Am 30. Juni 2010 hatten mehrere Neonazis in Regensburg einen Barkeeper zusammengeschlagen, nachdem er einen von ihnen wegen rassistischer Äußerungen vor dem Lokal „Picasso“ zur Rede gestellt hatte. Der Überfall machte bundesweit Schlagzeilen und war die Initialzündung für die Gründung der von rund 130 Regensburger Gastronomen unterstützten Initiative „Keine Bedienung für Nazis“. Im Prozess blieben viele Fragen unbeantwortet.
Die Tat
In der Nacht des 30. Juni 2010 hatte eine Gruppe Neonazis die Bar „Picasso“ in der Regensburger Altstadt angegriffen, Teile der Einrichtung zerstört und war auf den Barkeeper mit Schlägen und Tritten losgegangen. Der junge Angestellte musste mit Platzwunden und Prellungen im Krankenhaus behandelt werden. Lediglich seine Flucht in ein benachbartes Lokal hatte vermutlich Schlimmeres verhindert. Mindestens zwei Skinheads hatten dort noch veruscht, die Tür einzutreten, bevor sie die Flucht ergriffen. Durch die Hinweise mehrerer Zeugen konnte die Polizei fünf Neonazis schließlich am Donauufer festnehmen.
Die Angeklagten sind keine Unbekannten
Der 25-jährige Neonazi Daniel Schm. aus einem Dorf im westlichen Landkreis Regensburg stand in den letzten Jahren vielfach vor Gericht: Schon 2004 wurde er erstmals wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen zu zwei Jahren Jugendstrafe verurteilt. 2006 und 2007 folgten Verurteilungen unter anderem wegen versuchter Körperverletzung. Am 14.2.2010 griff er gemeinsam mit dem jetzt ebenfalls angeklagten Constantin S. Gäste einer Faschingsfete des FC-Bayern-Fanclubs in Wolfsegg an. Hierfür und für weitere Straftaten wurde er am 26.8.2010 vom Amtsgericht Regensburg zu 2 Jahren und 6 Monaten Freiheitsstrafe verurteilt.
Bis zum Haftantritt blieb Schm. weiter auffällig: Oberstaatsanwalt Edgar Zach bezeichnete in seinem Plädoyer die „Untaten“ Schm.s in den Monaten Mai bis Oktober 2010 als eine „Spur des Schreckens und der Straftaten“. In diesem kurzen Zeitraum hatte sich der Angeklagte sieben weitere Tatkomplexe zuschulden kommen lassen, wobei zwischen den Taten jeweils nur wenige Wochen lagen:
Am 1. Juni 2010 beschädigte Schm. einen Abfalleimer in der Maximilianstraße, am 20. Juni zeigte er in der Roten-Hahnen-Gasse den Hitlergruß und beleidigte drei Frauen rassistisch. Am 30. Juni führte Schm. den Neonaziüberfall auf den „Picasso“-Barkeeper an. Am 9. Juli rief er am Regensburger Domplatz „Sieg Heil“ und beleidigte Einsatzkräfte der Polizei, am 18. August grölte Schm. gemeinsam mit den nun ebenfalls Angeklagten Robert Scha. und Constantin S. „Happy, happy Holocaust“ in der Gesandtenstraße. Dass die Behörden Daniel Schm. zu diesem Zeitpunkt immer noch nicht inhaftiert hatten, rächte sich bitter: Am 10. September 2010 schlug Schm. einem jugendlichen Besucher der Regensburger Herbstdult, als dieser ihn versehentlich anrempelte, einen Maßkrug über den Kopf und verletzte ihn schwer. Immer noch auf freiem Fuß, entblößte Schm. am 1. Oktober im Café Papillon in Hainsacker mehrfach seine Brust so, dass sein Hakenkreuztattoo sichtbar wurde, außerdem zeigte er den Hitlergruß. Als Hauptangeklagter im „Picasso“-Verfahren wurde Daniel Schm. für den Überfall wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt.
Constantin S. (24), der sich mit Daniel Schm. während einer gemeinsamen Haftzeit angefreundet hat, war erstmals im Jahr 2003 einschlägig in Erscheinung getreten, als Militaria aus dem Dritten Reich bei ihm gefunden wurden. Es folgten mehrere Verfahren wegen Körperverletzung, unter anderem hatte er in der Nacht vom 17. auf den 18. Oktober 2003 einen Besucher einer Disko im oberbayerischen Rottach zusammengeschlagen, wofür er zu einer Jugendfreiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt wurde. In der Silvesternacht 2005/2006 griff S. einen linken Miesbacher Jugendlichen an, schlug ihn zu Boden und rammte ihn ein Messer in die Brust. Für diesen versuchten Totschlag wurde S. vom Landgericht München II zu viereinhalb Jahren Haft verurteilt, die nach zwei Dritteln der Haftzeit zur Bewährung ausgesetzt wurden. Die politische Dimension der Tat wurde damals ausgeblendet, die Lokalzeitung schrieb gar, S. sei mit einem „alten Schulfreund“ aneinandergeraten.
Gerade mal zwei Monate war S. zur Bewährung auf freiem Fuß, als er am 2. Mai 2009 schon die nächste Körperverletzung beging: In Rottach-Egern rammte er einem wenig jüngeren Mann das Knie ins Gesicht und traktierte ihn mit zwei Faustschlägen. Noch vor seiner Verurteilung für diese Straftat beging er mit Daniel Schm. in Wolfsegg eine weitere Körperverletzung (s. o.), für die S. Ende August 2010 vom Amtsgericht Regensburg zu einer Strafe von zwei Jahren und acht Monaten mit Unterbringung im Bezirksklinikum Regensburg verurteilt wurde. Noch kurz vor seiner Verurteilung und Einweisung war er am 18. August 2010 noch mit den nun Mitangeklagten Daniel Schm. und Robert Scha. durch die Regensburger Altstadt gezogen und hatte dabei gemeinsam mit ihnen „Happy, happy Holocaust“ gegrölt, was ihm nun weitere zehn Monate Freiheitsentzug einbrachte.
Auch der Angeklagte Robert Scha. (20) trat bereits früher mit politisch rechtsmotivierten Straftaten in Erscheinung: Ende des Jahres 2009 beschädigte Scha. das Kriegerdenkmal und einige Geschäfte in seiner Heimatstadt Hemau mit Hakenkreuzen und anderen verfassungswidrigen Symbolen, wofür er wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, Volksverhetzung und Sachbeschädigung zu 70 Sozialstunden verurteilt wurde, die er bis zum jetzigen Prozess noch nicht abgeleistet hatte. Scha.s Verurteilung im „Picasso-Prozess“ beschränkte sich darauf, dass er am 18. August 2010 gemeinsam mit Daniel Schm. und Constantin S. „Happy, happy Holocaust“ gegrölt hatte. Alle drei sind damals in Arrestzellen der Polizeiinspektion Regensburg 2 verbracht worden. Laut Anklage hat Robert Scha. in seiner Zelle mit dem Zipper des Matratzenüberzuges in die Holzvertäfelung und dem Rahmen der Zellentür Hakenkreuze, SS-Runen sowie den Schriftzug „Freiheit für alle Nationalisten“ eingeritzt. „Der Robert arbeitet gern mit Holz“, bestätigte im Prozess die Vertreterin der Jugendgerichtshilfe. Das Grölen wurde als Volksverhetzung gewertet, das Ritzen lediglich als „Sachbeschädigung“, das Urteil lautete auf ein Jahr Jugendstrafe ohne Bewährung mit Unterbringung in einer Entziehungsanstalt. Scha. begab sich im März 2011 freiwillig zum Entzug in eine Fachklinik im Landkreis Fürth, wurde mittlerweile nach zwei Rückfällen jedoch von der Therapie ausgeschlossen.
Auch beim Angeklagten Manfred B. (27) aus Regensburg ist das Strafregister lang – Diebstahl, Hehlerei, schwerer Raub, Hausfriedensbruch, Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz, Trunkenheit im Verkehr, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte hat er sich in den letzten Jahren zu Schulden kommen lassen. Doch auch B.s Straftaten waren zumindest teilweise politisch motiviert. Bei einem Ladendiebstahl im Kaufland beispielsweise hatte er neben Schnaps auch drei CDs der rechtsaffinen Band „Böhse Onkelz“ geklaut. Ende Januar 2005 überfiel B. mit fünf weiteren Mitgliedern der neonazistischen „Kameradschaft Niederbayern/Oberpfalz“ den ehemaligen „Kameraden“ W., der ein Jahr zuvor zur Regensburger „Kameradschaft Asgard-Ratisbona“ übergewechselt war, in dessen Wohnung. Die Angreifer schlugen W. zusammen und nahmen seine Springerstiefel, seinen Computer und weitere Gegenstände (darunter eine „König der Löwen“-DVD) im Wert von rund 800 Euro mit. Zum Auftakt des Picasso-Prozesses saß B. wegen einer weiteren Straftat bereits in Untersuchungshaft, er hatte einen jungen Erwachsenen von hinten niedergeschlagen, den am Boden Liegenden getreten und dessen Smartphone gestohlen. Am 26. Mai 2011, noch während des „Picasso-Prozesses“ wurde B. in Regensburg dafür wegen Raubes und gefährlicher Körperverletzung verurteilt. Im „Picasso-Prozess“ kam B. mit einer Verurteilung nur wegen Beleidigung von Beamten in zwei tateinheitlichen Fällen davon. Als möglicherweise Mitbeteiligter war B. kurz nach dem Überfall auf das Lokal „Picasso“ aufgegriffen und in die Polizeiinspektion transportiert worden. Dabei hatte er zwei Polizeibeamte als „Bullenschweine“, „Judensau“ und „Parasit“ beschimpft.
Der Angeklagte Rainer E. (31) aus Regensburg hat seine politische Zugehörigkeit auf die Finger seiner linken Hand tätowiert: „KS N/O“, die Abkürzung für die neonazistische „Kameradschaft Niederbayern/Oberpfalz“. Auf dem rechten Mittelfinger, wo mittlerweile nur noch ein schwarzes Quadrat zu sehen ist, trug er einst ein Hakenkreuz. Seit 1995 wurde E. insgesamt sechs Mal wegen Straftaten verurteilt, die in Zusammenhang mit der Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen standen. Auch wegen Diebstahls, Beleidigung, gefährlicher Körperverletzung sowie wegen unerlaubten Führens einer Waffe saß er bereits im Gefängnis. Am 16. Juli 2002 hatte E. außerdem eine Szene-„Aussteigerin“ am Regensburger Hauptbahnhof bedroht, weil sie ein „Bayernverbot“ habe. Dafür wurde E. wegen versuchter Nötigung zu vier Monaten Haft verurteilt. Ebenfalls am Hauptbahnhof Regensburg griff er am 14. Februar 2005 einen Punk an, später wurde er dafür wegen Körperverletzung und der Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen zu neun Monaten Haft verurteilt.
Zwei weitere gefährliche Körperverletzungsdelikte beging E. im Jahr 2008, wofür er zu insgesamt 18 Monaten Freiheitsstrafe verurteilt wurde.
Der vierzigjährige Angeklagte Jens K. aus Tollwitz ist Anfang der 90-er Jahre nach Bayern gezogen. Er hat keinen festen Wohnsitz, ist unter einer von ihm angegebenen Adresse in München nicht erreichbar und die Adresse, unter der er in Regensburg untergekommen sein will, gibt es gar nicht. Seit 1991 ist K. in regelmäßigen Abständen in Haft – vor allem wegen Raub- und Betrugsdelikten. Bis vor einigen Jahren lebte er bei seinen Eltern in Deggendorf. Weil er ihnen gegenüber mehrmals gewalttätig wurde, kassierte er Verurteilungen wegen Körperverletzung bzw. gefährlicher Körperverletzung. Er schlug beispielsweise seine Mutter, weil die Suppe, die sie ihm servierte, zu kalt war und sie bei einer Gerichtsverhandlung gegen ihn ausgesagt hätte. Seinen Vater schlug er bei einem Streit über eine offene Haustür im Elternhaus zusammen. Das jetzige „Picasso“-Verfahren endete für ihn mit einem Freispruch, obwohl mehrere Zeug_innen ausgesagt hatten, dass er mit einem Barhocker nach dem Barkeeper geworfen habe.
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