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Neonazistischer Terror in München 1945 – 2013

Von der „Schutzgruppe“ zum „Freien Netz Süd“

Am 6. September 2003 wurden der damalige Münchner Neonazi Martin Wiese und acht weitere Mittäter_innen verhaftet.

Martin Wiese bei einem Prozess in Gemünden 2012. Foto: Robert Andreasch

Sie hatten Waffen und Sprengstoff besorgt, unter tatkräftiger Mithilfe von Didier Magnien, einem V-Mann des bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz. Und sie diskutierten über einen Anschlag auf die Grundsteinlegungsfeier für Synagoge, jüdisches Museum und Gemeindezentrum der Israelitischen Kultusgemeinde, die genau vor zehn Jahren, am 9. November 2003, stattfand.

Im Oktober 2004 hatte der Neonazi Vinzenz J., bis heute in der militanten Neonaziszene aktiv, im oberbayerischen Gmund eine Hausdurchsuchung. An seiner Tür hing ein Schild: „Achtung Achtung – Kanaken und Juden“. In seiner Wohnung fand sich ein großes Waffenarsenal, darunter ein Maschinengewehr, sechs Sturmgewehre, ein Fliegerabwehrgeschoss sowie zwei Hohlladungsgeschosse, die mit jeweils einem Kg TNT gefüllt waren.

Das NSU-Netzwerk sorgte dafür, dass den Mörder_innen zu dieser Zeit allein für München Informationen über mindestens 104 potenzielle Tatorte vorlagen, ausgedruckt mit genauer Lagebezeichnung oder in Stadtplänen markiert (zudem waren auch in Nürnberg, Erlangen, Fürth und Hof viele potenzielle Opfer und Anschlagsziele ausrecherchiert und dokumentiert). Am 15. Juni 2005 gab es am Nachmittag ein Telefonat aus einer der Zwickauer Polenzstraße benachbarten Telefonzelle mit einem Handy im Bereich der Münchner Trappentreustraße. Nach 18.30 Uhr betraten die NSU-Mörder hier in der Trappentreustraße 4 den gerade neueröffneten Schlüsseldienstladen von Theo Boulgarides und schossen ihm mit der Pistole Ceska 83 in den Kopf. Im Brandschutt des von Beate Zschäpe in Brand gesetzten Hauses in der Zwickauer Frühlingsstraße wurden im November 2011 Kartenausschnitte der Umgebung des Tatortes gefunden, die nur wenige Tage vor der Tat ausgedruckt worden waren.

Der rassistische Terror verbreitete unter Migrantinnen und Migranten Angst und Schrecken. Die Morde können zudem als „Binnenpropaganda“ für AnhängerInnen der rechten Szene gelesen werden, die mit versteckter oder offener Freude reagierten. Nicht zuletzt der im Jahr 2010 veröffentlichte „Döner-Killer“-Song der Neonaziband „Gigi und die Braunen Stadtmusikanten“ zeigt: die rassistische Botschaft kam und kommt an. Einem Bericht des italienischen Inlandsgeheimdienstes AISI zufolge versuchten im Jahr 2008 Neonazis aus München und Meran gemeinsam in Südtirol, von Migrant_innen betriebene Kleinbetriebe auszurecherchieren, den Behördenangaben zufolge zur Planung von „exemplarischen Aktionen“. Wenn das zutrifft, dann hätten die Münchner Neonazis die mörderische Strategie des NSU gewissermaßen zu exportieren versucht.

Im August 2008 wollten zwei Rechte in Geltendorf eine Flakgranate aus dem Zweiten Weltkrieg aufbohren. Beide wurden bei der Explosion der Granate lebensgefährlich verletzt. Gegenüber der Öffentlichkeit wurde der rechte Hintergrund der Explosion lange verschwiegen. Ein Jahr später entdeckte die Polizei beim Vater eines der Beteiligten ein umfangreiches Waffen- und Sprengstofflager: Drei Pistolen mit Munition, sieben umgebaute Handgranaten mit Sprengladung und Lunte, drei selbstgefertigte Sprengvorrichtungen, gefüllt mit Nägeln. Auch im Jahr 2013 wurden bei Rechten in München Waffen, Munition und einmal ebenfalls eine zündfertige Nagelbombe beschlagnahmt. Kein Zufall: Gewaltbejahung und Brutalität sind wesentliche Merkmale faschistischer Identität und Ideologie. Bekämpft wird, was nicht ins völkische Weltbild passt, Aufrufe zu Mord und Terror sind Alltag in neonazistischen Liedtexten und CDs, auf Buttons und Textilien. Daniel Weigl vom „Freien Netz Süd“ beispielsweise verkaufte jahrelang vom oberpfälzischen Wackersdorf aus ungehindert T-Shirts mit der Aufschrift „Tod dem Weltfeind“ und „AJAB“, also „All jews are bastards“, mit Blutspritzern grafisch gestaltet. Wie im Nationalsozialismus werden Jüdinnen und Juden zum „Weltfeind“ erklärt, offen wird ihnen die Ermordung angekündigt.

Karl-Heinz Statzberger (l.) und Karl Richter (r.) verteilen die gelben Flugblätter der ‚Bürgerinitiative Ausländerstopp‘. Foto: Robert Andreasch

Auch einige der führenden Mitglieder der Münchner Naziszene wurden einschlägig verurteilt: unter anderem Karl-Heinz Statzberger („Freies Netz Süd“, BIA), als Mitglied in der terroristischen „Schutzgruppe“. Und Daniel Th. stand im Februar 2011 wegen „Vorbereitung von Explosionsverbrechen“ vor Gericht: Bei einer Polizeikontrolle am 1. Mai 2010 waren Sprengsätze gefunden worden, deren Verwendung zu tödlichen Verletzungen hätten führen können. Th. erhielt in seinem Prozess lediglich eine Bewährungsstrafe. Dabei war ihm auch noch vorgeworfen worden, zusammen mit anderen Neonazis  auf eine Mauer am jüdischen Friedhof in Aachen „Den Juden den Gashahn aufdrehen“ gesprüht zu haben.

Dieser eliminatorische Antisemitismus der in München aktiven Neonazis bringt uns zum Ausgangspunkt der Kundgebung zurück, zurück zum 9. November, dem  Jahrestag der Pogromnacht, zu dieser weiteren Stufe auf dem Weg zur industriellen Ermordung der europäischen Jüdinnen und Juden. Über Auschwitz und die Shoah hat der Schriftsteller und Widerstandskämpfer Primo Levi für uns heute geschrieben:

„Es ist geschehen, und folglich kann es wieder geschehen – darin liegt der Kern dessen, was wir zu sagen haben.“

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