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Geistiger Brandstifter in München?

Thilo Sarrazin soll nun auch in München Gelegenheit bekommen, seine weithin als rassistisch betrachteten „Erkenntnisse“ über Probleme der Integration vor allem muslimischer Migrant_innen zu präsentieren. Am 29. September ist im Literaturhaus München die Vorstellung seines aktuellen Bestsellers „Deutschland schafft sich ab“ geplant. Doch nach dem Medien-Hype der letzten Wochen rührt sich Widerstand in der Landeshauptstadt.

 

Bislang war die Veranstaltung als Lesung geplant gewesen, allein Gabor Steingart, Chefredakteur des Handelsblatts, sollte als Moderator Sarrazin zu seinem Buch und seinen „Thesen“ befragen. Die Grünen im Münchner Rathaus und der Ausländerbeirat forderten eine Erweiterung des Podiums. Die will das Literaturhaus nun auch umsetzen und sucht zwecks Umgestaltung des bereits restlos ausverkauften Abend zu einer Diskussionsveranstaltung ExpertInnen aus dem Bereich Migration und Hirnforschung.

Ob das die Proteste zahlreicher Internetuser z. B. auf dem facebook-Profil des Literaturhauses besänftigen kann, darf bezweifelt werden. Sie sind mehrheitlich der Auffassung, dass man Sarrazin kein weiteres Podium zur Verbreitung seiner unsäglichen Ansichten geben dürfe, bzw. dass es an seinen Verlautbarungen vernünftigerweise sowieso nichts zu diskutieren gäbe.

Dies sieht auch die Journalistin Sheila Mysorekar so und schreibt in der taz vom Wochenende 4./5. September: „Nein, das ist keine ’notwendige Debatte über Migration‘ Das ist schlicht rassistische Propaganda, Volksverhetzung unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit, und wenn man das nicht unterscheiden kann – eine Generation nach einer faschistischen Diktatur – dann hat man überhaupt nichts dazugelernt.“

Die antifaschistische Gruppe „antifa nt“ aus München fordert in einer Pressemitteilung gleich die komplette Absage der Veranstaltung und kündigt Proteste im Falle ihrer Durchführung an. Der Chef des Literaturhauses Reinhard G. Wittmann hält davon nichts, führt die „Meinungsfreiheit“ ins Feld und meint bezogen auf mögliche Störungen der Veranstaltung gegenüber der Süddeutschen Zeitung schlicht “ Dafür gibt`s auch Gesetze und Gesetzeshüter, und notfalls werden wir die Polizei einschalten“.

Einen „Anschlag auf die Meinungsfreiheit“ sieht naturgemäß auch Karl Richter, neonazistischer Stadtrat der „Bürgerinitiative Ausländerstop München“, sollte die Veranstaltung nicht stattfinden. In einer Mitteilung spricht er von München, als „einer Frontstadt der multikulturellen Verwüstung“ und bringt sich selber als Mitdiskutant ins Gespräch, „Stehe (…) selbstverständlich zur Verfügung“.

Regelmässig geistern solche Tabubrecher wie Sarrazin durchs Feuilleton. Eine vorgeblich „neue“ Auseinandersetzung mit einem Thema, das Aussprechen „unangenehmer Wahrheiten“ bewirkt eine regelrechte Medienhysterie. Bezugspunkte sind dann nicht länger Aufklärung, Zivilgesellschaft und Demokratie, sondern Nützlichkeitsrechnungen, Selektion und Genetik.

Ein paar Wochen wird das so gehen, dann hat Sarrazin einen Haufen Geld mit dem Buch verdient, vielleicht seine SPD-Mitgliedschaft und seinen Bundesbankposten verloren oder auch nicht. Jedenfalls wird sich die Öffentlichkeit wieder beruhigt haben, der Autor wieder in seinen elitären Kreisen residieren.

Bleibt zu hoffen, dass nicht irgendwelche Neonazis, die sich als Vollstrecker der schweigenden Mehrheit von Sarrazin-Befürwortern sehen, einen Brandanschlag auf ein von Migrant_innen bewohntes Haus oder einen Döner-Stand ausführen. Ob sich Thilo Sarrazin dann seiner intellektuellen Urheberschaft bewusst ist, das wäre dann doch noch interessant zu wissen.

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