Wunsiedel. Vor gut zwei Jahren konnten Neonazis zum letzten Mal durch Wunsiedel marschieren, um ihrem Idol Rudolf Hess zu huldigen. In den beiden letzten Jahren war die braune Wallfahrt ausgefallen – doch sie könnte bald durch ganzjährige Nazi-Präsenz ersetzt werden. Angeblich ist dem Neonazi-Anwalt Jürgen Rieger in Wunsiedel ein ehemaliger Gasthof zum Kauf angeboten worden. Dort könnte ein "Rudolf Hess Gedächtnis- und Dokumentationszentrum" entstehen, wird von Neonazis verbreitet – Fakt oder Finte?
Beim Stammtisch der NPD Hof-Wunsiedel schaute am Dienstag dieser Woche ein Gast aus dem Norden herein. Thomas Wulff besuchte die fränkischen Kameraden und hatte Neuigkeiten zu vermelden.
Der frühere Neonazi-Kameradschaftsführer aus Hamburg und jetzige "persönliche Referent" des NPD-Vorsitzenden Udo Voigt, der sich selbst nach einem SS-Obergruppenführer den Beinamen "Steiner" zugelegt hat, gab seinen Mannen vor Ort einen "Lagebericht" zum juristischen Stand der Dinge um die verbotenen Heß-Märsche in Wunsiedel.
Diesem für die Neonazis eher trüben Kapitel ließ er jedoch eine Botschaft folgen, die die braune Truppe elektrisieren sollte: ein "Rudolf Heß Gedächtnis- und Dokumentationszentrum in Wunsiedel" sollte es sein, das demnächst als Tempel und Ziel nazistischer Verehrung dienen könnte. Dem Kameraden Rieger sei da ein "konkretes Kaufangebot" für einen ehemaligen Gasthof gemacht worden. Dort könne man dann auch noch prima ein "nationales Schulungs- und Bildungszentrum" einrichten sowie den Bau als "Wahlkampfzentrale" für die kommenden bayerischen Landtags- und Kommunalwahlen im Jahre 2008 nutzen.
Denkbar sei auch eine "dauerhafte gastronomische Nutzung". Veranstaltungen seien bereits geplant; als erster Referent solle Olaf Rose seine geschichtsrevisionistischen Erzählungen zum Besten geben.
Die Kameraden waren entzückt. Der aus Sachsen zugezogene Tony Gentsch aus Töpen (Landkreis Hof), bis vor kurzem Bassist der Naziband "Braune Brüder", hatte nichts Eiligeres zu tun als die Botschaft auf die Internetseiten des "Kameradschaftsbunds Hochfranken" und in ein bayerisches Neonazi-Forum zu setzen.
Für Wunsiedel wäre das braune Zentrum freilich ein Horrorszenario. Schon die jährlichen Heß-Märsche hatten der Stadt einen schlechten Ruf verschafft, die schließlich nichts dafür kann, dass auf ihrem Friedhof der Hitler-Stellvertreter Heß begraben liegt. Ein ganzjährig geöffneter Nazi-Gasthof würde eine Sorte Tourismus fördern, die jede anderweitige Bemühung um Kultur und Fremdenverkehr ruinieren würde. Denn angeblich liegt der ehemalige Gasthof in unmittelbarer Nähe zur Luisenburg, dem ältesten Freilichttheater Deutschlands, das in den letzten Sommern jeweils mehr als 130.000 Besucher anzog.
Was an "Steiners" Erzählungen im Kameradenkreise dran ist, bleibt freilich eine andere Frage. Nicht zum ersten Mal werden Rieger oder auch andere Neonazi-Funktionäre als Kaufinteressenten genannt, und auch nicht zum ersten Mal wird vermutet, dass ziemlich wertlose Immobilien durch die Drohgebärde mit Nazi-Käufern zu überhöhten Preisen an Kommunen oder lokale Käufer losgeschlagen werden sollen. Auch in Wunsiedel selbst hat es in den vergangenen Jahren bereits solche Versuche gegeben, die jedoch fruchtlos blieben.
Die Stadtverwaltung hält sich derzeit zu den derart öffentlich inszenierten Kaufankündigungen bedeckt. An "einer für die Stadt positiven Lösung" werde gearbeitet, Informationen würden daher zur Zeit nicht an die Öffentlichkeit gegeben. Eine öffentliche Debatte sei "im Sinne der angestrebten Lösung" derzeit nicht konstruktiv. Matthias Popp, Vorsitzender der Bürgerinitiative "Wunsiedel ist bunt, nicht braun" und 2. Bürgermeister (CSU) der Stadt im Fichtelgebirge, lässt jedoch durchblicken, dass man nicht untätig sei, die Angelegenheit werde professionell gehandhabt.
Offenbar sollen horrende Zahlungen wie etwa in Grafenwöhr oder Delmenhorst ausgeschlossen werden. Ob Rieger überhaupt ernsthaft kaufwillig ist, ist auch noch keineswegs ausgemacht. Im brandenburgischen Plattenburg musste ein Immobilienbesitzer vor vier Wochen nur mal nebenher den Namen "Rieger" fallen lassen, um eine Alarm-Maschinerie in Gang zu setzen, die mit Fakten wenig zu tun hatte. Auch in Delmenhorst war Rieger vom Besitzer der Hotel-Immobilie ins Spiel und an die Öffentlichkeit gebracht worden.
Dieses Mal kommt die Ankündigung von Neonazi-Seite, aber auch in solchen Fällen war in den letzten Jahren die Ernsthaftigkeit von Kaufabsichten höchst zweifelhaft, so etwa in Grafenwöhr, Cham oder Kirchheim.
Der Symbolwert eines Standortes Wunsiedel wäre für Neonazis hingegen tatsächlich erheblich. Zwar haben andere Kommunen mit Rieger-Immobilien wie Dörverden oder Hameln gezeigt, dass man eine Gebäude-Nutzung als braune Veranstaltungs- und Schulungszentren durchaus auch mit konsequenter Anwendung baurechtlicher oder feuerpolizeilicher Vorschriften weitgehend verhindern kann. Aber bis dahin soll es offenbar in Wunsiedel erst gar nicht kommen.