Nur knapp 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmer kamen am Abend zur Kundgebung „Maulkorbparagraphen abschaffen“ auf dem Karlsplatz/Stachus in München. Darunter befand sich allerdings neben Anmelder Thomas Wittke (Kirchheim) und den üblichen Münchner Neonazis wie z.b. Roland Wuttke, Renate Werlberger und Norman Bordin, auch einiges an bundesdeutscher „Prominenz“, so z.B. der Hamburger Rechtsanwalt und Wunsiedel Anmelder Jürgen Rieger, der norddeutsche Neonazikader Thomas Wulff und der Nürnberger Anti-Antifa-Aktivist Norman Kempken. Die ursprünglich von Bordin auf dem Marienlatz angemeldete Mahnwache „Rudolf Heß- Mord verjährt nie“ war kurzfristig am Donnerstag vom KVR verboten worden. Nach jahrelangem Zögern wollte sich München offensichtlich nicht mehr als einzige Stadt der Bundesrepublik präsentieren, in der ein angemeldetes Heß-Gedenken legal stattfinden kann. Welche Bedeutung die Heß-Mahnwachen in München für die internationale Neonaziszene hatten, zeigt auch eine neue Ausgabe des internationalen neonazistischen Videomagazins „Kriegsberichter“, in denen ein Videobericht der Heß-Mahnwache 2006 mit Todesdrohungen gegen Münchner AntifaschistInnen enthalten ist. Das Verbot des KVRs hatte prompt vor dem Verwaltungsgericht in München und vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof Bestand.
Die strikten Auflagen der Ordnungsbehörde für die eine Woche zuvor angemeldete „Ersatz“-Kundgebung am Stachus hielten die Neonazis aber nicht davon ab, auch dort den Hitlerstellvertreter Heß zu glorifizieren. So wurde z.B. über eine Stunde lang ein Transparent mit dem Text „Mord verjährt nicht – in stillem Gedenken“ (womit natürlich Rudolf Heß gemeint war) gut sichtbar gehalten. Weder dieses Transparent noch das Transparent „Deutsche macht euch frei, von der ONEWORLD-Tyrannei“ mit einem klar antisemitischen Hintergrund (die leicht codierte, trotzdem unverhohlene Übernahme der NS-Parole „Macht Euch frei von der Juden-Tyrannei“) ließen die Polizei zunächst aktiv werden.
Erst energische und wiederholte Proteste zahlreicher BeobachterInnen, unter anderem von Marian Offmann (CSU Stadtrat und Vorstand der Israelitischen Kultusgemeinde Münchens), veranlassten die Polizei zum Handeln. Das Transparent „Mord verjährt nie“ musste heruntergenommen werden (mittlerweile war es aber auch dunkel geworden) und die (vermummten!) Halter mussten ihre Personalien abgeben. Um den Anschein eines Engagements zu wahren, griff dann am Ende der Kundgebung auch noch das USK ein. Mit einer großen Showeinlage, bei der ca. 50 USKler über die inneren Absperrgitter zu den Neonazis hineinsprangen, wurde Thomas Wulff wegen Verstoßes gegen die Versammlungsauflagen im Zusammenhang mit einem von ihm gehaltenen Redebeitrag vorläufig festgenommen.
Thomas Wulff musste allerdings nicht lange in Polizei-Gewahrsam schmoren. Bereits wenige Stunden später, nachts um 2.30h, versuchte er mit Jürgen Rieger in Wunsiedel auf den abgesperrten Friedhof zum Grab von Rudolf Heß zu gelangen. Dies wurde aber von der Polizei verhindert.
Die Münchner Neonazis verzichteten an diesem Wochenende fast völlig auf auswärtige Aktionen, wie eine Teilnahme an den Aufmärschen in Gräfenberg, Friedrichshafen oder Jena. Stattdessen war in einem Lokal in Forstern bei Erding ein Rechtsrockkonzert mit zwei Bands geplant. Umfangreiche Kontrollen der Polizei führten dazu, dass die Musikauftritte ausfielen. Die etwa 100 Teilnehmer, unter ihnen auch Norman Bordin mussten sich nach Aussagen des Staatsschutzes mit dem Abspielen von CDs begnügen.
Gegen die Neonazi-Kundgebung auf dem Karlsplatz/Stachus protestierten etwa 650 Menschen, für die kurze Mobilisierungsphase in der Ferienzeit durchaus ein Erfolg, ca. 14 Nazigegner wurden vorläufig festgenommen. Nach dem ersten erfolgreichen Verbot der Heß-Mahnwache bleibt es die nächsten Jahre spannend in München. Norman Bordin hat noch am Freitag für gleich mehrere Jahrzehnte Kundgebungen unter dem Motto „Rudolf Heß“ auf dem Marienplatz angemeldet.