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Eine Nazi-Immobilie im Allgäu

Das Beispiel eines von Neonazis genutzten ehemaligen Landgasthofs im schwäbischen Rieggis zeigt deutlich, wie in Bayern mit rechten Immobilien umgegangen wird: Verschweigen und Wegschauen, oft über Jahre und Jahrzehnte. Eine Recherche von Robert Andreasch und Sebastian Lipp.

Verschweigen und Wegschauen

München, 30 Juli 2015: Die Landtagsabgeordnete Katharina Schulze hat Anfang Juli eine schriftliche Anfrage über „von Rechtsextremisten genutzte Immobilien in Bayern“ eingereicht. Jetzt ist die Bayerische Staatsregierung am Zuge, Zahlen und Details zu nennen. Zum Vergleich: Im Mai 2013 schrieb die Bundesregierung auf eine SPD-Anfrage zu „Rechtsextremismus im ländlichen Raum“ hin von 260 Immobilien, die im Bundesgebiet „zu Veranstaltungszwecken der Rechtsextremen- und Neonaziszene genutzt werden“. 26 dieser Häuser lägen in Bayern.

Das ist jetzt gewissermaßen die Messlatte für das bayerische Innenministerium. Die Landtagsanfrage der Grünen-Politikerin Schulze beantwortet der Staatssekretär Gerhard Eck: Er nennt erstens das Ladengeschäft des „Versands der Bewegung“ in Murnau und zweitens den zeitweise an die neonazistische Partei „Die Rechte“ überlassenen ehemaligen Gasthof in der Winzerstraße von Kolitzheim-Stammheim. Mehr nicht. Zwei statt 26. „Mit Ausnahme der zuvor genannten Objekte in Kolitzheim und Murnau“, so schreibt der Staatssekretär, „gibt es in Bayern keine Immobilie, die von Rechtsextremisten über bloße Wohnzwecke hinaus wiederholt und in größerem Ausmaß für politische Zwecke genutzt wird.“ Und lobt sein Ministerium gleich mit: „Dies ist auch auf die konzertierten Aktionen der bayerischen Sicherheitsbehörden im präventiven und repressiven Bereich zurückzuführen“.

Die 'Ludendorffer'-Immobilie in Tutzing.  Foto: Robert AndreaschAn der Wirklichkeit geht das meilenweit vorbei. Was ist beispielsweise mit dem Gebäude in der Münchner Paosostraße, in dem seit Jahrzehnten die „Nationalzeitung“ produziert wird? Was mit der völkischen Siedlung „Dorflinde“ in Pöttmes? Warum wird die Villa in Tutzing nicht erwähnt, in der „Bund für Gotterkenntnis – Ludendorff“ sich seit 70 Jahren versammelt? Was ist mit Neonazizusammenkünften im alten Schulhaus von Feilitzsch-Unterhartmannsreuth? Warum sind die Immobilie des neonazistischen „Wikinger-Versands“ in Geiselhöring oder die Verlagsräume rechter Publizistik in Bayern, z. B. des “Druffel und Vowinckel”-Verlags in Gilching, nicht aufgeführt? Warum fehlen Burschenschaftshäuser, in denen extrem Rechte und Neonazis Veranstaltungen besuchen, wie in der Erlanger Loewenichstraße oder der Münchner Möhlstraße?

Die „Artgemeinschaft“ in der „Alten Sennküche“

Die Immobilie in Rieggis mit ehemaligem Gasthaus und Doppelgarage.  Foto: Robert AndreaschEine von Neonazis genutzte Immobilie in Bayern, die das Innenministerium auch nicht nennt, befindet sich im Allgäu: Im schwäbischen Rieggis, abgelegen in den Hügeln zwischen Kempten und Immenstadt, besitzt Anton Pfahler (Sinning) den ehemaligen Landgasthof „Alte Sennküche“ in der Ortsmitte. Das Haus ist gut in Schuss, das Grundstück über 1400 Quadratmeter groß, zeitweise betrug der Versicherungswert des Ensembles fast eine Million Euro.

Das Anwesen in Rieggis ist nicht die einzige Immobilie im Besitz von Pfahler, einst „Offizier“ der paramilitärischen „Wehrsportgruppe Hoffmann“ und früherer Aktivist der neonazistischen „Wiking-Jugend“. Pfahler ist auch am völkischen Siedlungsprojekt in Echsheim-Pöttmes beteiligt. Und sein Gelände im oberbayerischen Oberhausen-Sinning bei Neuburg an der Donau vermietete er in den Jahren 1998 bis 2000 an den „Deutsche Stimme“-Verlag der NPD sowie an zahlreiche bekannte Neonazis aus dem In- und Ausland. Bei einer Razzia im Juni 1998 fanden Polizeibeamt_innen dort Maschinenpistolen, Sturmgewehre, Handgranaten, Munition und Tretminen. Im Oktober 1999 wurde Anton Pfahler wegen Verstoßes gegen das Kriegswaffengesetzes zu drei Jahren und acht Monaten Haft veruteilt. Gegen die braunen Umtriebe von Pfahler und Co. entstand damals vor Ort die vielbeachtete „Sinninger Initiative gegen rechts“ und ein breites antifaschistisches Bündnis.

In der Allgäuer Gemeinde Niedersonthofen-Waltenhofen, zu dem das Pfahlersche Anwesen in Rieggis gehört, regte sich bisher kein Protest. Pfahler hat den Gasthof an Bernd Burger und dessen Ehefrau verpachtet und liess in den Jahren 2011 bis 2014 für die Familie der Pächter_innen (Teil-) Wohnrechte und Nutzungsrechte ins Grundbuch eintragen. Bernd Burger war ausweislich der aktuell eingereichten Vereinsregisterunterlagen (Stand: 2012) zu diesem Zeitpunkt „erster stellvertretender Leiter“ der „Artgemeinschaft“. Im nahegelegenen Kempten wird parallel prompt das Postfach des „Asatru-Buchdienstes“ der „Artgemeinschaft“ eingerichtet und von nun an beworben. Der Versand bietet NS-Autoren wie Hans F. K. Günther, völkische Literatur („Von der christlichen Moral zu einer biologisch begründeten Ethik“) und Neonazibücher wie „Jürgen Rieger – Anwalt für Deutschland“ zum Verkauf an.

Der völkische Sippenverband

Abseits einer fehlenden öffentlichen Aufmerksamkeit ist die seit 1951 bestehende „Artgemeinschaft“ in der radikalen Rechten von hoher Bedeutung. Vor allem unter dem Vorsitz des Hamburger Neonazis Jürgen Rieger (1989-2009) fand die „Artgemeinschaft“ engen Anschluss an den militanten Neonazismus. Norddeutsche Wehrsport-Aktivisten, Funktionär_innen der „Heimattreuen Deutschen Jugend“ (HDJ) sowie Anführer von „Blood&Honour“ aus Norddeutschland tummelten sich dort in den vergangenen Jahren. Andrea Röpke veröffentlichte vor zwei Jahren im Online-Informationsdienst „blick nach rechts“ ihre Recherchen über enge Verbindungen der „Artgemeinschaft“ zum „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU):

„Sogar einer der Angeklagten im Münchener Verfahren gegen die braune Terror-Zelle ‚Nationalsozialistischer Untergrund‘ (NSU), André E. aus Zwickau, beteiligte sich vor Jahren mindestens zwei Mal mit seiner Ehefrau sowie dem Zwillingsbruder mit Gemahlin an Treffen in Ilfeld. Susann E., die Frau des mutmaßlichen NSU-Terrornetzwerk-Unterstützers bestellte beim Versand der ‚Artgemeinschaft‘ Kleidung oder Utensilien. Als die ‚Artgemeinschaft‘ sich noch in der Lüneburger Heide zu germanischem Sechskampf, Feuer und Schulungen traf, nahm auch die mutmaßliche NSU-Terroristin Beate Zschäpe 1997 an einer so genannten ‚Hetendorfer Tagungswoche‘ von Jürgen Rieger teil.“

Ausgaben der 'Nordischen Zeitung' der 'Artgemeinschaft'.  Foto: a.i.d.a.Nach dem Tod Riegers übernahm Axel Schunk aus dem bayerischen Stockstadt die Führung. Schatzmeisterin war (Stand: aktuelle Vereinsunterlagen, zuletzt eingereicht für 2012) Ute R. aus dem bayerischen Schillingsfürst. In der Zeitschrift der „Artgemeinschaft“, der „Nordischen Zeitung“, erscheinen viele Artikel von NS-Wissenschaftlern und Artikel über nationalistische Dichter und Politiker. In den „Sippennachrichten“ finden sich mit Runensymbolik versehene Todes-, Geburts- und Hochzeitsanzeigen aus den Reihen der mehreren hundert Mitglieder.

Bei der „germanischen Glaubensgemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung“ verschmelzen die Verherrlichung des Nationalsozialismus mit einem religiösen Überbau. Als Äquivalent zu einem christlichen Glaubensbekenntnis und den „Zehn Geboten“ gilt in der „Artgemeinschaft“ ein „Artbekenntnis“ und „Sittengesetz“. Die antifaschistische Zeitschrift „Lotta“ hat die Grundsätze der „Artgemeinschaft“ in ihrer aktuellen Ausgabe (Juli 2015) analysiert:

„Im Zentrum steht ein Ahnen und Rassenkult (…) die Formulierung ‚die Menschenarten sind verschieden in Gestalt und Wesen‘ ist kaum verklausulierter Rassismus und ‚ohne den Tod des Einzelwesenes sind die Arten nicht lebens- und entwicklungsfähig‘ faktisch eine Aufforderung zum ‚race war‘„.

Ahnungslose Behörden

Wir fragen bei der lokalen Kriminalpolizei nach der „Artgemeinschaft“, doch die will von nichts wissen:  „Im Zuständigkeitsbereich des Präsidiums Schwaben Süd/West sind keine Aktivitäten der ‚Vereinigung Artgemeinschaft‘ bekannt“, schreibt der Polizeipressesprecher Christian Eckel zurück. Während unserer Recherche hat sich die Situation um die Immobilie da schon längst zugespitzt. Anton Pfahler machte zuletzt im Jahr 2011 Schlagzeilen, als er sich vor Polizeibeamten mit einer Ceska-Pistole in den Bauch schoss. Aktuell soll der 69-Jährige schwerer erkrankt sein. Jedenfalls scheinen ihm seine Vermögenverhältnisse zu entgleiten, die „Alte Sennküche“, auf der seit 2011 eine sechsstellige Hypothek liegt, wird, das ist spätestens im Februar 2015 klar, zwangsversteigert werden.

Schwere Kisten werden aus der Immobilie zu einem Miet-LKW geschleppt.  Foto: Robert AndreaschDie Ende Juli 2015 drohende Auktion erstreckt sich nach Gerichtsangaben – unabhängig von eventuellen, späteren Herausgabeforderungen – zunächst auch auf Zubehör, Bestandteile und Gegenstände im Gebäude. Ob man deswegen bei der „Artgemeinschaft“ in Panik gerät? Fürchtet man den Verlust von Büchern und Schriften? Am 11. Juli 2015 kommt es jedenfalls zu einem Treffen in Rieggis: Aktivist_innen und Familien der Artgemeinschaft reisen aus dem ganzen Bundesgebiet (u. a. Berlin, Burgenlandkreis, Rosenheim) sowie aus dem österreichischen Salzburg an. Im Ort versuchen die Beteiligten erst gar nicht, sich zu verbergen. Offen prangen auf den Fahrzeugen die Aufkleber mit dem Symbol der „Artgemeinschaft“, auf denen der (germanische) Adler den (christlichen) Fisch fängt. Der „Buchdienst der Artgemeinschaft – GGG e. V.“ hat sie für 2,50 Euro im Angebot.

Die Männer in den bündischen Kniebundhosen müssen schwer schuften. Stundenlang schleppen sie schwere Pappkisten und Umzugskartons aus dem Haus und wuchten sie in die Fahrzeuge. Sie beladen einen kompletten 7,5 Tonner-Lkw, Kleinbusse und große Autoanhänger. Dass es sich bei dem schweren Kartons um Bücherkisten handelt, ist durchaus naheliegend. Dafür spricht auch eine Änderung auf der „Asatru“-Website wenige Tage später: die Kontaktadresse für den Buchdienst der „Artgemeinschaft“ wechselt Ende Juli 2015 von Kempten nach Zeitz.

Schluss jetzt?!

Am 24. Juli 2015 findet am Amtsgericht Kempten vormittags der erste Zwangsversteigerungsversuch für die „Alte Sennküche“ statt. Der Verkehrswert für das Gebäude mit Hauptwohnung, sechs Appartements und ehemaliger Gaststätte, für das Grundstück und eine Doppelgarage beträgt einem Gutachten zufolge 291 600 Euro. 114 836,85 Euro müssten mindestens als Gebot genannt werden. Auch einer der Männer, die vor zwei Wochen beim Rausschleppen der Kartons geholfen haben, setzt sich nun zu den Interessent_innen und Nachbar_innen im Publikum. Neonazis, Strohmänner oder -Frauen bieten zunächst nicht mit. Schließlich kommt kein Gebot zustande, das die Gläubigerbank akzeptiert, ein neuer Versteigerungstermin muss angesetzt werden.

Sollten Neonazis oder für sie auftretende Personen auch beim zweiten Termin nicht zum Zuge kommen, könnte die von der „Artgemeinschaft“ genutzte Immobilie von Rieggis vielleicht bald Geschichte sein. Am bayerischen Innenministerium oder an irgendwelchen „konzertierten Aktionen der bayerischen Sicherheitsbehörden im präventiven und repressiven Bereich“ hat das dann aber nicht gelegen.

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