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Statistik: extrem rechte Kandidaturen bei den Kommunalwahlen

Am 15. März 2020 werden in Bayern die Kommunalvertretungen und vielerorts auch Landrät_innen und Bürgermeister_innen gewählt. Wir haben die Kandidat_innenlisten ausgewertet.

Von Tilo Giesbers

Insgesamt werden 1.909 Wahlbeamt_innen gewählt und mehr als 38.000 Mandate in 2.152 Gremien vergeben. Aus antifaschistischer Sicht ist dabei vor allem das Abschneiden der „Alternative für Deutschland“ (AfD) von Bedeutung. Zum Zeitpunkt der vergangenen Wahlen (2014) bestand sie gerade mal ein knappes Jahr. Nun hatte sie sechs weitere Jahre Zeit, um ihre Strukturen in der Fläche aufzubauen.

Die Kandidat_innenlisten der AfD

Insgesamt sind bisher 2.395 Kandidierende der AfD für 190 Gremien bekannt, darunter 540 Frauen, also 22,5 Prozent. Nach Abzug der Mehrfachkandidaturen (Kreistag und Gemeinderat) verteilen sich diese Kandidaturen auf 1.898 Personen, darunter 426 Frauen, also 22,4 Prozent.

Das Durchschnittsalter der Kandidierenden liegt (bei Annahme, dass alle am Wahltag Geburtstag haben) brutto wie netto bei rund 56 Jahren. Für eine Partei, die mit gerade sieben Jahren (in denen sie von Erfolg zu Erfolg eilte) noch sehr jung ist, sind die Kandidat*innen also auffällig alt. Während nach vorliegenden Daten¹ 104 AfD-Kandidierende unter 30 Jahren alt sind, kommen die Altersgruppen über 65 Jahren auf 543 Personen. Neun von ihnen sind sogar mindestens 90 Jahre alt. Spitzenreiterin ist eine 96-jährige Rentnerin, die allerdings zu den Personen gehört, die in Vaterstetten (Landkreis Ebersberg, Oberbayern) ohne eigenes Wissen auf die Listen für Gemeinderat und Kreistag gesetzt worden sein soll.

Der im Vergleich mit anderen Bundesländern relativ hohe Frauenanteil wird dadurch relativiert, dass Frauen in den meisten Fällen eher hintere Listenplätze belegen. Nur auf 26 Wahlzetteln stehen AfD-Frauen auf Platz 1, auf 45 dagegen auf dem letzten Platz. Nur etwas mehr als jede fünfte Kandidierende belegt einen Platz im ersten Drittel der jeweiligen Liste, mehr als 40 Prozent dagegen im letzten Drittel. Auf 28 AfD-Listen fehlen Frauen völlig.

Vergleich zu 2014

In den letzten sechs Jahren haben persönliche Animositäten, Postengeschacher und strategische Streitigkeiten bundesweit zu einer hohen Fluktuation bei Mitgliedern und Funktionär*innen der AfD geführt. Mehrere hundert der bundesweit aktuell mehr als 4.300 für die AfD errungenen kommunalen Mandate sind der Partei durch Austritte wieder verlorengegangen. Auch der Landesverband Bayern hatte mit den Folgen der Austritte nach dem Rückzug von Bernd Lucke, Frauke Petry und anderen zu kämpfen. Andererseits saugt die Partei derzeit Personal anderer extrem rechter Parteien und Wähler_innengruppen förmlich auf. Dies zeigt sich auch an den Listen zu den Kommunalwahlen 2020. Von den 196 Personen, die 2014 für die AfD antraten, finden sich gerade noch 21 auch in diesem Jahr wieder als AfD-Vertreter_innen. Im Gegensatz dazu sind 55 Personen von den Republikaner-Listen 2014 zur AfD gewechselt. Mit Walter Steinweg tritt in München ein Kandidat der „Bürgerinitiative Ausländerstopp München“ (BIA, siehe unten) von 2014 heute auf der AfD-Liste an.

Auch dass die AfD für die kreisfreien Städte Schwabach (Mittelfranken) und Amberg (Oberpfalz) sowie die Kreistage Eichstätt, Miesbach und Neuburg-Schrobenhausen (Oberbayern), Amberg-Sulzbach und Tirschenreuth (Oberpfalz), Ansbach und Weißenburg-Gunzenhausen (Mittelfranken), Haßberge, Miltenberg und Rhön-Grabfeld (Unterfranken) sowie Neu-Ulm (Schwaben) überhaupt nicht antritt, deutet darauf hin, dass ihr Strukturaufbau nach wie vor nicht wie gewünscht läuft. In einigen Fällen gab es zudem formale Fehler, so dass nicht alle Kandidat*innen zugelassen wurden. Nur in Niederbayern und Oberfranken steht die AfD auf Kreisebene überall auf den Stimmzetteln.

Kurz vor der Wahl gab es auch in Bayern Parteiaustritte von AfD-Kandidat_innen, z. B. vom Straubinger AfD-Funktionär Simon Buchner. Der AfD-Oberbürgermeister- und Stadtratsspitzenkandidat gab als Begründung an, ihm seien „sichtlich rechtsextreme Tendenzen einzelner Kandidaten auf der Stadtratsliste“ aufgefallen. In den anderen Bundesländern gibt es zudem häufig Streit unter kommunalen Mandatsträger*innen der AfD, in Brandenburg etwa sind in den letzten Wochen mehrere Fraktionen zerfallen. Abzuwarten bleibt, welchen Einfluss dabei die gestern offiziell verkündeten VS-Beobachtungen des „Flügels“ und mit Thüringen sogar des ersten Landesverbandes der Partei (mit den daraus folgenden Karriereängsten bspw. von Beamt_innen) haben.

Die Republikaner

Der Absturz der Republikaner geht auch in ihrem Stammland weiter. Immerhin kann die Partei aber noch 135 Kandidierende (netto 125 Personen) vorweisen, darunter 30 (29) Frauen. Mitgerechnet ist hierbei die Liste der „Bürgerinitative Wertingen und Stadtteile e.V.“ im Landkreis Dillingen (Schwaben), die von REP-Funktionären dominiert ist. 39 der Kandidierenden gehörten schon vor sechs Jahren zu damals noch 541 (brutto 592) Personen auf den REP-Listen.

NPD und Co.

Wie schon bei den letzten Wahlen tritt die NPD in Bayern gar nicht direkt an. In Nürnberg und München wird sie durch Listen der „Bürgerinitiative Ausländerstopp“ (BIA) vertreten. Immerhin 24 der 54 Kandidierenden waren auch vor sechs Jahren schon dabei.

Sonstige

Auch auf den Listen mehrerer Wählergemeinschaften finden sich extreme Rechte. In Scheßlitz (Landkreis Bamberg, Oberfranken) kandidiert für die „Freie Liste“ mit Roger Kuchenreuther ein Aktivist der Neonazi-Kleinstpartei „Der Dritte Weg“. In Schwandorf (Oberpfalz) findet sich der aus dem Umfeld der „Prollcrew“ bekannte Florian Spiegler bei den „Freien Wählern“. In Augsburg hat die Bürgerinitiative „Wir sind Augsburg“ (WSA) den aus dem extrem rechten Kampfsport-Milieu bekannten Guido Fiedler auf ihrer Liste. Und in Woringen (Unterallgäu) kandidiert der Waffen-Fan und Neonazi Steven Dziuba auf der einzigen Liste „Wir für Woringen“.² In München stellt sich mit der „Freien Allianz für Innovation und Rechtsstaatlichkeit“ (FAIR) außerdem eine Gruppierung zur Wahl, die von türkischen Ultranationalist*innen unterstützt wird und der Kontakte zu Strukturen der Erdoğan-Partei AKP nachgesagt werden.

CSU

Auch Kandidaten der CSU machten in den letzten Wochen von sich reden: Im unterfränkischen Oberleichtersbach sollen Kandidaten ein Video mit halb nackten Frauen und Hakenkreuzen per WhatsApp verschickt haben. Der dortige Bürgermeister-Kandidat der CSU hatte zudem rassistische Inhalte und Beiträge der AfD gepostet. Das Problem (extrem) rechter Einflussnahme in der Kommunalpolitik macht also keinen Bogen um Parteien, die sonst als demokratisch gelten. Ob es ähnlich wie in Eilsleben, Schkopau (beide Sachsen-Anhalt), Karstädt (Prignitz, Brandenburg) oder Gohrisch (Sachsen) auch in Bayern gemeinsame Fraktionen von CSU, FDP oder anderen Parteien mit der AfD geben wird, bleibt abzuwarten. Auf die Wirkung der vollmundigen Aussagen eines Markus Söder in der Fläche sollte sich jedenfalls nicht zu früh verlassen werden.

Prognose

1. Im letzten Jahr hatten die Wahlen in gleich zehn Bundesländern (parallel zur Europawahl) das „kommunale Gewicht“ der AfD zugunsten ihrer Ost-Landesverbände verschoben³, nun wird der Westen wieder aufholen.

2. Vorausgesetzt, die AfD erreicht bei den anstehenden Wahlen im jeweiligen Gebiet ein Ergebnis wie bei der bayerischen Landtagswahl von Oktober 2018⁴, ist – unter Berücksichtigung der teilweise nicht ausgeschöpften Listen⁵ – von ca. 700 Mandaten auszugehen, darunter – in weniger als der Hälfte der Gremien – insgesamt etwas mehr als 100 Frauen. Der Frauenanteil könnte noch geringer ausfallen, wenn Männer durch Personenstimmen ihre Listenplatzierung verbessern. Nur in sieben Gremien würde die AfD trotz Kandidatur nicht vertreten sein.

Ausblick

In den kommenden sechs Jahren wird die AfD auch in vielen Gemeinden Bayerns Gelegenheit haben, ihre Verankerung in der Fläche voranzutreiben. Es liegt auch an den anderen Kommunalpolitiker_innen in den Gremien und Antifaschist_innen außerhalb der Räte, wie erfolgreich sie dabei sein wird. Die Arbeit fängt gerade erst an.

¹ Zu 23 Kandidierenden liegen keine Geburtsjahre vor.
² Siehe https://allgaeu-rechtsaussen.de/2020/03/13/neonazi-will-woringer-gemeinderat-werden/
³ Siehe https://www.apabiz.de/2019/kommunalwahlen-2019-extrem-rechte-antritte-und-mandate/
⁴ Die Umfragewerte haben sich seitdem kaum verändert.
⁵ Nach bayerischem Wahlrecht können so viele Namen auf den Listen stehen, wie Mandate zu vergeben sind. Derselbe Name kann bis zu dreimal benannt sein. Wähler_innen haben analog ebenfalls soviele Stimmen wie Mandate zu vergeben sind. Stehen bspw. aber nur drei Personen je dreimal auf der AfD-Liste, können sie nur neun Stimmen erhalten. Wenn das zu wählende Gremium über 18 Sitze verfügt, verringert sich der AfD-Anteil entsprechend.

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