Nürnberg. In der Zeit zwischen 9.55 und 10.15 Uhr wird der 50-jährige İsmail Yaşar von Neonazis des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) ermordet.
İsmail Yaşar wurde 1995 im türkischen Alanyurt geboren, mit 23 Jahren zog er nach Deutschland. Mit seiner Ehefrau, Tochter und Sohn lebt er in Franken. Seit drei Jahren verkauft er in seinem eigenen Container auf dem Parkplatz Scharrerstr./Verlberstraße Döner, Eis und Süßigkeiten. Er engagiert sich im türkischen Freizeitverein Nürnberg Süd e.V. Für Mitte Juni 2005 plant er, aus Deutschland wegzuziehen.
Einige Monate vor dem Mord ist der Imbisstand Yaşars von einem Neonazi angegriffen worden. Jürgen F., der für die Sachbeschädigung auch verurteilt wurde, hat mindestens eine gemeinsame Veranstaltung mit drei der NSU-Netzwerk-Mitgliedern in Nürnberg besucht.
Die Neonazis Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt schießen dem Imbissbetreiber in seinem Stand gegenüber der Scharrerschule, wo auch der Sohn İsmail Yaşars zur Schule geht, in den Kopf und in die Brust. Die Neonazis feuern ihre Schüsse aus der Ceska 83-Tatwaffe ab, die sie zuvor bereits fünf mal bei Anschlägen eingesetzt hatten.
Eine Zeugin wird später aussagen, vor dem Mord in eiinem Supermarkt nahe des Tatorts eine Frau bemerkt zu haben, die Beate Zschäpe ähnlich sehe. Im Brandschutt des Hauses in der Zwickauer Frühlingsstraße, das Beate Zschäpe am 4., November 2011 in Brand setzt, wird eine schriftliche Tatortausspähung des Standorts von İsmail Yaşars Imbiss aufgefunden.
2005 fixiert sich die Polizei aufgrund rassistischer Arbeitshypothesen jedoch auf Ermittlungen gegen die Familie und das Umfeld von İsmail Yaşar, die Betroffenen werden von den Beamt_innen jahrelang drangsaliert. Kerem Yaşar, İsmails Sohn, wird später erzählen, dass die Ermittlungen die Familie völlig auseinandergebrochen hätten.
Im NSU-Prozess vor dem Münchner Oberlandesgericht führt die Nebenklagevertretrin Hilka Link in ihrem Plädoyer 2017 aus: „Warum mein Vater? Warum wir?“ Auch nach der Entdeckung der wahren Täter habe die Familie nicht wirklich verstehen können, wieso İsmail Yaşar das Opfer sein musste. Hinzu kämen die Fragen, wie die Täter überhaupt auf İsmail Yaşar kommen konnten, die Frage danach, wie eng die Verbindung des THS (Thüringer Heimatschutz) zu Nürnberg und Franken war, welches Mitglied der Unterstützerszene für den NSU den Tatort ausgespäht hat, der auf dem Kartenmaterial im Brandschutt sogar markiert war. Die drei Täter hätten Nürnberg sicher nicht so genau gekannt, dass sie die Tatorte des Mordes an Enver Şimşek, des Mordes an Abdurrahim Özüdoğru und des Mordes an İsmail Yaşar gefunden hätten. Link fragte: „Wer half ihnen? Wer wies auf diese Orte hin? Wer bestimmte damit deren Tod?“
Quellen:
– Birgit Mair/ISFBB: Begleitband zur Wanderausstellung „Die Opfer des NSU und die Aufarbeitung der Verbrechen“
– Antifaschistische Initiative „Das Schweigen durchbrechen“ (Nürnberg): „Im Gedenken an İsmail Yaşar“, 9. Juni 2022.