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5. November 1972

Schweitenkirchen-Niederthann (Lkr. Pfaffenhofen an der Ilm). Am Sonntag versuchen fünf junge Romnija im Alter von elf bis achtzehn Jahren bei Bauern in der Umgebung Lebensmittel einzukaufen. Sie betreten dazu auch den Hof von Franz Goldbrunner in Niederthann.

Der 38-jährige Bauer Goldbrunner nimmt ein halbautomatisches Kleinkalibergewehr und schießt im Flur von hinten auf die Mädchen. Durch die Schüsse – der Täter leert dabei das ganze Magazin – wird die 18-jährige Anka Denisov getötet und die 16-jährige Milena Ivanov schwer verletzt.

Die Polizei nimmt nicht den Täter, sondern die schwer verletzte 16-jährige und zwei der drei unverletzt überlebenden Opfer in Untersuchungshaft. Wie der „SPIEGEL“ damals berichtet, organisiert der Gruppenleiter der Landespolizeistation Pfaffenhofen, aus antiziganistischer Phantasie über eine vonseiten der betroffenen Familien angeblich drohende „Blutrache“, zudem Polizeischutz für den Bauernhof:

„(…) drei Mann mit Maschinenpistolen, zwei Schäferhunde, außerdem noch nächtliche Patrouillen. Bauer Goldbrunner, von der Polizei beraten, verschwand sicherheitshalber aus Niederthann – worauf sich Bürgermeister Max Elfinger empörte ‚über die Sauerei, daß ein anständiger Gemeindebürger wegziehen muß, wegen dem Gesindel’“.

Erst als die Betroffenen den Münchner Strafverteidiger Rolf Bossi einschalten, werden die Mädchen aus der Untersuchungshaft entlassen und stattdessen Goldbrunner inhaftiert. Bossi damals zum „SPIEGEL“: „Im Landkreis Pfaffenhofen hat kein Landrat, kein Bürgermeister und kein Pfarrer irgendwie geholfen.“ Viele Bewohner_innen solidarisieren sich vielmehr mit dem Täter. In einer Reportage der „ZEIT“ von 1972 werden einige von ihnen zitiert:

„Wir stehen alle treu zum Goldbrunner“, erfährt der Fremde in der einzigen Kneipe des Ortes. Ein Bauer: „Der Landrat soll uns Maschinengewehre geben, dann jagen wir die Brut zum Teufel.“

Im März 1974 wird Franz Goldbrunner vom Schwurgericht München II wegen Totschlag und versuchtem Totschlag zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt. Das Gericht sowie der Staatsanwalt, der eine Freiheitsstrafe von neun Jahren gefordert hatte, werden daraufhin in Briefen bedroht. Max Elfinger, der Bürgermeister, startet zusammen mit Traugott Scherg, dem Landrat des Landkreises Pfaffenhofen an der Ilm, im lokalen „Ilmgau-Kurier“ einen Spendenaufruf für die Familie des Täters. Darin heißt es: „Das harte Urteil des Schwurgerichts, das einen angesehenen und beliebten Mitbürger sieben Jahre seines Lebens hinter Zuchthausmauern bringen soll, ist für uns alle unfaßbar.“ Zum Spendensammeln veranstaltet die Laienspielgruppe des Dorfes einen bunten Abend. Zum Ergebnis antwortet Elfinger dem Spiegel: „Mei, da ist schon viel eingegangen.“

Die Betroffenen versuchen, neben ihrem juristischen Vorgehen auch politisch für Gerechtigkeit zu kämpfen. Die Historikerin Daniela Gress, die zur ‚Bürgerrechtsbewegung deutscher Sinti und Roma‘ forscht, schreibt darüber in einem Aufsatz:

„Nachdem 1972 im bayerischen Niederthann eine schwangere Romni und schließlich 1973 in Heidelberg ein Sinto durch Schüsse tödlich verletzt worden waren, organisierte der Verband Deutscher Sinti seine erste öffentliche Demonstration durch die Heidelberger Altstadt. Im Rahmen dieses ersten öffentlichen Auftretens als Vertreter der Sinti und Roma forderten Vinzenz und Romani Rose, künftig mit der Eigenbezeichnung „Sinti“ angesprochen zu werden, da sie sich von den Fremdbezeichnungen „Landfahrer“ und „Z***“ „diffamiert“ fühlten. Weiter betonten
sie, dass sie endlich als „Deutsche Staatsbürger – mit allen Pflichten, aber auch mit allen Rechten“ anerkannt werden wollten. Diese erste Protestaktion wurde zwar von der Lokalpresse wahrgenommen, es mangelte aber an der nötigen politischen Unterstützung, um auch überregional Bekanntheit zu erlangen.“

Der Mord gerät in der Mehrheitsgesellschaft weitgehend in Vergessenheit. An die Ermordete Anka Denisov wird bis heute vor Ort nicht erinnert. Der Täter verstirbt im Sommer 2019.

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