie Klaus ist auch Čarnogurský längst ein gerngesehener Gast bei rechten Veranstaltungen, so beispielsweise 2017 beim antifeministischen „Marsch für die Familie“ in Wien. In dem beliebten slowakischen Fernsehformat „Der größte Slowake“ trat er heuer als Fürsprecher für Andrej Hlinka auf. Hlinka war Gründer der nationalistischen und antisemitischen Hlinka-Partei (1913-1945) mit dem Wahlspruch „Eine Nation, eine Partei, ein Führer!“ und wurde Namensgeber der SS-analogen Hlinka-Garden im Satellitenstaat Slowakei.
Der „Jagsthausener Kreis“ und seine Treffen
Jedes Jahr lädt der „Jagsthausener Kreis“ etwa drei Referent_innen ein. Nur wenig ist über die Treffen öffentlich geworden. 2004 trat hier der FPÖ-Politiker Andreas Mölzer zum Thema „Chancen einer europäischen Rechtspartei“ auf und 2013 Horst-Joachim Lüdecke, der zuletzt als „Klima-Sachverständiger“ für die AfD fungierte. Das diesjährige Treffen des konspirativen Zirkels hat in Tschechien Schlagzeilen gemacht. Aufgedeckt hat es der Journalist Vojtěch Berger, 2016 Träger des deutsch-tschechischen Journalistenpreises, vom investigativen tschechischen Portal „Hlídací Pes“ (=Der Wachhund).
Doch was ist dieser „Jagsthausener Kreis“ eigentlich? Seinen Namen hat der Zirkel vom württembergischen Ort Jagsthausen bei Heilbronn, in dem sich die Mitglieder einst im Burggasthof versammelten. Der „Jagsthausener Kreis“ gab sich über Jahrzehnte Mühe, im Verborgenen zu wirken. Auch wenn er schon in der Nachkriegszeit gegründet wurde, erfuhr die Öffentlichkeit über die Jahre nur sehr wenig über das Netzwerk. Es gibt so gut wie keine öffentlich zugänglichen Dokumente, Tagungsprotokolle oder Mitgliederlisten. Im Münchner a.i.d.a.-Archiv ist die Rede erhalten, die der extrem rechte Münchner Publizist Hanns-Dietrich Sander am 6. Oktober 1979 bei der Zusammenkunft (damals in Bad Aussee, Salzkammergut) gehalten hat: „Von der geistigen Knechtschaft der Deutschen und ihrer möglichen Aufhebung.“ Hlídací Pes zitierte im Artikel zudem eine interne Einladung zum „Jagsthausener Kreis“ 2016, der zufolge damals die AfD-Akteure Alexander Gauland und Bruno Bandulet sowie der ehemalige FPÖ-/BZÖ-Politiker Ewald Stadler aufgetreten sein sollen.
Ultrarechte, Militärs, Geheimdienste
Damals, 2016, tagte der „Jagsthausener Kreis“ nach eigenen Angaben zum 115. Mal. Die Beteiligten selbst betonen also die jahrzehntelange Kontinuität ihrer geheimen Gruppe. Der Journalist Erich Schmidt-Eenboom beschrieb 1998 in seinem Buch „Undercover – Der BND und die deutschen Journalisten“ den brisanten Charakter des Netzwerks:
„Im Burggasthof Jagsthausen versammelte sich regelmäßig ein rechtkonservativer Kreis von Militärs und Beamten, Journalisten und Wirtschaftsführern aus vier Ländern. Die Anschriftenliste vom April 1985 umfaßt 30 bundesdeutsche Mitglieder – darunter Manci Schacht, die Frau des NS-Bankpräsidenten Hjalmar Schacht, der selbst noch mit 91 Jahren im Sommer 1967 im Jagsthausener Kreis vorgetragen hatte. Mindestens vier – vermutlich sechs – der westdeutschen Jagsthausener gehörten, neben den BND-Pressesonderverbindungen [Gerhard] Baumann und Rochus Hoffer, einem westdeutschen Geheimdienst an: Norbert Wingerter, Regierungsdirektor im Landesamt für Verfassungsschutz Bayern, sowie vom BND Ludwig Hauswedell, Herbert Kukuk und Prinz Karl von Thurn und Taxis. In Österreich hatte der Zirkel 24 Mitglieder, in der Schweiz drei und in Italien fünf, darunter Johannes Gehlen, ein Halbbruder des BND-Gründers und ab 1947 sein Statthalter in Rom. Und auch Reinhard Gehlen tauchte gelegentlich im Jagsthausener Kreis auf, ebenso sein leitender Mitarbeiter Wilfried Strik-Strikfeldt.“