Seit 1. Oktober 2012 verkauft der „Revolution Store“ in der kleinen oberbayerischen Gemeinde Au in der Hallertau die in der extremen Rechten beliebte Modemarke „Thor Steinar“. Der Laden ist fest in die bayerische Neonaziszene eingebunden.
„Thor Steinar“ in der Provinz
Der Markt Au in der Hallertau hat gut fünfeinhalbtausend Einwohner_innen und liegt abgelegen im nördlichen Landkreis Freising. Regensburg und München sind weit entfernt. Der Personenverkehr auf der Schiene wurde schon in den siebziger Jahren eingestellt, heute gibt es nur noch einen Bus nach Freising, der für die Strecke eine dreiviertel Stunde braucht.
Seit drei Monaten bietet der kleine Ort jedoch eine Attraktion für Neonazis: Die liegt an der „Oberen Hauptstraße“, der zentralen Durchfahrtstraße, in einem kleinen Ladenzentrum zwischen Gemeindebücherei und Blumenladen und heißt „Revolution Store“. Der umstürzlerische Name könnte auf die Abschaffung der Demokratie in einer nationalsozialistischen „Revolution“ Bezug nehmen. Auch die Aggressivität des Shop-Logos weist in diese Richtung, schließlich kreuzen sich hier zwei Pistolen.
Der Laden führt – als zur Zeit einzige bekannte Adresse in Bayern – das Sortiment der bei der extremen Rechten beliebten Modemarke „Thor Steinar“ (TS). Schon beim Betreten des Ladens laufen die Kund_innen über einen „Thor Steinar – Nordic Company“-Teppich, auf dem Ladentisch prangt Werbung für das „Thor Steinar Racingteam“, der Laden ist mit einer Vielzahl an „Thor Steinar“-Oberbekleidung dekoriert, auf den Ständern hängen „Thor Steinar“-Jacken.
Der „Revolution Store“ und die oberbayerische Neonaziszene
Am 1. Oktober 2012 hat der fast 30-Jährige David D. (Name bekannt) aus dem nahen Attenkirchen-Thalham den „Revolution Store“ eröffnet und betreibt ihn seither zusammen mit seiner Frau als nebenberufliches Gewerbe. D., der in der Szene nur „Mutze“ genannt wird, stammt aus Görlitz. Einige Zeit lang war der Skinhead mit dem charakteristischen Backenbart immer wieder im Umfeld der neonazistischen „Freien Kräfte Erding“ anzutreffen. Bei der extrem rechten Hobbyfußballmannschaft „Die Urweissen“ spielte der Kicker des FC Moosinning mit der Trikotnummer „28“, die in der rechten Szene als Zahlencode für das in Deutschland verbotene „Blood & Honour“-Nazinetzwerk („BH“) verwendet wird. Der „Antifaschistischen Informations-, Dokumentations- und Archivstelle München“ (a.i.d.a.) liegen private Fotos vor, die „Mutze“ in einem T-Shirt zeigen, auf dem ein SS-Totenkopf abgebildet ist.
Zum Start der Internetpräsenz seines „Revolution Stores“ schrieben gleich mehrere bekannte Neonazis aus dem „Freien Netz Süd“ in dessen virtuelles Gästebuch. Nur eine Woche nach der Eröffnung des Ladens hatte dessen (zwischenzeitlich abgeschalteter) facebook-Account erschreckend viele, nämlich über 650 Freundinnen und Freunde. Die damalige Freundesliste beweist die sehr gute Einbindung von „Mutze“ und seinem Ladengeschäft in die bayerische Neonaziszene: Viele der dort aufgeführten User haben schwarz-weiß-rote Fahnen, neonazistische Badges oder NPD-Logos in ihren Profilbildern, einige nutzen gar NS-Größen wie Herrmann Göring oder NS-Idole wie Horst Wessel als Avatare. Zu den Freunden des Revolution Stores gehör(t)en zig bekannte Neonazis, darunter der stellvertretende NPD-Bundesvorsitzende Karl Richter (München), „Freies Netz Sachsen“-Gründer Maik Scheffler (Delitzsch) und der als Rechtsterrorist verurteilte Karl-Heinz Statzberger (Markt Schwaben) vom bayerischen Neonazidachverband „Freies Netz Süd“.
„Thor Steinar“: Runen, Mehr- und Eindeutigkeiten
Die Marke mit dem Fantasienamen, der auf den nordischen Gewittergott „Thor“ Bezug nimmt, wird seit 2003 durch die Brandenburger Firma „Mediatex“ (Zesen) vertrieben. Durch antifaschistische Recherchen konnten Mitarbeiter_innen von „Mediatex“ Bezüge zur Neonaziszene nachgewiesen werden. In der extremen Rechten wurde „Thor Steinar“ im vergangenen Jahrzehnt, trotz einiger Szenedebatten, zur bestimmenden Klamottenmarke.
TS-Firmenstrategie ist jedoch auch, einen über die extreme Rechte hinausgehenden Kreis von Abnehmer_innen anzusprechen. Dies spiegelt sich im Aufgreifen aktueller Modetrends genauso wieder wie im Verwenden von mehrdeutigen Symbolen oder in der Reduktion der Illustrationen, die manchmal nur Andeutungen oder (zumindest auf den ersten Blick) keine eindeutigen Neonazibezüge offenbaren.
Diese „Grauzone“ ist gewolltes Imagekonzept: Durch modisches Design und die Verwendung mehrdeutiger Symbole und Codes soll sich einer gesellschaftlicher Sanktionierung entzogen und Eingang in den Mainstream gefunden werden. „Unwissende“ mögen die Mehrdeutigkeit der Aufschriften und Logos vielleicht zunächst als „harmlos“ auffassen. Tatsächlich stellt „Thor Steinar“ aber z. B. über Andeutungen an die nordische und germanische Mythologie (Runen, „Walvater Wotan“, „Ultima Thule“, „Nordic Company“ u. v. a.), welche auch NS-Organisationen in ihren Inhalten und Zeichen verwendeten, einen Bezug zu germanisch-völkischen Inhalten her. Das im „Revolution Store“ häufig zu findende TS-Firmenlogo ist eine sogenannte „Binderune“ mit solch nationalsozialistischem Bezug, denn in dem Symbol „verbinden“ sich die Tyr-Rune, die der SS-Freiwilligen-Division „30. Januar“ als Abzeichen diente, mit der völkischen, u. a. von der SS-Panzerdivision „Das Reich“ verwendeten, Wolfsangel-Rune.
Andere Motive aus der TS-Kollektion plündern den Fundus der deutschen Kolonialgeschichte („SüdWestAfrika“, „Windhuk“) oder beinhalten menschenverachtende Hooligan- („3. Halbzeit“), Gewalt- und Waffenbezüge. So gab es in den letzten Jahren auch „Thor Steinar“-Motive, bei denen mit Blutspritzern („Kontaktfreudig“) und Sturmgewehren Antifaschist_innen „Hausbesuche“ angedroht wurden. Mit Aufschriften wie „Division Thor Steinar“, „Viking Division“, „Wüstenfuchs“, „Nordland“ oder „Nordmark“ werden oft Begriffe aus dem Zweiten Weltkrieg und dem Nationalsozialismus entlehnt, z. B. werden Bezeichnungen von SS-Divisionen und SA-Einheiten als Aufdrucke verwendet. Die im Hallertauer „Revolution-Store“ verkauften „STEINAR NORDMARK“-Jacken beispielsweise tragen den Namen eines nationalsozialistischen „Gaus“ und eines NS-„Arbeitserziehungslagers“ bei Kiel.
Der rechte Chic von „Thor Steinar“ hat für Neonazis eine identitätstiftende und politisierende Funktion. Das Tragen einer „eigenen“ Marke verschafft über Erkennungs- und Abgrenzungsmechanismen ein Zusammengehörigkeitsgefühl und ist damit wichtiger Teil rechter Alltagskultur und neonazistischen Lifestyles. Mit den ein- oder mehrdeutigen Aufdrucken werden bei allen Interpretationsmöglichkeiten jedoch auch konkrete Inhalte transportiert. Die extreme Rechte besetzt so, durch die weite Verbreitung entsprechender Textilien, selbstbewußt den öffentlichen Raum.
Marktgemeinde ahnungslos
Die Gemeindeverwaltung zeigte sich völlig überrascht. In den letzten Monaten habe niemand in Au das einschlägige Angebot des neuen Ladens erkannt oder skandalisiert. Die Gemeinde sei bisher auch von keiner Behörde informiert worden, sagten die Verantwortlichen, als sie von Journalisten des Bayerischen Rundfunks (BR) am Montag auf die a.i.d.a.-Recherchen aufmerksam gemacht wurden. Die anfängliche Verblüffung und Bestürzung wich im Gespräch dem Versprechen, schnellstmöglich Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Einen (potentiellen) Knotenpunkt für die überregionale Neonaziszene wolle man im Ort auf jeden Fall verhindern. Ob hier noch lange mit neonazistischen Szeneklamotten Geschäfte gemacht werden können?
Ein gutes Vorbild: Nürnberg
Erfolgversprechende Ratschläge könnte sich der Markt Au in der Hallertau bei Ver.di in Nürnberg einholen. Die Gewerkschafter_innen hatten sich mit einem Boykottaufruf und über einhundert Aktionen gegen den „Thor Steinar“-Laden „Tönsberg“ in der Nürnberger Innenstadt gewehrt. Ihnen gelang es damit nicht nur, die Bevölkerung breit über das Label „Thor Steinar“ aufzuklären. Zwei Jahre nach dessen Eröffnung gab der „Tönsberg“-Store im Januar 2011 dem antifaschistischen Druck nach und machte dicht.