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Antifeministische Allianzen – Recherchen über den „Marsch fürs Leben“ in München

Neben dem „Marsch für das Leben“ in Berlin hat sich in München eine weitere Großdemonstration radikaler AbtreibungsgegnerInnen etabliert.

Von Lina Dahm

Bei der zweiten Auflage des Münchner „Marsch fürs Leben“ demonstrierten im März 2022 knapp 2.000 AbtreibungsgegnerInnen gegen das Recht auf Schwangerschaftsabbrüche. Für den dritten Marsch am 25. März 2023 haben die OrganisatorInnen Mitte Januar mit der Mobilisierung begonnen. Aus einigen süddeutschen Städte sind Busanreisen angekündigt.

Ein Blick auf die TeilnehmerInnen der vergangenen zwei Jahre zeigt: Der Kampf gegen das Recht auf Schwangerschaftsabbrüche schlägt, wie Antifeminismus insgesamt, eine Brücke zwischen fundamental christlichen, konservativen und extrem rechten AkteurInnen. Einige sind eng vernetzt, andere nur ideologisch oder durch fehlende Abgrenzung miteinander verbunden. Einige machen keinen Hehl aus ihrer Weltanschauung, andere würden am liebsten im Verborgenen bleiben. Einige mimen die harmlosen SamariterInnen, andere schaffen es nur sehr bedingt, ihre Misogynie zu verstecken. Gemein ist ihnen allen, dass sie Teil einer (extrem) rechten Bewegung sind.

Schild „Abortion ist baby murder“ auf der Abschlusskundgebung beim „Münchner Marsch fürs Leben“ 2022. Foto: Robert Andreasch
Schild „Abortion ist baby murder“ auf der Abschlusskundgebung beim „Münchner Marsch fürs Leben“ 2022. Foto: Robert Andreasch

„Für die Ungeborenen“

Die aktivste Gruppierung innerhalb der antifeministischen Allianz, die sich gegen Schwangerschaftsabbrüche positioniert, ist die Anti-Choice-Bewegung. Als Graswurzel-Bewegung setzt sie die Themen, übernimmt die aktivistische Arbeit auf der Straße, in den Parlamenten, Gerichtssälen und im Internet. In Deutschland gibt es derzeit über 50 Vereine, die sich explizit dem sogenannten „Lebensschutz“ verschrieben haben und – wie sie sagen – das Leben von der Befruchtung bis zum natürlichen Tod schützen möchten. Die selbsternannten „LebensrechtlerInnen“ profitieren von internationalen Netzwerken und können dank diesen auf reichlich Know-How, persönliche Daten von UnterstützerInnen und finanzielle Mittel zurückgreifen.

Der Verein „Stimme der Stillen“

Mit Blick auf den Münchner „Marsch fürs Leben“ ist zunächst der Verein „Stimme der Stillen“ relevant, der die Demo organisiert. Mit knapp 2.000 radikalen AbtreibungsgegnerInnen entwickelte sich der Marsch während der Pandemie zur zweiten großen öffentlichen Veranstaltung der Anti-Choice-Szene in Deutschland. Die Vorsitzende des Vereins, Silja Fichtner, ist kein unbeschriebenes Blatt. Seit einigen Jahren fungiert sie als Ansprechpartnerin der Münchner Dependance der US-amerikanischen Gebetsinitiative „40 days for life“, die weltweit Gehsteigbelästigung organisiert. Ihr Mann ist Rechtsanwalt und regelt für sie alle rechtlichen Belange rund um das Versammlungsgeschehen.

Die Aufgaben im Vorstand des Vereins „Stimme der Stillen“ teilt sich Fichtner mit Andreas Wagner (Schatzmeister) und Richard Theisen (2. Vorsitzender). Wagner ist CSU-Funktionär und Aktivist beim Münchner Ableger der Anti-Choice-Gruppe „ProLife Europe“. Auf Facebook warf er Ärzt*innen die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, „vorgeburtlichen Kindsmord“ vor, spricht vom „linken Mob“ und relativiert mit dem Hashtag „AllLivesMatter“ die Notwendigkeit politischer Kämpfe der Black-Lives-Matter-Bewegung. Theisen ist „Alter Herr“ der katholischen Studentenverbindung Unitas Ruhrania in Essen. Beim ersten Marsch war Theisen noch Versammlungsleiter und Moderator, 2022 war er dann nicht mit von der Partie. Die Moderation übernahm stattdessen der AfD-nahe Funktionär Christian Schumacher. Der hatte in der Vergangenheit versucht, mit der „Campus Alternative“ eine AfD-Hochschulgruppe an der LMU München zu etablieren.

„Der wahre Skandal unserer Zeit liegt darin, daß Frauen ihre zuvorderst und ureigene Aufgabe der Weitergabe des Lebens aberkannt und ausgeredet wird“, teilte Silja Fichtner den LeserInnen der extrem rechten Wochenzeitung „Junge Freiheit“ in einem Leserbrief mit. Es ist also schon erstaunlich, dass selbsternannte „LebensschützerInnen“ entrüstet von sich weisen, Teil einer Bewegung zu sein, die konservative bis extrem rechte, zu Teilen antidemokratische Positionen vertritt. Zumal angesichts der involvierten Personen, Grußworte, Struktur der TeilnehmerInnen und einschlägigen Würdigungen in den sozialen Netzwerken nicht zu leugnen ist, dass es entsprechende Verstrickungen des Vereins „Stimme der Stillen“ gibt. Die nationale und internationale Anti-Choice-Szene fühlt sich entsprechend beim „Marsch fürs Leben“ in München genauso pudelwohl, wie konservative und extrem rechte Kreise.

Der Münchner „Marsch fürs Leben“ gleicht in vielerlei Hinsicht seinem Berliner Pendant, der seit vielen Jahren im September stattfindet. Um in einer zunehmend säkularen Gesellschaft anschlussfähig zu sein, argumentiert man öffentlich nur zurückhaltend mit religiösen Motiven gegen Schwangerschaftsabbrüche. Stattdessen präsentieren sich die AbtreibungsgegnerInnen als VerfechterInnen von „Menschenrechten der Ungeborenen“ und VerteidigerInnen von Frauen im Schwangerschaftskonflikt. Die Bewegung ist mindestens rechtsoffen, von den VeranstalterInnen vorgefertigte Schilder sollen darum bei den Demonstrationen das Risiko verringern, dass das sorgfältig gepflegte Image nicht von extrem rechten Parolen beschädigt wird.

Eine teilnehmende Person beim „Marsch fürs Leben“ hat sich eine Tasche der „Aktion Lebensrecht für Alle“ (ALfA) geholt. Foto: Robert Andreasch
Eine teilnehmende Person beim „Marsch fürs Leben“ hat sich eine Tasche der „Aktion Lebensrecht für Alle“ (ALfA) geholt. Foto: Robert Andreasch

Wie beim Berliner Marsch nutzen auch in München verschiedene Anti-Choice-Vereine den Tag der Demonstration, um über ihre Arbeit zu informieren und Merchandise-Artikel zu verkaufen. Auf dem Königsplatz brachten 2022 „ProLife Europe“, die „Aktion Leben“ oder die „Aktion Lebensrecht für Alle“ und ihre Jugendorganisation „Jugend für das Leben“ T-Shirts, Stoffbeutel und Informationen an ihr Klientel. Am Stand von „sundaysforlife“ verteilten Mitglieder des Vereins unter anderem Material mit dem die AbtreibungsgegnerInnen versuchen, die staatlich anerkannte Beratungsstelle „pro familia“ zu diffamieren. Am Stand der unionsnahen „Christdemokraten für das Leben“ stand die Vorsitzende des bayerischen Ablegers, Christiane Lambrecht, dem verschwörungsideologischen Sender AUF1 Rede und Antwort. Im Gegensatz zu früher sei Abtreibung „Normalität geworden“, beklagte Lambrecht. „Der Wert eines Menschen (ist) für die Gesellschaft hinten runter gefallen.“ Ein Grund für diesen „Kulturwechsel“ sei laut Lambrecht, dass „bereits Kindern in der Schule beigebracht wird: Wenn du aus Versehen schwanger wirst, dann hast du versagt.“ Wie bei Lambrecht ist die Kritik an Abtreibung für Anti-Choice-AktivistInnen häufig verbunden mit einer umfassenden Kritik an der heutigen Gesellschaft. „Was man nicht schätzt, kann man wegmachen.“ fasste Lambrecht polemisch zusammen.

Demonstrationen wie der „Marsch fürs Leben“ sind nur eine der vielen Methoden, mit der die Anti-Choice-Bewegung versucht, ihre Ziele zu erreichen. Wenn sie nicht demonstrieren, belagern sie Kliniken, Praxen und Beratungsstellen, versuchen mit Infoständen die Gesellschaft davon zu überzeugen, dass Schwangerschaftsabbruch Unrecht ist und nehmen mittels Lobbyarbeit Einfluss auf Politiker*innen, die Gesetze in ihrem Sinne gestalten sollen. Seit der Debatten und der Streichung des §219a StGB spürt die Szene Gegenwind. Die Folge ist, dass sie im Netz und auf der Straße aktiver geworden sind. Die US-amerikanische Abtreibungsgegnerin Terissa Bukovinac rief beim Berliner „Marsch für das Leben“ 2022 gar zu „direct action“ auf und geht mit ihrer Organisation (PAAU) in den USA mit schlechtem Beispiel voran.

Die christliche Rechte beim „Marsch fürs Leben“

Für die meisten AbtreibungsgegnerInnen sind es religiöse Motive, die sie zu KämpferInnen gegen reproduktive Rechte, Feminismus und Pluralismus im Allgemeinen machen. Sie glauben an das Konzept der „Simultanbeseelung“, also die Erzählung, dass beim Verschmelzen von Samen und Eizelle ein Mensch mit Seele geschaffen ist. Demnach ist für sie jede Schwangerschaft Gottes Wille und Abtreibung Sünde.

Eine teilnehmende Person trägt einen Beutel mit einem Zitat des ehemaligen Papstes: „One who has hope lives differently - Benedict XVI“. Foto: Robert Andreasch
Eine teilnehmende Person trägt einen Beutel mit einem Zitat des ehemaligen Papstes: „One who has hope lives differently – Benedict XVI“. Foto: Robert Andreasch

Aus dem Vatikan und Teilen der Amtskirchen erhält die Anti-Choice-Szene Unterstützung. Der aktuelle Papst Franziskus bezeichnete Schwangerschaftsabbrüche wiederholt als „Auftragsmord“. „Mit den besten Segenswünschen“ dankte zum Beispiel der Passauer Bischof Stefan Oster 2022 den TeilnehmerInnen des Münchner „Marsch fürs Leben“. „Der Lebensschutz“, so Oster, „ist für die Kirche keine Ideologie, sondern er ist Realität“. Es sind jedoch nur eine Handvoll der insgesamt 67 deutschen Bischöfe, die sich so explizit äußern.

Erzkonservative Vereinigungen statt Amtskirche

Bei den Märschen merkt man, wie sehnlich sich die Anti-Choice-Szene einen Zuspruch seitens der Amtskirche wünscht. Auf dem Münchner Königsplatz sind es jedoch weniger die offiziellen Vertreter der Kirche, die sichtbar sind. Kardinal Marx, den die OrganisatorInnen eingeladen hatten, liess sich bei den Märschen bisher nicht blicken. Bei den letzten beiden Märschen musste der Verein „Stimme der Stillen“ also mit dem Passionisten Johannes vorlieb nehmen. Im schwarzen Habit rief der Priester aus Pasing den TeilnehmerInnen vom „Marsch fürs Leben“ und den „linksbunten Freunden“ vom Gegenprotest ein euphorisch-überdrehtes „Hallelu-Ja“ entgegen.

Zum Bild gehörten bei den Münchner Anti-Choice-Märschen aber durchaus Kirchenmänner in langen, traditionellen Soutanen und breitkrempigen Hüten. Diese Herren sind Angehörige erzkatholischer Vereinigungen wie der Piusbruderschaft, Regnum Christi oder der Petrusbruderschaft, die für ihre Kinder- und Jugendorganisation Fahrten nach München organisierten. Während den Amtskirchen die Mitglieder in Scharen davonlaufen, scheinen diese ultrakatholischen Vereinigungen Zulauf zu erhalten. Trotz – oder gerade wegen – der aggressiven Missionierungsarbeit, fundamentalistischer Tendenzen und der Ablehnung von Reformbestrebungen innerhalb der Kirche scheinen diese Vereinigungen erzkonservative und rechtskatholische Gläubige anzuziehen. Die dort zum Teil vertretenen antisemitischen beziehungsweise antidemokratischen und menschenfeindlichen Positionen sind das eine, dass trotz der Missbrauchsvorfälle in der katholischen Kirche Eltern ihre Kinder Jugendorganisationen wie der „Katholischen Jugendbewegung“ (KJB) und „ECYD“ anvertrauen, macht betroffen.

Ein Aktivist der KJB („Katholische Jugendbewegung“), Jugendorganisation der Pius-Bruderschaft, posiert beim „Marsch fürs Leben“ 2022 für ein Foto. Foto: Robert Andreasch
Ein Aktivist der KJB („Katholische Jugendbewegung“), Jugendorganisation der Pius-Bruderschaft, posiert beim „Marsch fürs Leben“ 2022 für ein Foto. Foto: Robert Andreasch

Um Fundamentalismus in der Demokratie zu verhindern, hat der Staat die Aufgabe, verschiedene Rechtsgüter gegeneinander abzuwägen. Beim Thema Abtreibung wurde dieses Prinzip immer wieder über Bord geworfen. Als das Bundesverfassungsgericht 1975 und 1993 Urteile über den Paragrafen 218 StGB fällte, griffen die Richter*innen auf das von Papst Pius ausgedachte Konzept der „Simultanbeseelung“ zurück. Sie entschieden nicht wie vorgesehen weltanschaulich neutral, sondern verpassten dem ungeborenen Embryo und Fötus oder der befruchteten menschlichen Eizelle in einer Petrischale ohne rationale Begründung uneingeschränkte Superrechte der Menschenwürde. Harte Strafen für abtreibungswillige Personen scheinen da nur konsequent. Erst Recht aus der Sicht christlicher Fundamentalist*innen, die die Bibel als Legitimationsgrundlage für ihre autoritären Vorstellungen heranziehen.

Gleichzeitig stemmt sich die christliche Rechte gegen die Pluralität und Moderne (die assoziiert werden mit Feminismus oder „Gender-Ideologie und wie Theresa Habsburg es 2022 auf der Bühne ausdrückte, einer mächtigen „Abtreibungslobby“). Aus ihrer Sicht kämpfen sie nicht nur gegen Schwangerschaftsabbrüche, sondern gegen die „Barbarei“, welche die Gesellschaft ereile, wenn diese legalisiert würden. Im Hinterkopf haben sie eine romantisierte Vergangenheit, die in ihrer Vorstellung gut ist, weil sie auf christliche Traditionen und ihre Wertvorstellungen fußt.

Netzwerke und NetzwerkerInnen beim „Marsch fürs Leben“ in München

Feminist*innen sehen sich im Kampf um reproduktive und sexuelle Rechte und allgemein in geschlechterpolitischen Auseinandersetzungen einer gut vernetzten Allianz religiöser Extremist*innen gegenüber. Dieses Netzwerk ist überkonfessionell, funktioniert über Grenzen hinweg und versorgt diverse AkteurInnen mit Wissen und sehr viel Geld. Das European Parliamentary Forum for sexual and reproductive rights (EPF) recherchierte, dass zwischen 2009 und 2018 insgesamt 707,2 Millionen US Dollar in die Arbeit europäischer Anti-Gender-AkteurInnen flossen. Die GeldgeberInnen sitzen in den USA, Russland und Europa. Als das EPF 2018 seine Recherche zu einer transnationalen Gruppierung namens „Agenda Europe“ veröffentlichte, war klar, warum es kein Zufall ist, dass sich Strategien, Wording und Ziele verschiedener internationaler Anti-Choice- und Anti-Gender-AkteurInnen gleichen. Angeleitet vom Vatikan hatte das transnationale Netzwerk es geschafft, Konsens zwischen konservativen TraditionalistInnen und eine gemeinsame reaktionäre Vision zu schaffen. Die Grundlagen der Arbeit fasst ein „Manifest“ mit dem Titel „Restoring the natural order“ (dt. „Die natürliche Ordnung wiederherstellen“) zusammen. Darin listet die Gruppierung penibel auf, warum und wie sie gegen reproduktive Rechte, gleichgeschlechtliche Partnerschaften und Gleichstellungs- und Antidiskriminierungsgesetze vorgehen will.

Grundrechte nutzen, um andere zu diskriminieren

Dank dieser und anderer Recherchen ist mittlerweile nachvollziehbar, wie diese Netzwerke arbeiten und welche Ziele sie verfolgen. Das Kippen des amerikanischen Urteils „Roe v. Wade“ war der letzte große Sieg der Bewegung. Die Folgen für gewollt und ungewollt Schwangere sowie LGBTIQ-Personen sind in einigen US-Staaten so gravierend, dass man durchaus von dystopischen Zuständen sprechen kann. Mit „Lebensschutz“, wie die Szene mit ihrer Selbstbezeichnung suggeriert, hat das nichts zu tun. Indem sie sich auf Religions-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit berufen, nutzen sie jene Freiräume, die in demokratischen Gesellschaft besonders geschützt sind, um ihrerseits andere zu diskriminieren. Indem sie Embryonen und Föten Menschenwürde zusprechen, sprechen sie diese gleichzeitig schwangeren Menschen ab. Indem sie Feminist*innen und andere politische Gegner*innen dämonisieren, erheben sie sich selbst zur einzigen moralischen Instanz, welche unsere Gesellschaft vor dem moralischen Untergang bewahren würde.

Transparent von „40 Days for Life" beim „Marsch fürs Leben“ 2022 in München. Foto: Lina Dahm
Transparent von „40 Days for Life“ beim „Marsch fürs Leben“ 2022 in München. Foto: Lina Dahm

Die Anti-Choice-Gruppierung „40 days for life“ (dt.: 40 Tage für das Leben) ist bekannt für diese Strategie. Gegründet in den USA, ist die Gruppierung mittlerweile auf der ganzen Welt aktiv. Im Frühjahr 2016 tauchten das erste Mal kleine Grüppchen betender Menschen vor einer Münchner Beratungsstelle von „pro familia“ und einer Klinik in München-Freiham unter diesem Label auf. Es folgten ähnliche Proteste in Frankfurt am Main, Passau, Stuttgart, Pforzheim und Wien, bei denen AktivistInnen von „40 days for life“ seither im Frühjahr und Herbst Kliniken belagern – teilweise den ganzen Tag.

Im Juni 2022 trafen sich im Sindelfinger Marriot Hotel AbtreibungsgegnerInnen aus der ganzen Welt bei einem „International Leader Symposium“ der Initiative „40 days for life“. Unter den Anwesenden waren neben dem President & CEO Shawn Carney auch das Vorstandsmitglied Matt Britton, der 2023 beim „Marsch fürs Leben“ in München sprechen soll. Neben VertreterInnen aus Taiwan, Spanien oder Kroatien teilte der Münchner Anti-Choice-Aktivist Wolfgang Hering seine langjährigen Erfahrungen. Hering organisiert seit Jahrzehnten die sogenannten „1000-Kreuze-Märsche“ und in München monatliche Protestmärsche zu einer „pro familia“-Beratungsstelle und Kliniken, in denen Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt werden.

Ebenfalls in Sindelfingen mit dabei war Tomislav Čunović. Der Rechtsanwalt aus Frankfurt am Main ist einer der federführenden Akteure der Mahnwachen von „40 days for life“ und reiste am 19. März 2022 mit mehreren MitstreiterInnen und eigenem Banner zur Demonstration nach München.

Tomislav Čunović im Jahr 2022 beim Marsch fürs Leben. Foto: Lina Dahm
Tomislav Čunović im Jahr 2022 beim Marsch fürs Leben. Foto: Lina Dahm

Čunović ist jedoch nicht einfach nur ein Frankfurter Anti-Choice-Aktivist. Er ist tief verstrickt in antifeministische und ultrakonservative Netzwerke, die daran arbeiten, Menschenrechte in Bezug auf sexuelle und reproduktive Rechte einzuschränken. Er ist Geschäftsführer von “40 days for life international” und, so zeigen es Recherchen des hessischen Journalisten Danijel Majić, er wirkte von Frankfurt aus bei der kroatischen Initiative „U ime obitelji“ (dt.: Im Namen der Familie) mit. Diese Vereinigung erzwang 2013 in Kroatien ein Referendum, mit dem verfassungsrechtlich festgeschrieben wurde, dass die Bezeichnung „Ehe“ ausschließlich dem Bund zwischen Mann und Frau vorbehalten ist. Darüber hinaus arbeitet Čunović als Rechtsanwalt für „Vigilare“, dem kroatischen Ableger von „Ordo Iuris“. Diese ultrakonservative polnische Stiftung war einer der aktivsten Befürworter des aktuell geltenden Anti-Abtreibungsgesetzes in Polen und wird von Neil Datta vom „European Parliamentary Forum for Sexual & Reproductive Rights“ als die „nationale Antenne“ des ultrakonservativen Netzwerks „Tradition, Family and Property“ (TFP) bezeichnet. TFP stammt ursprünglich aus Brasilien, ist mittlerweile aber auch in Europa aktiv. Den deutschen Ableger, die „Deutsche Gesellschaft zum Schutz von Tradition, Familie und Privateigentum e.V“ mit Sitz in Frankfurt am Main, leitet der Abtreibungsgegner und Netzwerker Mathias von Gersdorff.

Drohungen, blutige Föten und krude Vergleiche

Eine weiteres international agierendes Netzwerk, das beim Münchner „Marsch fürs Leben“ in Erscheinung trat, war “CitizenGo” und ihr „Campaigns Director Deutschland“, Eduard Pröls. “CitizenGo” ist über die Jahre zu einer der zentralen Akteurinnen eines international agierenden Netzwerks antifeministischer, rechter und christlich-fundamentalistischer AkteurInnen geworden. Vorsitzender ist der Spanier Ignacio Arsuaga, der die Organisation 2012 gründete und seither all denen eine Plattform bietet, die gegen Schwangerschaftsabbrüche, Gleichstellung und LGBTIQ-Rechte kämpfen. Zuletzt wurde bekannt, dass “CitizenGo” Päckchen an einen Vorarlberger Landrat verschickte. Neben einem Drohbrief fand der Politiker im Umschlag einen Plastikfötus, der in einem verschließbaren Plastiktütchen in roter Farbe schwamm.

Transparent von „CitizenGo“: „Menschenrechte beginnen im Mutterleib“. Foto: Robert Andreasch
Transparent von „CitizenGo“: „Menschenrechte beginnen im Mutterleib“. Foto: Robert Andreasch

Solche „Embryonenmodelle“ können im Shop der „Stiftung Ja zum Leben“ kostenlos bestellt werden. Sein Amt im Vorstand der Stiftung ruht laut Webseite zwar, aber mit dem Münchner Allgemeinarzt Josef Dohrenbusch war indirekt auch eine der wichtigsten Geldgeberinnen der Anti-Choice-Szene beim “Marsch fürs Leben” in München vertreten. Die 1988 gegründete und als gemeinnützig anerkannte Stiftung steht im Mittelpunkt eines klerikal-aristokratischen Netzwerks, das Anti-Choice-Projekte und -Organisationen unterstützt. Die als gemeinnützig anerkannte Stiftung unterstützt auch die in den USA als Hategroup klassifizierte “Alliance Defending Freedom International”, die ihrerseits Anti-Choice- und Anti-Gender-AktivistInnen juristisch unterstützt und auf europäischer Ebene Lobbyarbeit betreibt.

Auch über das rechtsklerikale “Forum Deutscher Katholiken” (FDK) versuchen Adlige, Konservative und Kirchenmänner eine erzkatholische Agenda voranzutreiben. Trotz seines hohen Alters lies es sich FDK-Vorstand Hubert Gindert nicht nehmen, an beiden “Märschen fürs Leben” teilzunehmen. Im Kuratorium der Organisation sitzt der ehemalige Weihbischof von Salzburg Andreas Laun, der die Segnung homosexueller Paare 2018 mit der Begrünung ablehnte, dass man auch keine Konzentrationslager segnen würde. Ebenfalls im Kuratorium sitzen der Autor Konrad Löw, dem wiederholt Geschichtsrevisionismus vorgeworfen wurde, und der ehemalige CDU-Politiker Norbert Geis. Diese Zusammenarbeit zeigt exemplarisch, wie breit die Unterstützung für anti-choice-Positionen in Deutschland ist.

Frauen gegen feministische Anliegen

Schaut man sich Bildmaterial von Demonstrationen wie dem „Marsch fürs Leben“ an, ist auffallend, wie viele Frauen teilweise federführend an ihnen beteiligt sind. Silja Fichtner organisiert den Münchner Marsch, Alexandra Lindner den in Berlin und auch in Wien und Innsbruck stehen teils junge Frauen hinter den antifeministischen Aufmärschen.

Tanzende Menschen mit Schild „Mutter werden - mehr Frau sein geht nicht“ beim „Marsch fürs Leben“ 2022. Foto: Robert Andreasch
Tanzende Menschen mit Schild „Mutter werden – mehr Frau sein geht nicht“ beim „Marsch fürs Leben“ 2022. Foto: Robert Andreasch

Wie kommt es, dass Frauen gegen feministische Anliegen auf die Straße gehen und teilweise prominente Stellen besetzen? Kurz gesagt: Vom Patriarchat profitieren nicht nur Männer. Etwas ausführlicher: Menschen vertreten, völlig unabhängig von ihrem Geschlecht, Positionen, die auf Vorstellungen einer vermeintlich natürlichen Ordnung der Gesellschaft beruhen. Wichtig für die Stabilität einer solchen Gesellschaft ist aus Sicht von AntifeministInnen eine natürlich Ungleichheit von Menschen, die zum Beispiel anhand der Kategorien „Herkunft“ oder „Geschlecht“ ausgemacht wird. Was die (extreme) Rechte und AbtreibungsgegnerInnen beispielsweise eint, ist ihre zweigeschlechtliche Weltsicht. Demnach ergänzen Mann und Frau sich und sollen ihre entsprechenden Rollen erfüllen. Dabei kann die Rolle als Hausfrau und Mutter für Frauen durchaus attraktiv sein, denn viele Verheißungen des Feminismus haben sich (noch) nicht erfüllt. Für den Staat ist diese Aufgaben- und Rollenverteilung insofern lohnenswert, als dass die Care-Arbeit ins Private verlagert wird und nicht bezahlt werden muss. AntifeministInnen werden unter anderem dann aktiv, wenn sie diese „natürliche Ordnung“ bedroht sehen. Ihnen geht es also um die Bewahrung einer Gesellschaftsordnung, in der sie und ihresgleichen Privilegien genießen. Dass das auf Kosten vieler anderer geht, wird entweder ignoriert, geleugnet oder als “natur-” oder “gottgegeben” legitimiert.

Eine Galionsfigur der Anti-Gender-Bewegung

Gabriele Kuby beim "Marsch fürs Leben" 2022. Foto: Lina Dahm
Gabriele Kuby beim „Marsch fürs Leben“ 2022. Foto: Lina Dahm

Eine, die zweifelsohne am Erhalt des Status Quo interessiert ist, ist die Publizistin Gabriele Kuby. Mit ihr holten sich die Organisator*innen des „Marsch fürs Leben“ 2022 ein Kuratoriumsmitglied des “Forum Deutscher Katholiken” und eine Galionsfigur der Anti-Gender-Bewegung auf ihre Bühne. Die homofeindliche Antifeministin befasste sich in ihrer Rede 2022 unter anderem mit den Plänen einiger europäischer Regierungen, das Recht auf Schwangerschaftsabbruch zu einem Menschenrecht zu erklären (Stichwort: Matić-Report). Die Ablehnung reproduktiver Rechte begründet Kuby mit ihrem Glauben. „Wenn wir nicht mehr glauben, dass wir von einem guten Gott gewollt und nach seinem eigenen Bild in gleicher Würde geschaffen sind, dann stürzen wir in die Barbarei und nennen es Fortschritt.“ sagte Kuby auf der Bühne auf dem Königsplatz.

In eine ähnliche Kerbe schlug die österreichische Anti-Choice-Aktivistin Theresa Habsburg in ihrem Redebeitrag 2022. So sei die „Abtreibungslobby“ ausschließlich an Profiten interessiert. Die negativen Folgen von Schwangerschaftsabbrüchen spielten für sie keine Rolle. Habsburg verbreitete nicht nur die Verschwörungserzählung einer „Lobby“, die Feminist*innen steuere und manipuliere, in ihrer Rede erzählte sie auch vom „Post-Abortion-Syndrom“, mit dem die Szene suggeriert, dass Menschen, die abtreiben, unter Depressionen, Unfruchtbarkeit oder Essstörungen leiden würden.

Eine weitere Frau, die 2022 auf der Bühne vor den Propyläen am Königsplatz stand, war Anna Bonetti. Weniger eloquent als ihre Kolleginnen präsentierte sich die italienische Abtreibungsgegnerin von „Live Action“. Extra aus Genua angereist konnte sie mit ihrem in Englisch vorgetragenen Beitrag von der „Kraft der Inklusion im Mutterleib“ nicht überzeugen.

Wie rechte Bewegungen allgemein, orientieren sich auch antifeministische Vereine an ihrem politischen Gegner und kapern ihre Slogans. Aktuell reklamieren Anti-Choice-Organisationen zum Beispiel für sich, “Frauenrechte bereits im Bauch zu schützen”. Diese zynische und dreiste Vereinnahmung und Umdeutung feministischer, emanzipatorischer Positionen führt zu einer Normalisierung (extrem) rechten Gedankenguts.

Der „Spiritus Rector“ des Münchner „Marschs fürs Leben“

Als „Spiritus Rector“ der Münchner Anti-Choice-Demonstration gilt Alexander Tschugguel. Der Österreicher ist in der Szene bekannt wie ein bunter Hund. Tschugguel ist Korporierter, gründete mit Ewald Stadler die mittlerweile inaktive Partei „Die Reformkonservativen“ und das fundamentalistische „St. Boniface Institute“, er trat als Aktivist für die homofeindliche „Demo für alle“ in München auf, hält Klimaschutz und Schutzmaßnahmen gegen COVID-19 für unnötig, warf Fruchtbarkeitsstatuen der Inka in den Tiber (weil: Bibel und „erstes Gebot“…) und er organisiert zwei zentrale antifeministische Aufmärsche in Wien, den „Marsch fürs Leben“ und „Den Marsch für die Familie“. Recherchen zufolge motivierte er 2020 die Münchner Anti-Choice-Szene, ihrerseits einen „Marsch fürs Leben“ in München zu organisieren. 2021 fand dann die erste entsprechende Demonstration beziehungsweise Kundgebung mit rund 800 TeilnehmerInnen statt.

Alexander Tschugguel, fotografiert beim „Marsch für das Leben“ am 14. Januar 2023 in Innsbruck. Foto: Lina Dahm.
Alexander Tschugguel, fotografiert beim „Marsch für das Leben“ am 14. Januar 2023 in Innsbruck. Foto: Lina Dahm.

Tschugguel hat, wie viele in der Anti-Choice-Szene, kein Bedürfnis, sich von der extremen Rechten oder antidemokratischen Positionen abzugrenzen. Bei „seinen“ Demonstrationen in Wien mackern „identitäre“ AktivistInnen um Martin Sellner herum, er selbst gibt dem extrem rechten Medium „Info Direkt“ Interviews. Beim “Marsch fürs Leben” in Innsbruck im Januar 2923 betonte er, dass „der Lebensschutz keine Frage demokratischer Auseinandersetzung ist“.

Eine Abgrenzung zu solchen Positionen findet beim „Marsch fürs Leben“ nicht statt. Im Gegenteil. Tschugguel, dessen braune Hose und grüne Jacke zu seinem Erkennungszeichen geworden sind, betrat im März 2021 als erster Redner den Lautsprecherwagen auf dem Münchner Königsplatz. Schwangerschaftsabbruch, so Tschugguel sei “per se Unrecht” und müsse verboten werden. Abbrüche sind sie in Deutschland, “dank” Paragraf 218 Strafgesetzbuch, immer noch illegal. Aber mit solchen Spitzfindigkeiten beschäftigt sich Tschugguel, der explizit für einen „Staat mit Gott“ plädiert, natürlich nicht.

Antifeministische Allianzen rund um den „Marsch fürs Leben“ in München müssen ernst genommen werden. Es gibt StichwortgeberInnen, NetzwerkerInnen, AktivistInnen und SympathisantInnen, die sich auf den Demonstrationen nicht blicken lassen. Trotzdem oder genau deswegen sind Veranstaltungen wie der „Marsch fürs Leben“ spannend. Hier wird sichtbar, welche ultrakonservativen AkteurInnen und Netzwerke daran arbeiten, sexuelle, geschlechtliche, familiale und reproduktive Menschenrechte in Europa und der ganzen Welt einzuschränken. Sichtbar wird aber auch, wer sich (noch) nicht aus der Deckung traut oder die Teilnahme an solchen Veranstaltungen für nicht opportun erachtet.

In diesen Netzwerken sind sozioökonomische Eliten aktiv, die einerseits ein Interesse daran haben, den Status Quo zu bewahren beziehungsweisen ihn zu ihren Gunsten zu verändern. Sie sind jener Teil der „Lebensschutz“-Bewegung, die über Einfluss und entsprechende Finanzmittel verfügen, um AktivistInnen und Vereine wie Silja Fichtner und ihren Verein zu unterstützen.

Schulterschluss mit Rechtsaußen

Die sogenannte „Lebenschutz“-Bewegung besteht aus Menschen, die aus konservativen bis (extrem) rechten Milieus stammen. Viele treibt ihr Glaube auf die Straße und die Ideologie, dass beim Verschmelzen von Ei und Samenzelle ein vollwertiger Mensch mit allen entsprechenden Rechten entsteht.

Den (extrem) Rechten, die beim “Marsch fürs Leben” mitmischen, geht es weniger um religiöse Motive, als darum, eine imaginierte “Volksgemeinschaft” zu erhalten. Der Kampf um den Zugriff auf reproduktionsfähige Körper ist entsprechend immer schon ein integraler Bestandteil extrem rechter Ideologie und Agitation. In diesem Beitrag soll es um den Schulterschluss mit der extremen Rechten und mit Rechtsaußen im Allgemeinen gehen.

Es ist nicht verwunderlich, dass die Demonstration Daniel K. vom „Bündnis Deutscher Patrioten“ anzieht, einem mittlerweile inaktiven Netzwerk aus Neonazis und Hools, das enge Beziehungen zur „Identitären Bewegung“, „PEGIDA“ und der „Alternative für Deutschland“ pflegte. Nach dem Marsch veröffentlichte S. einen Beitrag auf seiner Facebook-Seite, in dem er davon sprach, dass jedes Jahr „hunderttausende Kinder ermordet“ werden und er sich darum an der Anti-Choice-Demonstration beteilige. Er appellierte an seine Zuhörer*innen, dass auch sie sich dafür einsetzen, dass Frauen, die schwanger werden, die Kinder künftig austragen und sich auch darum kümmern.

Burschenschaftliche Revoluzzer und faschistische Sprüche

In der Kategorie extreme Rechte sind auch Mitglieder der Münchner Burschenschaften Danubia und Franco Bavaria zu nennen, die am Marsch 2022 teilnahmen. Letztere trat 2013 aus dem völkisch-nationalistischen Dachverband „Deutsche Burschenschaft“ aus, die Danubia ist dort weiterhin Mitglied. Traditionell gibt es personelle Verstrickungen zwischen Danuben und „identitären“ Aktivisten und auch ideologisch finden sich enge Überschneidungen. Inspiriert vom italienischen, faschistischen Publizisten Julius Evola inszenieren sich die jungen Männer gerne als burschenschaftliche Revoluzzer gegen die Moderne, die sie mit „Degeneration“ und „Werteverfall“ verbinden. Eines ihrer zentralen Feindbilder ist der Feminismus, rüttelt dieser doch an ihren patriarchalen Allmachtsphantasien.

Obwohl Anti-Choice-Vereine wie “Stimme der Stillen” den Vorwurf, extrem rechte Positionen zu verbreiten, von sich weisen, findet bei ihren Veranstaltungen ein Schulterschluss mit rechtskonservativen und (extrem) rechten AkteurInnen statt. Das fehlende Problembewusstsein des Vereins zeigte sich beim ersten Marsch, als ein Ordner sich mit seiner Stoffmaske inklusive dem kroatischen faschistischen Spruch „Za Domn Spremni“ (dt. Für die Heimat – Bereit!) vor die Kameras stellte. Mit der Entscheidung, Christian Schumann die Moderation beim zweiten “Marsch fürs Leben” zu übergeben, boten die OrganisatorInnen einem AfD-nahen Akteur und ehemaligen Vorsitzenden der Hochschulgruppe „Campus Alternative“ eine Bühne.

Das harmlose Bild, dass „Stimme der Stillen“ bei ihren Demonstrationen vermitteln möchte, sollte nicht täuschen. Der Verein bewegt sich geschickt in den verschiedenen antifeministischen, (extrem) rechten und fundamental christlichen Spektren. Nicht zuletzt, weil sein Vorstand Teil eben dieser Netzwerke ist. Die Aufgaben der Vereinsspitze teilt sich Silja Fichtner mit dem zweiten Vorstand Richard Theisen, einem „Alten Herrn“ der katholischen Studentenverbindung „Unitas Ruhrania“ und Schatzmeister Andreas Wagner, einem CSU-Funktionär. Wagners Parteikollegin Ulrike Scharf, die bayerische Sozialministerin, kündigte zuletzt vorsorglich an, gegen eine Abschaffung des Paragrafen 218 Strafgesetzbuch klagen zu wollen.

Der nächste „Marsch fürs Leben“ am 25. März 2023

Grundsätzlich kann man feststellen, dass sich der Marsch etabliert hat. Die „Christdemokraten für das Leben“ (CDL) planen, genauso die die Jugendorganisation der „Aktion Lebensrecht für Alle“ eine Art Rahmenprogramm anlässlich des Marsches. Die CDL plant direkt vor dem Marsch ein „Frühschoppen“ mit dem Anti-Choice-Aktivisten Paul Cullen und Stephan Pilsinger von der CSU im Hansa Haus. Darüberhinaus haben sie und die „Aktion Leben“ ihre Mitgliederversammlungen so gelegt, dass sie am Wochenende des Marsches stattfinden. Wie jeden Monat planen die „Helfer für Gottes kostbare Kinder“ eine „Rosenkranz-Prozession“ am Vormittag des Marschtages. Im Anschluss an die Demonstration ist damit zu rechnen, dass AbtreibungsgegnerInnen im Zuge einer „Pro Life City Tour“ Propagandamaterial verteilen. Eine derartige Aktion der „Jugend für das Leben“ gab es bereits im vergangenen Jahr in der Münchner Fußgänger*innenzone. Berichten zufolge liegen in zahlreichen Münchner Gemeinden Flyer für den Marsch aus, in der Regel reisen aber immer auch überregional AbtreibungsgegnerInnen an. Offiziell angekündigt sind dieses Jahr Busse aus Aulendorf, Villingen-Schwenningen und eine gemeinsame Zuganreise aus Aschaffenburg.

Als Redner kündigen die OrganisatorInnen Matt Britton von der US-amerikanischen, fundamental-christlichen Initiative „40 days for life“ sowie den Geschäftsführer der „1000plus-Profemina gGmbH“, Kristijan Aufiero, an. Aufiero, der seinen Verein zuletzt in eine gemeinnützige GmbH umwandelte und eine rechte Medienplattform launchte, wagt sich offensichtlich aus der Deckung. Der in München lebende Anti-Choice-Aktivist hatte bereits 2021 angekündigt, sich ab sofort mit politischen Forderungen und Positionierungen nicht mehr zurückhalten zu wollen.

All das lässt nicht darauf hoffen, dass weniger TeilnehmerInnen als im Vorjahr zum „Marsch fürs Leben“ nach München kommen werden. Die Mobilisierung und Unterstützung hat sich vielmehr ausgeweitet und daher ist erneut mit einer mittleren vierstelligen Zahl zu rechnen.

Sie werden aber, um mit etwas Positivem zu enden, auch dieses Jahr mit Gegenprotest rechnen müssen. Dazu auch noch ein paar kritische Worte.

Früher waren es noch Gewerkschaften und Parteien, die sich hinter feministische Forderungen stellten und gemeinsam für das Recht auf Schwangerschaftsabbrüche auf die Straße gingen. Der antifeministischen Allianz stellte sich also eine progressive Allianz entgegen. Davon war in München die letzten zwei Jahre wenig zu sehen. Es waren vor allem engagierte antifaschistische und feministische Einzelpersonen, Gruppen und Bündnisse, die sich den vielen hundert AbtreibungsgegnerInnen entgegenstellten. Das werden sie auch dieses Jahr tun. Unter dem Motto „Für das Paradies auf Erden“ ruft das gleichnamige Bündnis zum Aktionswochenende auf. Ihre Demonstration startet am Vorabend des Marsches, am 24. März um 18:30 Uhr am Gärtnerplatz. Für den 25. März rufen sie zu „kreativem Gegenprotest“ gegen die AbtreibungsgegnerInnen auf. Eine feministische Anlaufstelle bietet am 25. März die Kundgebung des „Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung“ ab 13 Uhr in der Katharina-Von-Bora-Straße. Dort wird in Hör- und Sichtweite der AbtreibungsgegnerInnen für Selbstbestimmung protestiert.

Feministische und queere Proteste am Rande des „Marsch fürs Leben“ im März 2022. Foto: Robert Andreasch
Feministische und queere Proteste am Rande des „Marsch fürs Leben“ im März 2022. Foto: Robert Andreasch

Es gibt also Möglichkeiten sich einzubringen und aktiv zu werden. Tatsächlich täten emanzipatorische Kräfte gut daran, sich nicht davon abbringen lassen, breite Bündnisse zu schmieden und weiter für körperliche Selbstbestimmung zu kämpfen. Wie wichtig diese Kämpfe sind, zeigen die teils dystopischen Zustände in den USA. Feministische Errungenschaften sind fragil. Inspiration hingegen liefern die feministischen Kämpferinnen beispielsweise in Südamerika oder ganz aktuell in Spanien.

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