Acht Monate nach der Selbstenttarnung des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) nimmt nun auch im Freistaat Bayern ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss die Arbeit auf. Er will die beispiellose neonazistische Mordserie genauso untersuchen wie das Fehlverhalten bayerischer Sicherheits- und Justizbehörden, der Ministerien und der bayerischen Staatskanzlei.
Der Weg zum Untersuchungsausschuß:
Die Landtagsfraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Freie Wähler hatten Mitte Juni 2012 gemeinsam einen Entschließungsantrag zur Einsetzung eines Untersuchungsausschusses gemäß Art. 25 der bayerischen Verfassung eingebracht. Am 4. Juli 2012 sprach zunächst der am Vormittag tagende Verfassungsausschuss eine entsprechende Beschlussempfehlung aus.
Viele Aufgaben:
Der Bund, Thüringen und Sachsen haben schon einen, bald vielleicht auch Baden-Württemberg und Hessen: Einen Untersuchungsausschuß in Sachen NSU. Sinn und Zweck des vierten, bayerischen, Gremiums ist laut Antrag die „Untersuchung eines möglichen Fehlverhaltens bayerischer Sicherheits- und Justizbehörden einschließlich der zuständigen Ministerien, der Staatskanzlei und der politischen Entscheidungsträger/innen (…) und der hieraus zur Verbesserung der Bekämpfung rechtsextremistischer Strukturen und Aktivitäten und zur Optimierung der Ermittlungsverfahren und der Zusammenarbeit der verschiedenen Sicherheits- und Justizbehörden erforderlichen organisatorischen und politischen Maßnahmen.“ Der zu untersuchende Zeitraum erstreckt sich von Januar 1994, dem Jahr in dem NSU-Mitglieder (zumindest soweit bislang bekannt) erstmals in Bayern an einem neonazistischen Treffen teilnahmen, bis zum Juli 2012. Damit ist die zu behandelnde Zeitspanne weiter gefasst als bei den bisher eingerichteten Ausschüssen.
Viele Fragen:
Zusammen mit dem Antrag hatten die drei Fraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Freie Wähler einen untereinander abgestimmten Katalog von insgesamt rund 200 Fragen eingereicht. Die Fragensammlung bescherte denn auch gleich den ersten Ärger: Die Koalitionsparteien CSU und FDP beschwerten sich, bei der Erstellung nicht einbezogen worden zu sein und warfen der Opposition „Profilierungsgehabe“ vor. Schließlich einigten sich die Parteien auf einen gemeinsamen Änderungsantrag, in dem auch die Wünsche der Regierungsparteien mit einigen Streichungen und Umformulierungen Eingang fanden. Leider wird nun beispielsweise unter anderem darauf verzichtet, nach den Klarnamen der in Bayern eingesetzten V-Leute sowie der Höhe ihrer Honorare und sonstigen geldwerten Vorteile zu fragen. Der Fragenkatalog enthält jedoch eine Vielzahl von Fragen zu den fünf Mordanschlägen des NSU in Bayern und den diesbezüglichen Aktivitäten, Erkenntnissen und Ermittlungsarbeiten der Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden. Detaillierte Auskünfte sollen auch zu den neonazistischen Strukturen und Aktivitäten in Bayern eingeholt werden, zu den behördlichen Maßnahmen dagegen sowie zur Gestaltung der Zusammenarbeit der zuständigen Behörden und Dienststellen. Vergleichsweise kurz thematisiert wird der Umgang der Behörden mit den Familien und Angehörigen der Opfer, auch an eine offensive Thematisierung der Auswirkungen von Rassismus in bayerischen Behörden dachte wohl niemand.
Die Zeit drängt:
Erste Reaktionen:
Der bayerische Untersuchungsausschuss wurde parteiübergreifend für geboten erachtet. Fünf der insgesamt mindestens zehn NSU-Morde wurden im Freistaat Bayern begangen. In Nürnberg hatte die für die (erfolglosen) Ermittlungen in der Mordserie zuständige Sonderkommission „BAO Bosporus“ ihren Sitz. Unisono hieß es in den Verlautbarungen, man habe gegenüber den Opfern und ihren Angehörigen eine Pflicht und Schuldigkeit. Der Wille zu einer parteiübergreifenden Zusammenarbeit ohne wahlkampftaktische Manöver wurde betont. Auch die bayerische Staatsregierung sicherte volle Unterstützung und Transparenz zu. Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann jedoch, so berichtete es die Mittelbayerische Zeitung am 23. Juni 2012, befürchtet ein „Medienspektakel“ von Grünen und SPD, ähnlich einem angeblichen Vorgehen der Oppositionsparteien beim Berliner Untersuchungsausschuss. Antifaschistisch engagierte Gruppen haben unterdessen angekündigt, die Arbeit des bayerischen NSU-Untersuchungsausschusses kritisch-konstruktiv begleiten zu wollen.
Die nächsten Termine: