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Geheimrat vor Gericht.

 In München läuft der Prozess gegen Mitglieder der „Oldschool Society“.

Angeklagte und nicht Angeklagte:



Andreas H. aus Augsburg firmierte als „Präsident“ der seit spätestens 2014 bestehenden Gruppe. In einem abgehörten Telefonat erwiderte er auf den Vorschlag, eine Nagelbombe in einer Geflüchtetenunterkunft zu zünden: „Tät mir schon gefallen, wär schon nach meinem Geschmack“. Die Idee hierzu hatte „Vizepräsident“ Markus W. geliefert, der in Sachsen ein Sicherheitsgewerbe aufzubauen versuchte. „Deswegen habe ich schon gedacht, hier, so ein Cobra 11, hier, weißt Du, hier Dachpappenstifte draufmachen mit Sekundenkleber ringsum, (…) im Asylheim so, weißt Du, Fenster eingeschmissen und dann das Ding hinterhergejagt“. Die „Cobra 11“-Sprengsätze soll W.s Freundin Denise Vanessa G. besorgt haben, die bei der OSS den Posten der „Schriftführerin“ innehatte. Olaf O. aus Nordrhein-Westfalen agierte als „Pressesprecher“, innerhalb der Gruppe soll er massiv für militante Aktionen plädiert haben: „Asylantenheim, Antifaquartier oder Ölaugen umschuppen“. O. schlug vor, die OSS solle einen Anschlag auf den Kölner Dom begehen, um ihn „Ausländern und Salafisten in die Schuhe zu schieben“.

Die Bundesanwaltschaft hat schlussendlich nur diese vier Neonazis aus dem inneren Zirkel der OSS, dem sogenannten „Geheimrat“, angeklagt, aber z. B. nicht „Sprengmeister“ Kevin L. (Limburg), der eine Moschee angreifen wollte, oder den OSS-Postfachinhaber Florian W. Die Struktur der „Oldschool Society“ wurde durch die Razzien und Festnahmen nicht zerschlagen: ein Teil der ehemaligen OSS-Mitglieder ist unter dem Namen „Odins Germanische Familie“ weiter zusammen aktiv.

V-Mann „Rudi“:

 Die behördlichen Erkenntnisse aus dem „telegram“-Gruppenchat der OSS soll ein V-Mann namens „Rudi“ beschafft haben, der, so sagte Bundesanwalt Jörn Hauschild in einer Verhandlungspause des ersten Prozesstags, für „ein Landesamt für Verfassungsschutz“ gearbeitet habe. In Behördenkreisen dagegen schien man offensichtlich eher von einem verdeckten Ermittler (VE) der Polizei auszugehen: Ein Beamter des Bundeskriminalamts gab Ende Juni im Prozess an, man habe befürchtet, dass die Gruppe quasi „unter Polizeiaufsicht“ und „mit einem verdeckten Ermittler auf dem Treffen“ zu terroristischen Taten schreiten könnte und sich daher für einen Zugriff entschieden. Man habe damals bei der OSS „Türken ausbluten“ sehen, ein „Aylheim abballern“, Linke mit Baseballschlägern traktieren oder Molotow-Cocktails in „Antifa-Häuser“ werfen wollen. Identität und Wirken von VE „Rudi“ durften im Verfahren wegen „fehlender Aussagegenehmigung“ der Beteiligten bisher nicht angesprochen werden.

OSS und Gesellschaft:

Bundesanwaltschaft und Politik nutzten die Aufdeckung der militanten Pläne der „Oldschool Society“ im letzten Jahr, um vom skandalösen Behördenverhalten im NSU-Komplex abzulenken. Nach den Razzien am 6. Mai 2015 gegen die OSS sagte Hans-Georg Maaßen, Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz: „Trotz der vorherrschenden Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus behält der Verfassungsschutz auch die gewaltbereite rechts- und linksextremistische Szene in Deutschland fest im Blick. (…) Durch den Einsatz verschiedener nachrichtendienstlicher Mittel wurden die Gruppe und ihre mutmaßlich rechtsterroristischen Anschlags-Vorhaben frühzeitig aufgeklärt.“ Andere waren über die fehlende Konspirativität der Gruppe verblüfft. Eine terroristische Vereinigung mit Postfach im niederbayerischen Plattling, deren Mitglieder einen youtube-Kanal unterhalten und sich am Telefon offen über Anschlagsplanungen unterhielten? Als das „Vice“-Magazin über „die dümmste Terrorgruppe Deutschlands“ schrieb, griffen selbst AntifaschistInnen das bereitwillig auf. Die erneut offensichtlich gewordene terroristische Bedrohung von rechts löste kein Erschrecken mehr aus. Dabei scheinen die OSS-Mitglieder ja entschlossen gewesen zu sein, Menschen zu verletzen oder töten zu wollen. Zeugt der weitgehende Verzicht auf klandestines Handeln nicht gerade von der völligen Sicherheit, in der sich militante Neonazis momentan wiegen? Die Bundesanwaltschaft, die bereits den „Nationalsozialistischen Untergrund“ auf ein „Trio“ reduzierte, lenkte schließlich mit der Auswahl von nur noch vier OSS-Angeklagten von der netzwerkförmigen Organisierung militanter Neonazis in der Bundesrepublik ab. Dass ein verdeckter Ermittler der Behörden die terroristischen Planungen der „Oldschool Society“ aufgedeckt haben soll, könnte zudem mithelfen, die Kritik an V-Personenwesen und Inlandsgeheimdiensten weiter zum Verstummen zu bringen.

Neonazismus alter Schule:


Der Prozess gegen die OSS rückt für all diejenigen die Verhältnisse wieder zurecht, die das Problem Neonazismus als vorgebliches Randphänomen einiger von der Mehrheitsbevölkerung abgeschotteter Outlaws behandeln wollen. Am Beispiel der OSS lässt sich wunderbar „belegen“: Neonazis, das sind doch die Glatzköpfe und Freaks, mit schwerer Kindheit und ohne Job. Neonazigewalt wird verharmlost und als ihre Ursachen werden nicht gesellschaftlich verbreitete Ressentiments und Verrohung, sondern Unterschichtszugehörigkeit, Frust und Alkohol identifiziert. Statt nach einem rassistischen Weltbild zu fragen, bohrte das Gericht beispielsweise lieber zu Denise G.s Aussehen nach: „Man sieht, dass Sie gepierct sind. Was bedeutet das für Sie?“ 



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