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17. Dezember 1988

Schwandorf (Lkr. Schwandorf). In der Nacht zum 17. Dezember werden kurz nach Mitternacht Fatma Can (44 Jahre, Arbeiterin bei Siemens), Osman Can (50 Jahre, Arbeiter im Eisenwerk, aktiv bei der IG Metall), ihr Sohn Mehmet Can (12 Jahre) und Jürgen Hübener (47 Jahre, Akustiker, aktiv in der DKP) durch einen neonazistischen Brandanschlag ermordet.

Der Anschlag:

In der Nacht vom 16. auf den 17. Dezember 1989 geht der Schwandorfer Neonazi Josef Saller gezielt zu Häusern in der Schwandorfer Innenstadt, in denen Menschen mit internationaler Familiengeschichte leben. An die Wand eines Gebäudes in der Höflingerstraße klebt er gegen 22.45 Uhr einen Aufkleber mit der Aufschrift „Volksbewegung gegen Überfremdung“ und „Türken raus!“. Er geht zurück zur elterlichen Wohnung, um Zündhölzer zu holen. Am „Habermeier-Haus“ in der Schwaigerstr. 2, einem zweistöckigen Geschäftshaus an der Ecke Postgartenstraße, gelangt Saller vom Hinterhof aus in den Flur und zündet gegen 0.15 Uhr mit Packpapier gefüllte Kartons unter der Holztreppe an. Im Erdgeschoss ist das Elektrogeschäft „Habermeier“, im ersten Stock wohnt die Familie Hübener, im zweiten Stock die Familie Can. Das Treppenhaus gerät in Vollbrand, rasch breitet sich das Feuer auch auf die oberen Wohnungen aus. Zu diesem Zeitpunkt sind sechzehn Menschen im Gebäude. Saller flüchtet zurück in die Wohnung seiner Eltern.

Um 1.27 Uhr beginnen 100 Feuerwehrleute einen Löscheinsatz. Einige der Eingeschlossenen springen aus den Fenstern. Vier Menschen sterben in den Flammen, sechs werden schwer verletzt. Das Haus brennt vollständig ab, es entsteht ein Sachschaden von über 1,5 Millionen DM. Die Staatsanwaltschaft weist Diskussionen über eine mögliche Brandstiftung energisch zurück, Funken aus einem der Öfen hätten den Brand verursacht, heißt es zunächst. Bis die Ermittlungen die Polizei infolge des um die Ecke geklebten rassistischen Aufklebers dann nach ein paar Wochen doch zum stadtbekannten Neonazi Josef Saller führen.

Der Täter und sein Umfeld:

Josef Saller ist 19 Jahre alt und wohnt in Schwandorf. Schon als 15-jähriger ist er in der Schule durch rassistische Schmierereien aufgefallen, sein Lehrmeister nennt ihn „unser Brauner“. In seinem Zimmer hängt ein NPD-Plakat „Deutschland den Deutschen!“, für die „Jungen Nationaldemokraten“ (JN) verteilt er Flugblätter, auch zur FAP unterhält er Kontakte und verbreitet deren Propagandamaterial. Bei der neonazistischen „Schülerzeitung“ „Klartext“ gehört er zur „Redaktionsgemeinschaft“. Er hat Verfahren wegen Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (im Münchner Olympiastadion soll er am 26. November 1988 ‚Sieg Heil‘ gerufen haben) und wegen Volksverhetzung zu erwarten. Ein Jahr vor dem Brandanschlag hat Saller, der in schwarzer Bomberjacke und mit Barett sowie mit einem Baseballschläger bewaffnet durch Schwandorf streift, einen WAA-Gegner bei einem Überfall auf dem Schwandorfer Marktplatz mit einem zugeschliffenen Ring im Gesicht verletzt. Einen 16-jährigen Jungen mit Behinderung zerrte er im Stadtpark aus dessen Rollstuhl und misshandelte ihn. Die taz berichtet im Jahr 1990 über Saller: „’Ich hätte gerne bei der Bundeswehr eine Einzelkämpferausbildung gemacht‘ erzählt er später den Gutachtern. Wegen eines Augenleidens wird er jedoch ausgemustert. Eine Freundin hätte er auch schon gerne gehabt. Aber das sei verdammt schwer, ‚angesichts der Emanzipation der Frau’“. Der Maler- und Lackierer-Lehrling wird schließlich Mitglied der bundesweit agierenden „Nationalistische Front“ (NF) und fährt mehrmals zu Ausbildungslagern und Bundesparteitagen in das „Nationalistische Zentrum“ der NF in der Bielefelder Bleichstraße 143, aber auch zu einem Neonazitreffen 1986 im niedersächischen Northeim. Nach Angaben der Lokalzeitung soll Saller an Übungen einer „Wehrsportgruppe“ teilgenommen haben. Zum elitären Konzept der NF gehört es, dass einzelne „Kader“ geschult werden, die dann vor Ort eher konspirativ agierende Gruppen anführen sollen. Im Stadtteil Ettmannsdorf schart Saller zehn bis zwanzig jüngere Naziskinheads um sich. Mit Baseballschlägern bewaffnet fahren sie nach Nürnberg und München oder bedrohen die WAA-Gegner_innen in der Oberpfalz. Saller will aus der Gruppe zukünftig eine militante „NF-Zelle“ bilden. Die Fachjournalistin Andrea Röpke wird Jahrzehnte später im NSU-Untersuchungsausschuss des nordrhein-westfälischen Landtags über den Charakter der NF-Nazis und den Brandanschlag von Schwandorf ausführen: „Es gibt sehr harte Bilder, die später beschlagnahmt worden sind, auf denen sie tatsächlich mit Schnellfeuergewehren posieren, auf denen sie bei Wehrsportschießübungen zu sehen sind. Ihre eigenen Fotos zeigen immer wieder bewaffnete Trupps. Die Nationalistische Front war vordergründig eine Partei, die 1992 verboten worden ist, aber hintergründig war sie eine durch und durch militante Kampfgemeinschaft“.

Die Behörden:

Der Polizei gegenüber gesteht Saller am 5. Januar 1989 zunächst die Tat und wiederholt sein Geständnis auch noch einmal vor der Ermittlungsrichterin. Er habe den Anschlag aus „Wut über Ausländer“ begangen. Später wird er diese Aussagen widerrufen. Bei ihm werden Adressen militanter Neonazis aus der ganzen Bundesrepublik gefunden. Die Polizei tritt dennoch sofort mit der Behauptung an die Öffentlichkeit, dass keine rechtsradikale Gruppierung „im Hintergrund mitwisserisch oder anstifterisch tätig gewesen sei.“ Saller, so werden die Behörden und Politik die Tat auch noch in den kommenden Jahrzehnten verharmlosen, sei ein „Sonderling“ und „Einzeltäter“. Der Polizeipressesprecher versteigt sich gegenüber der „Taz“ sogar zu der Aussage, dass es „keine Hinweise auf rechtsradikale Gruppen im Landkreis“ gebe. Ein Jahr zuvor hatten Neonazis aus dem Schwandorfer, Neuburger und Nabburger Raum die Diskothek „Charly M.“ in Neuburg überfallen und unter „Heil Hitler“ und „Juden raus“-Parolen zwei Menschen schwer verletzt. „Der Spiegel“ schreibt: „Dass Extremistisches wächst und gedeiht in der oberpfälzischen Provinz, hat wohl auch zu tun mit einer gewissen Geistesverwandtschaft zwischen biederen Bürgern und radikalen Rechtsbrechern. ‚In der Bevölkerung gibt es eine allgemeine Stimmung gegen Asylanten‘. sagt ein Kriposprecher aus Bamberg und er nennt auch die Quelle seiner Erkenntnis: ‚Hören Sie sich doch einmal ihn den Gasthäusern um, wie die Leute reden.’“

Die Betroffenen und die Stadt:

Der „Koordinierungsrat der Türken in Nordbayern“ organisiert im Januar 1989 einen Schweigemarsch in Schwandorf. 1000 – 2000 Teilnehmer_innen ziehen gegen Rassismus und gegen die „Einzeltätertheorie“ der Behörden durch die Innenstadt. „Hoffentlich sind sie die letzten Opfer“ steht auf einem Transparent. Mustafa Özkececi appelliert an die Verantwortlichen: „Sie müssen für unsere Sicherheit sorgen. Das ist die Aufgabe der Bundesrepublik, schleunigst Maßnahmen gegen solche Verbrechen zu ergreifen.“ Zur Demo ist auch die junge Leyla Can gekommen, deren Eltern und Bruder durch den Brandanschlag ermordet worden sind. Grüne Kommunalpolitiker_innen und SPD-Stadträt_innen nehmen auch teil. Der Schwandorfer Oberbürgermeister Hans Kraus (CSU) bleibt der Veranstaltung bewusst fern. Es gebe für ihn „keinen Anlass für eine solche Kundgebung“ sagt er laut einer eigens veröffentlichten Stellungnahme. Er wolle nicht den Eindruck erwecken, „dass hier in unserer Stadt ein Hort des Neonazismus wäre und als müsste man sich gegen solche Tendenzen wehren.“

Prozess und Haft:

Saller wird ab dem 2. April 1990 lediglich wegen besonders schwerer Brandstiftung, nicht aber wegen Mordes, vor der Jugendstrafkammer des Landgerichts Amberg angeklagt und nach vier Prozesstagen zu einer Haftstrafe von zwölfeinhalb Jahren verurteilt. Die „Taz“ berichtet vom Prozess, die Kammer befinde zwar, Saller sei „ausländerfeindlich eingestellt“, sie sehe aber keine Hinweise auf eine politisch motivierte Tat. Im Urteil sagt der Richter, es gebe keinen Zusammenhang zwischen der Tat und Sallers rechtem Umfeld. Während der Haft in der JVA Straubing wird Saller von der neonazistischen „Hilfsorganisation für nationale politische Gefangenen und deren Angehörige e.V.“ (HNG) betreut. Er schickt der Neonaziszene Interviews und Artikel, die NF-Zeitschrift „Frontal“ zitiert ihn, sein „größter persönlicher Wunsch“ sei ein „besatzer- und ausländerfreies Deutschland in germanisch-preußischer Tradition in den Grenzen von 1938, ein Europa ohne N****, Rote und Hakennasen“. Nach seiner Haftentlassung am 3. Juli 2001 zieht Saller eine Zeitlang zu Neonazis ins Umfeld der NPD-Zeitung „Deutsche Stimme“ im sächsischen Riesa.

Der Kampf um die Erinnerung:

Antifaschist_innen mobilisieren zum ersten Jahrestag des Anschlags zu einer Demo „Gemeinsam gegen Rassismus, Ausländerfeindlichkeit und Faschismus!“ am 16. Dezember 1989 nach Schwandorf. Das Flugblatt zur Aktion ist in deutscher und türkischer Sprache gehalten. Sie fordern die „Bestrafung der Atentäter vom 16./17.12.1989“, eine „am Menschen orientierte Sozial- und Ausländerpolitik“ sowie „das Anbringen einer Gedenktafel am renovierten Habermeier-Haus“. Als ein temporärer Gedenkstein aus Pappe auf den Grünstreifen vor das Haus gestellt wird, lässt ihn die Stadt sofort entfernen. Die Grünen-Stadträtin und Landtagsabgeordnete Irene Maria Sturm beantragt 1994 zum ersten Mal die Aufstellung eines Mahnmals, der Stadtrat lehnt das umgehend ab.

1998, zehn Jahre nach dem Anschlag, erinnert vor Ort nichts mehr an die Tat. 1315 Menschen unterschreiben bei einer lokalen Unterschriftensammlung für die Aufstellung eines Gedenksteins. Mit der CSU-Mehrheit lehnt der Hauptausschuss des Schwandorfer Stadtrats die erneut von Irene Maria Sturm sowie vom Schwandorfer Bündnis gegen Rechts geforderte Aufstellung eines Mahnmals mit den Namen der vier Ermordeten ab. Die „Süddeutsche Zeitung“ schreibt: „Da es in Schwandorf keine Neonazi-Szene gebe und sich der Anschlag nicht von anderen Gewaltverbrechen unterscheide, sei ein solches Mahnmal abzulehnen, erklärten Stadträte der CSU“. CSU-Fraktionsvorsitzender Uwe Kass warnt: Falls am Samstag beim Jahrestag ein Gedenkstein aufgestellt werden sollte, „werden wir den natürlich entfernen lassen.“ Bei Irene Sturm gehen Drohanrufe ein: „Sie gehören längst aufgehängt“, „die Kanacken sollen zu Hause bleiben“. Zum Jahrestag mobilisieren das Schwandorfer „Bündnis gegen rechts“ sowie Antifaschist_innen aus ganz Bayern nach Schwandorf zu einer Demo „Den rassistischen Brandanschlag von 1988 niemals vergessen“. Die 400 Demonstrant_innen wenden sich auch gegen Abschiebungen und die Kriminalisierung von Antifaschist_innen, außerdem fordern sie erneut, dass endlich ein Mahnmal aufgestellt wird. In ihrem Demozug führen sie den bereits vorbereiteten Stein mit. Irene Sturm gibt nicht auf und beantragt auch 1999 und 2001 die Aufstellung eines Mahnmals. Die Mehrheit der Stadträt_innen lehnt den Antrag jedesmal ab. Der CSU-Fraktionsvorsitzende Uwe Kass sagt, es könne nicht angehen, „Unterschiede bei Opfern von Gewaltverbrechen zu machen“, man müsste sonst „für jedes Gewaltopfer ein Mahnmal errichten, absolut für jedes.“ Der „Freie Wähler“-Stadtrat Hans Zilch soll seine Ablehnung des Mahnmals damit begründet haben, dass der „deutsche“ Name eines Todesopfers „nicht an erster Stelle“ genannt sei.

2007 heißt es in einem „indymedia“-Artikel: „Nichts erinnert daran, dass in diesem Haus einmal vier Menschen verbrannten, Opfer eines rassistischen Brandanschlags. Wer die Zeit um die Debatten um das Mahnmal nicht miterlebt hat, weiß nicht einmal, dass der Anschlag jemals stattgefunden hat. Dafür etabliert sich im Landkreis Schwandorf so langsam wieder eine große, rechte Szene: Es gibt eine Stammkneipe, die Stadt ist übersät mit NPD- und C18-Aufklebern, überall an den Wänden sind Nazischmierereien. ‚Das Reich kommt wieder‘, ist zu lesen, oder ‚Ruhm und Ehre der Waffen-SS‘. Aber auch ‚18.12.1988: Barbecue in Schwandorf.‘ Mitte Juni hielt die NPD ihr Sommerfest im 5 km entfernten Schmidgaden ab, knapp 100 AntifaschistInnen waren in Gewahrsam, während die Nazis fröhlich ihr kleines Fest feierten.“ Im selben Jahr, 2007, wird – ohne Stadtratsbeschluss – am Habermeier-Haus eine kleine Gedenktafel angebracht, sie wird schnell von Unbekannten heruntergerissen und muss erneuert werden.

Zu dieser Zeit ist das Attentat vor Ort, aber auch bundesweit, längst verdrängt. Im „Merkur“ heißt es vor dem Jahrestag 2009: „Mittlerweile ist es nur noch ein kleines Häuflein Engagierter, das sich in Schwandorf mit dem Brandanschlag auseinander setzt. Ein Bündnis für Toleranz, Integration und Menschlichkeit hat aus Anlass des Jahrestags eine Ausstellung über Rechtsextremismus zusammengestellt. Für die Organisation einer Gedenkkundgebung hätten sich aber nicht genügend Unterstützer gefunden, bedauert Ausstellungsmacher Willi Rester“ Und: „Auch die früher heftig diskutierte Aufstellung eines Gedenksteines ist in Schwandorf kein Thema mehr. Die Mehrheit der rund 27 000 Einwohner möchte offenbar an die ausländerfeindliche Gewalttat nicht mehr erinnert werden.“ Kurzfristig organisiert der Oberbürgermeister Helmut Hey (SPD) daraufhin doch noch eine Gedenkveranstaltung – sie wird zum Beginn einer jährlichen Tradition, an der sich auch Hinterbliebene und Betroffene beteiligen. 2016 wird der Gedenkstein, der die vergangene Jahrzehnte in einem Hinterhof überdauert hatte, am Schlesierplatz in der Nähe des „Habermeier-Hauses“ aufgestellt.

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