Am Samstag, den 14. Oktober 2006, wollen neofaschistische Kameradschaften und die NPD einen zentralen Aufmarsch in Nürnberg abhalten. Vom Nürnberger Gerichtsgebäude in der Fürther Strasse aus, soll der braune Zug durch den migrantisch und alternativ geprägten Stadtteil Gostenhof zum Hauptbahnhof ziehen. Das Nürnberger Justizgebäude mit seinem berühmten Sitzungssaal 600 war 1946 historischer Ort der "Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse", wo führende Nationalsozialisten u. a. wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt wurden. Heute, 60 Jahre später, wollen die extrem Rechten unter dem Motto "Recht statt Rache – Revision der Nürnberger Prozesse" die verurteilten NS-Verbrecher zu Opfern stilisieren und damit die Geschichte der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft umschreiben.
Bei der Neonazi-Demonstration sind prominente Rechtsextremisten als Redner angekündigt:
NPD-Chef Udo Voigt, der frischgebackene Parlamentarische Berater der sächsischen NPD-Fraktion Olaf Rose und der Hamburger Neonazi Jürgen Rieger. Organisiert wird der Aufzug am kommenden Samstag von Christian Malcocci (Nordrhein-Westfalen).
Fast 2000 AntifaschistInnen aus Nürnberg und der ganzen Bundesrepublik unterzeichneten mittlerweile einen "Aufruf zum zivilen Ungehorsam", mit dem alle Bürgerinnen und Bürger aufgefordert werden, die Verherrlichung des Nationalsozialismus zu verhindern. Wir dokumentieren aus dem Aufruf:
"Nicht mit uns! Diese skandalöse geschichtsrevisionistische Verherrlichung des Nationalsozialismus darf nicht stattfinden! Weder in der "Stadt des Friedens und der Menschenrechte" noch anderswo!
Deshalb rufen wir alle Bürgerinnen und Bürger dazu auf, zivilen Ungehorsam zu zeigen und mit friedlichen Mitteln den Naziaufmarsch durch Gostenhof zu blockieren und damit die Verherrlichung des Nationalsozialismus zu verhindern. Insbesondere in einer Zeit wieder zunehmender rechtsextremer Übergriffe und Wahlerfolge ist und bleibt uns der Schwur der Überlebenden des Konzentrationslagers Buchenwald Mahnung: Nie wieder Faschismus!
X-tausendmal quer gegen den Naziaufmarsch – am 14.10.06 vor dem Nürnberger Justizgebäude in der Fürther Strasse – Ich bin dabei!"
Zu den AufruferInnen gehören Überlebende nationalsozialistischer KZs (u.a.
Josef Jakubowicz, Esther Bejarano, Martin Löwenberg, Hilde Faul-Gerber), antifaschistische Widerstandskämpfer (u. a. Peter Gingold), und bekannte VertreterInnen aus Politik (u. a. Oskar Lafontaine, Claudia Roth, Bertold Kamm – Vizepräsident des Bayerischen Landtags a. D), Medien (u. a. Roger Willemsen, Peter Sodann), Sport (u. a. Rachid Azzouzi – Teamleiter von SpVgg Greuther Fürth), Wissenschaft (u. a. Prof. Birgit Rommelspacher, Prof. Dr. Christoph Butterwegge), politischen Gruppierungen (z. B. VVN-BdA, attac, PDS, WASG, Bündnis90/Grüne, Einzelgewerkschaften, ´solid, Sozialforum Nürnberg) und Religionsgemeinschaften (u. a. Naomi Blume – Vorsitzende der Israelistischen Kultusgemeinde Fürth).
200 Einzelpersonen und Organisationen, darunter autonome und antifaschistische Gruppen, Läden und Initiativen im Stadtteil Gostenhof, Parteien und Vereine, gingen dazu mit dem vom Antifaschistischen Aktionsbündnis Nürnberg und der "Organisierten Autonomie (OA)" initiierten Aufruf: "Keine Nazipropaganda! Keine Verdrehung der Geschichte! Stoppen wir die Nazis! Gostenhof – ein Stadtteil und seine FreundInnen stellen sich quer" an die Öffentlichkeit.
Im Aufruf heißt es :"…Der Stadtteil und seine BewohnerInnen waren in der jüngeren Vergangenheit deshalb immer mal wieder Ziel neonazistischer Propaganda, Schmierereien und Einschüchterungsversuche. Der im Oktober geplante Aufmarsch stellt allerdings eine neue Qualität dar. Die Nazis wollen also mitten durch Gostenhof marschieren, ihre die Geschichte verdrehende Propaganda und ihre ausländerfeindliche Hetze in den Straßen unseres Stadtteils verbreiten. Solche Aufmärsche dienen den FaschistInnen dazu, ihre rassistische Propaganda zu verbreiten, neue AnhängerInnen zu gewinnen, Andersdenkende einzuschüchtern und lokale Nazi-Organisationen zu unterstützen. Im aktuellen Fall versuchen die Nazis darüberhinaus sich durch die Auswahl des historischen Ortes – das Gerichtsgebäude in dem die Nürnberger Prozesse stattfanden – bundesweit in die Schlagzeilen zu bringen. Dadurch sollen ihre Inhalte in das Bewusstsein von vielen katapultiert werden. Geht es nach dem Willen der Nazis, gibt es keine deutsche Kriegsschuld, hat der Holocaust nie stattgefunden, gab es keine deutschen Kriegsverbrechen, keine Millionen Opfer iher Terrorherrschaft. Aus faschistischen TäterInnen sollen im Bewusstsein der Menschen die eigentlichen Opfer des Kriegs gemacht werden. Es soll die Niederlage des Faschismus im 2. Weltkrieg revidiert werden.
Ein derart verdrehtes Geschichtsbild, soll helfen faschistische Ideologie, trotz ihrer mörderischen Verbrechen, in weiten Teilen der Gesellschaft wieder denkbar zu machen und damit perspektivisch den Weg für eine erneute Übernahme der politischen Macht in Deutschland ermöglichen.
Wir sagen laut und deutlich Nein zu den FaschistInnen und zu ihrer menschenverachtenden Ideologie. Die Nazis und ihre Ideologie wurden in der Weimarer Republik dazu benutzt, Menschen während Wirtschaftskrise und Massenarmut zu spalten und gegeneinander zu hetzen. Die Schuld für die wirtschaftliche Lage und den sinkenden Lebensstandard der Mehrheit wurde "den Juden" oder anderen Völkern angedichtet. Die, die sich darauf nicht einließen, sich dennoch für ein Recht auf ein menschenwürdiges Leben für alle einsetzten, wurden von ihnen mit allen Mitteln bekämpft. Unter ihrer Herrschaft wurde die ArbeiterInnenbewegung zerschlagen, Gewerkschaften verboten und schließlich alle Organisationen Andersdenkender aufgelöst. In ihrem Rassenwahn versuchten sie alle Juden und Jüdinnen Europas zu ermorden. Für die Profitinteressen der deutschen Industriekonzerne und Banken überfielen sie andere Länder.
In den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen waren Nazifunktionäre, führende Vertreter des faschistischen deutschen Staates, Wehrmachtskommandeure, Wirtschaftsbosse und Direktoren der Industrie angeklagt. Die Anklagepunkte lauteten Verbrechen gegen den Frieden, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschheit. Sie wurden zurecht verurteilt! Nie wieder Faschismus hieß damals die Parole all jener die den nazionalsozialistischen Konzentrations- und Vernichtungslagern entkommen waren. Nie wieder Faschismus sagten zurecht fast alle, die das Terrorregime der Nazis und den Krieg überlebt hatten.
Nie wieder Faschismus sagen auch wir hier und heute!"
Antifaschistische Treffpunkte am 14.10.2006 in Nürnberg:
09.30 Uhr, Plärrer (Ecke Gostenhofer Hauptstr.): Kundgebung "Keine Nazipropaganda! Keine Verdrehung der Geschichte! Stoppen wir die Nazis! Gostenhof – ein Stadtteil und seine FreundInnen stellen sich quer"
10.00 Uhr (pünktlich!), Plärrer (Ecke Gostenhofer Hauptstr.): Beginn der Demonstration Richtung Justizgebäude
10.30 Uhr, vor dem Justizgebäude (Fürther Str. 110, 90429 Nürnberg): Kundgebung des Bündnisses "Nazis stoppen am 14.10. in Nürnberg"
Nach aktuellen Infos (Freitag, 12.10.2006) wollen die Nazis um 14.00 Uhr mit einer Kundgebung vor dem Justizgebäude (Fürther Str.110) beginnen.