Die OSS sei bis zu den Razzien und Festnahmen am 6. Mai letzten Jahres von den Behörden überschätzt worden. Das erklärte der Vertreter der Bundesanwaltschaft (BAW) am Mittwoch, 3. 8. 2016, vor der Sommerpause am Rande des Gerichtsprozesses gegen vier Mitglieder der mutmaßlichen Terrorgruppe in München. Dass die Truppe dennoch brandgefährlich war, zeigten die Vernehmungen ehemaliger Mitglieder, gegen die zum Teil noch ermittelt wird, durch den Staatsschutzsenat am Münchner Oberlandesgericht. Die BAW trat dem Antrag, die Haft gegen die »Schriftführerin« der Gruppe aufzuheben, entgegen.
Das Mobile Einsatzkommando habe von einem Zugriff gegen ein Treffen der Gruppe abgeraten. Die Spezialeinheit für Observation und Zugriff, die bei Terror und Organisierter Kriminalität zum Einsatz kommt, hatte aber Sorge, dass die OSS außer Kontrolle geraten und unter Polizeiaufsicht – mit einem verdeckten Ermittler vor Ort – zur Tat schreiten und einen geplanten Anschlag auf eine Geflüchtetenunterkunft begehen könnte. Das sagte der stellvertretende Leiter der Ermittlungen beim BKA D. vor rund einem Monat. Den Ermittlern war zu diesem Zeitpunkt, als die Ermittlungen noch nicht so weit fortgeschritten waren wie später zur Anklageerhebung noch nicht klar, ob die Truppe über scharfe Waffen verfüge und diese zum Treffen mitbringen würde. Das erklärte Oberstaatsanwalt Jörn Hauschild am Rande des letzten Prozesstages vor der Sommerpause im Gespräch mit junge Welt. Man hatte also Angst, dass ein Zugriff einen Schusswechsel auslösen könnte, der es Teilen der Gruppe ermöglichen könnte, sich abzusetzen, um geplante Anschläge zu begehen.
Daher griffen etwa 250 Polizisten mit Unterstützung der Spezialeinheit GSG 9 kurz vor dem Treffen in einer Kleingartenanlage nähe Borna zu, durchsuchte zahlreiche Wohnungen und nahm die vier Angeklagten fest. Andreas Hafemann, Markus Wilms, Denise Vanessa Grüneberg und Olaf Ogorek bildeten die Führungsebene der weit größeren Gruppe. „Ein Glücksfall aus Ermittlersicht“ sei das am 1. Mai geführte Telefonat zwischen Wilms und Hafemann gewesen. Das Gespräch wurde abgehört. Es ging um die Verwendung des wenige Stunden zuvor im Ausland erworbenen und illegal eingeführten pyrotechnischen Sprengstoffes. Wilms schlug vor, man könne daraus eine Nagelbombe bauen und ins „Asylcenter“ werfen. Hafemann bekundete Zustimmung, während Grüneberg im Hintergrund Tipps zum Bau des Sprengsates anbrachte. Allerdings geht Oberstaatsanwalt Hauschild davon aus, dass die Führungsebene nicht selbst gehandelt hätte, sondern dafür die zahlreichen Mitglieder der Gruppe (von Grüneberg abwertend als „Lollys“ bezeichnet) benutzt hätte. Das deckt sich mit der Einschätzung von Grünebergs ehemaliger Nachbarin Susann Sch., die vor rund drei Wochen vernommen wurde und aussagte, Grüneberg habe die Fähigkeit, Menschen zu manipulieren. Anschläge traue sie ihr zu, nur dass sie sich „nicht selber die Hände schmutzig machen würde, sondern dass sie im Hintergrund agieren würde, die Fäden in der Hand hält und organisatorisch beteiligt wäre“.
Nach Erkenntnissen des Bundeskriminalamt (BKA) wollte man bereits beim ersten Treffen „brisante Themen“ – die Beschaffung von Waffen und den Bau von Bomben – besprechen. Der Zeuge Olaf G. war beim Treffen anwesend. Er habe bei der Polizei ausgesagt, dass derartiges tatsächlich besprochen wurde. Wegen angeblicher Krankheit erschien er aber ebenso wie Herr und Frau L. aus Limburg am 20.7. nicht. Der Zeuge Frederic W. sagte aus, er sei „überzeugter Nationaldemokrat“ und „radikal“. Er sei zunächst „Vizepräsident“ gewesen, wurde dann aber ausgeschlossen. Das „Aussetzen von Sprengsätzen“ ginge ihm zu weit. Der neue „Vize“ wurde damals Wilms. Zuvor sollte er sich um die „Innere Sicherheit“ der Gruppe kümmern. Das sollte bedeuten, eine „kampfbereite Truppe“ innerhalb der OSS aufzubauen, um sich gegen „die Linken“ zu wehren.
Obwohl auch er beschuldigt ist, Teil der terroristischen Vereinigung OSS zu sein, machte der Zeuge Marco K. nicht von seinem Recht Gebrauch, die Aussage zu verweigern. Gegen ihn läuft ein gesondertes Verfahren. Er hatte mit massiven Erinnerungslücken zu kämpfen, bestätigte aber die Gefährlichkeit der Gruppe. Der Vertreter der BAW zitierte ihn aus dem Gruppenchat: „eine große Bombe bauen [und] vor das Haus der Antifanten legen“.
In der vorhergehenden Woche stellte die Verteidigung der Angeklagten Grüneberg den Antrag, sie aus der Haft zu entlassen. Die Bundesanwaltschaft trat dem nun entgegen, eine Entscheidung des Gerichtes steht noch aus. Der Prozess geht nun bis Montag, den 5. September in die Sommerpause.
Eine kürzere Fassung dieses Artikels von Seastian Lipp erschien zuerst in der Tageszeitung „junge Welt“.