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26. September 1980

München. Beim rechtsterroristischen Attentat am Haupteingang des Oktoberfests werden Gabriele Deutsch, Robert Gmeinwieser, Axel Hirsch, Markus Hölzl, Paul Lux, Ignatz Platzer, Ilona Platzer, Franz Schiele, Angela Schüttrigkeit, Errol Vere-Hodge, Ernst Vestner und Beate Werner ermordet, 221 Menschen werden verletzt.

Das Attentat

Am Nachmittag fährt der 21-jährige Student Gundolf Köhler von Donaueschingen nach München. Mehrere Zeug_innen sehen ihn am Abend in der Nähe des Eingangs zum Münchner Oktoberfest auf der Theresienwiese in Kontakt mit weiteren Männern. Um 22.19 Uhr legt Köhler eine Bombe in einen Drahtgitterpapierkorb am Haupteingang zur „Wiesn“. Die Bombe ist eine Konstruktion aus einer britischen Mörsergranathülle und der CO2-Treibgasflasche eines österreichischen Handfeuerlöschers, die mit 1,4 kg TNT oder einem ähnlichen gewerblichen Sprengstoff gefüllt ist. Sie explodiert, als Köhler noch in direkter Nähe steht. Die Metallteile des Sprengkörpers und des Papierkorbs verstärken die tödliche Wirkung. Auch Köhler kommt bei der Detonation ums Leben.

Der neonazistische Hintergrund

Gundolf Köhler war seit seiner Jugend in neonazistischen Gruppen aktiv gewesen, unter anderem in der NPD und der „Wiking-Jugend“. Als Student beteiligte Köhler sich zudem im extrem rechten „Hochschulring Tübinger Studenten“, einer Scharnierorganisation zwischen Neonazis und denjenigen, die damals eine bundesweite Ausdehnung der konservativen CSU anstrebten. Spätestens ab dem Jahr 1976 stand er mit der „Wehrsportgruppe Hoffmann“ (WSG), der ca. 3-400 Männer und Frauen umfassenden paramilitärischen Truppe Karl-Heinz-Hoffmanns, in engem Kontakt und nahm mindestens zweimal an ihren „Übungen“ teil. Die WSG hatte ein einschlägiges „Manifest“ zur Grundlage, in dem es u. a. antisemitisch hieß: „Alle Lebensbereiche dieser Erde beherrschen entweder rote Funktionärsgruppen, Zyniker der Macht, oder korrupte Marionettenregierungen der internationalen Hochfinanz.“ Politische Ziele würden niemanden in den Schoß fallen, sondern müssten immer erkämpft werden, „je höher das Ziel, umso größer die Opfer.“

Mitte September 1980 hatte Gundolf Köhler gegenüber zwei seiner engsten Freunde davon erzählt, zur Beeinflussung der bevorstehenden Bundestagswahl einen Sprengstoffanschlag in Bonn, Hamburg oder München verüben zu wollen. Nach dem Anschlag „könnte man es den Linken in die Schuhe schieben, dann wird der Strauß gewählt“. Doch als der Generalbundesanwalt am 23. November 1982 das Ermittlungsverfahren einstellt, ist davon keine Rede mehr. „Nach den gewonnenen Beweiserkenntnissen wahrscheinlicher als eine politisch motivierte Tat ist, dass Gundolf Köhler aus einer schweren persönlichen Krise und/oder aus übersteigertem Geltungsbedürfnis heraus gehandelt hat“ heißt es nun im Abschlussbericht des Generalbundesanwalts. Die Einstellungsbegründung entspricht der verheerenden Tradition in Deutschland, rechten Terror zu „entpolitisieren“ und zu verharmlosen. Die netzwerkförmige Organisierung des militanten Neonazismus wird mit der Fixierung auf angebliche „Einzeltäter“ ebenso geleugnet wie die ideologischen Kontinuitäten und Parallelen zwischen rechten Anschlägen, die öffentlich als bedauerliche, unpolitische „Einzelfälle“ umdeklariert werden.

Verdrängung, Gedenken, Aufarbeitung

Parallel zu der Verdrängung des Rechtsterrors geraten auch die Betroffenen vollständig ins Abseits. Kontinuierliche Unterstützungsangebote gibt es für die Hinterbliebenen und Schwerverletzten in den Jahren nach 1980 nicht, viele bleiben mit den seelischen Auswirkungen alleine und müssen ohne professionelle Hilfe einen Umgang mit den Tatfolgen finden.

Jahrzehntelang sind es vor allem Linke, Gewerkschafter_innen und Antifaschist_innen, die sich um die Erinnerungsarbeit kümmern. Im Jahr 1982 verbietet die Stadt München zunächst die auf dem Königsplatz geplante Gedenkfeier mit der Begründung, es würde von den Veranstalter_innen „wider besseres Wissen behauptet, der bedauerliche Anschlag auf der Theresienwiese sei durch ‚Faschisten oder Neonazis‘ verübt worden“. Ignaz Platzer, dessen zwei kleine Kinder beim Attentat ermordet worden waren, sagt damals: „die Stadt will nicht, wie im Bescheid des Kreisverwaltungsreferats steht, verhindern, dass die Unwahrheit gesagt wird, sondern verhindern, dass die Wahrheit ans Tageslicht kommt.“

Mit seinem dritten Wiederaufnahmeantrag, den Rechtsanwalt Werner Dietrich am 25. September 2014 beim Generalbundesanwalt in Karlsruhe, einreicht, hat er endlich Erfolg. Die Behörde lässt das LKA Bayern die Ermittlungen nach 34 Jahren wieder aufnehmen. Fünfeinhalb Jahre später, am 8. Juli 2020, wird mit einer schlichten Pressemitteilung die erneute Einstellung dieser Ermittlungen bekanntgegeben: „Die Möglichkeit einer Beteiligung weiterer Personen“ könne zwar „nicht ausgeschlossen werden“, heißt es darin, es hätten sich aber „keine zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkte für eine Beteiligung weiterer Personen als Mittäter, Anstifter oder Gehilfen an der Tat des bei dem Anschlag ums Leben gekommenen Gundolf Köhler“ gefunden. Neu ist allerdings – nach 40 Jahren behördlicher Leugnung bzw. Desinformation – das Eingeständnis des politischen, rechten Tathintergrunds: „Gundolf Köhler handelte aus einer rechtsextremistischen Motivation heraus. Dies folgt aus seinen Kontakten in rechtsextremistische Kreise, seinen kurz vor der Tat getätigten Äußerungen, wie man die bevorstehende Bundestagswahl beeinflussen könne, sowie seinem in diesem Zusammenhang ebenfalls geäußerten Wunsch nach einem dem nationalsozialistischem Vorbild folgenden Führerstaat.“

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