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Demjanjuk-Prozess: „Big Show“ statt Gerechtigkeit?

Der Prozess am Landgericht München II gegen Iwan Nikolai („John“) Demjanjuk wegen Beihilfe zum Mord an 27 900 Jüdinnen und Juden im Vernichtungslager Sobibor hat am Montag, 30. November 2009 begonnen. Der Angeklagte und sein Rechtsanwalt Dr. Ulrich Busch (Ratingen) traten schon am ersten Prozesstag gegenüber den Überlebenden und Angehörigen der in der Shoa Ermordeten unverschämt auf.

Zwischen März und September 1943 soll Iwan Demjanjuk im deutschen Vernichtungslager Sobibor unter deutschem Kommando an der Ermordung von 27 900 Jüdinnen und Juden aus den Niederlanden beteiligt gewesen sein. In den Gaskammern Sobibors wurden zwischen April 1942 und Oktober 1943 etwa 250 000 Jüdinnen und Juden und Roma ermordet.

Der Angeklagte als Opfer

Der angeklagte 89-jährige Iwan Demjanjuk ließ sich von Sanitätern in den Saal fahren, am Morgen in einem Rollstuhl, am Nachmittag gar auf einer Liege. Ein Mitleidseffekt sollte sich wohl einstellen mit dem alten, greisen Mann, der erst im Mai 2009 aus Ohio (USA) nach Deutschland abgeschoben worden war. Efraim Zuroff kennt einen derartigen, bewußt inszenierten Rollentausch vom mutmaßlichen Täter zum leidenden „Opfer“ aus vielen Gerichtsverfahren gegen nationalsozialistische Verbrecher. Der Leiter des Simon-Wiesenthal-Centers war zum Prozessbeginn extra aus Jerusalem angereist. Zuroff hatte Demjanjuk vor einiger Zeit auf die Liste gesuchter NS-Kriegsverbrecher setzen lassen und so den Druck auf deutsche Ermittlungsbehörden erhöht, die vor wenigen Jahren den gebürtigen Ukrainer noch partout nicht hatten anklagen wollen.

Efraim Zuroff lag mit seiner Einschätzung, Demjanjuk spiele hier nur Theater, vollkommen richtig, wie sich leider erst am Nachmittag bestätigte. Als Agenturen und Fernsehstationen schon das Bild eines offenbar schwerkranken, mit offenem Mund stöhnenden Greis in die Welt gesendet hatten, traten drei führende Medizinerinnen der LMU München in der Verhandlung auf und berichteten einhellig vom recht guten Gesundheitszustand Demjanjuks. Ein als Gutachter geladener Allgemeinmediziner hatte den Angeklagte noch zwei Stunden vor Prozessbeginn untersucht und außer einer gichtbedingten Schmerzsymptomatik kaum Einschränkungen gefunden. Insbesondere fanden die GutachterInnen keinerlei demenzrelevante Befunde oder dergleichen.

Einige der aus ganz Europa angereisten JournalistInnen im Saal nannten von nun an den Prozess „the big show“. „Hollywood“, kommentierte Zuroff das theatralische Auftreten Demjanjuks, der sich zeitweise unter einer Decke und unter seiner Lederjacke versteckte. Im Münchner Gerichtsgebäude, in dem Jugendlichen sonst Ordnungsstrafen schon dafür angedroht werden, wenn sie bei Prozessbesuchen vergessen, ihre Mützen abzunehmen, verbarg Demjanjuk sein Gesicht ungehindert fast vollständig unter einer hellblauen basecap. Der vorsitzende Richter Ralph Alt schritt auch nicht ein, als Demjanjuk sich im weiteren Verlauf der Verhandlung mit geschlossenen Augen auf die Seite legte. Auf diese Weise drehte er den als NebenklägerInnen auftretenden Angehörigen von in Sobibor Ermordeten buchstäblich den Rücken zu. Rudie Corissos, einer der Nebenkläger aus den Niederlanden, zeigte sich noch Stunden nach dem Prozesstag bestürzt: „Wir wollten ihn sehen, aber wir wollten auch, dass er uns sieht“  sagte er am Abend bei einer Pressekonferenz der Amsterdamer Stiftung „Stichting Sobibor“, die sich das Andenken an die in Sobibor Ermordeten zur Aufgabe gemacht hat.

Opfer verhöhnt

Beim Prozess sorgte dann Demjanjuks Wahlverteidiger Dr. Ulrich Busch aus dem nordrhein-westfälischen Ratingen für den nächsten Eklat. Busch bediente sich eines Tricks, um eine Art „Opening Statement“, also ein in der deutschen Strafprozessordnung nicht vorgesehenes vorgezogenes Plädoyer abzugeben. Die „Begründung“ eines Befangenheitsantrag, mit dem Busch den vorsitzenden Richter Alt sowie die Staatsanwälte Lutz und Steinkraus-Koch ablehnte, nutzte er aus, um beschämenderweise die Tätigkeiten der SS-Helfer in Sobibor mit den zu Hilfsdiensten gezwungenen inhaftierten Jüdinnen und Juden gleichzusetzen. Insbesondere den Sobibor-Überlebenden Tomasz „Toivi“ Blatt, der zum Prozess aus Kalifornien nach München gereist war, beleidigte Busch persönlich auf das Schlimmste. Die Eltern und der Bruder des heute 82-jährigen Toivi Blatt wurden gleich nach der Ankunft in Sobibor im April 1943 ermordet. „Ein Trawniki-Mann stand auf der gleichen Stufe wie etwa ein Thomas Blatt.“ setzte Ulrich Busch die Kollaborateure des Massenmordes mit den zur Vernichtung bestimmten jüdischen Gefangenen gleich. Richter Ralph Alt nahm die Überlebenden und Angehörigen der Ermordeten nicht in Schutz. Es blieb der Nebenklage überlassen, die perfiden Vergleiche Buschs zurückzuweisen.

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