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9. November 2003

München. Am 65. Jahrestag der Pogromnacht des 9. Novembers 1938 soll am St.-Jakobs-Platz bei einem Festakt der Grundstein für eine neue Synagoge, das Gemeindezentrum der IKG und das Jüdische Museum gelegt werden. Die Münchner Rechte ist empört.

Ende November 2002 bereits haben sich Akteur_innen von „Republikanern“, der „Deutschen Partei“, der „Deutschlandbewegung“ und des ehemaligen „Bunds Freier Bürger“ getroffen, um unter Führung der extrem rechten Gruppe „Demokratie direkt“ Aktionen gegen die Neubauplanungen zu initiieren. Taktisch wollen sie sich unter anderem gegen die Auflösung des Parkplatzes auf dem St.-Jakobs-Platz wehren. Die Webseite von „Demokratie direkt“ und ihre Zeitschrift „München direkt“ titeln mit „Skandal vom St. Jakobs Platz“. Im Artikel wird beklagt, die „Altstadtbürger“ verlören „damit ihren Luftschutzbunker, der schon im zweiten Weltkrieg vielen Münchnern das Leben gerettet hat. Im Katastrophenfall sollen die Bürger künftig mehrere Kilometer zum Ersatz-Bunker zurücklegen“.

Ausschnitt aus der rechten Publikation „München Direkt“ mit der Schlagzeile „Der Skandal vom St. Jakobs Platz“.

Im Dezember 2002 wird im Rundbrief des sudetendeutschen „Witikobunds“ (München) willkürlich die finanzielle Misere der Stadt München mit dem Bau des jüdischen Gemeindezentrums in Beziehung gesetzt: „Verkaufe Rathaus und investiere in jüdische, werthaltige Immobilien“. Im Januar 2003 beantragt Johann Pius Weinfurtner im Münchner Stadtrat:

„Der Stadtrat möge beschließen:
1.1 Die Planung am Sankt-Jakobs-Platz wird wegen des Abrisses des Parkhaus am Oberanger neu überarbeitet.
1.2 Der Zivilschutzbunker ist zu erhalten.
1.3 Der Löschwasserspeicher wird aus Sicherheitsgründen nicht aufgelassen.“

Im Februar 2003 fordert der REP-Stadtrat, die Neugestaltung des St.-Jakobs-Platzes aufzugeben, weil die „Akzeptanz beim Bürger fehlt“. Am 13. Februar 2003 führt „Demokratie direkt e. V.“ auf dem Stachus eine Kundgebung „Stoppt den imperialistischen USA-Krieg gegen den Irak und den kolonialistischen Zionismus in Palästina“ durch. Die Münchner Neonaziszene beteiligt sich mit dem Transparent „Kein Blut für IsraÖL“. Die extrem rechten Akteur_innen sammeln vor Ort dutzende Unterschriften für den Erhalt des Altstadtbunkers unter dem St.-Jakobs-Platz.

Nach Aussage von Jessica F. in den späteren Prozessen gegen die Münchner Rechtsterrorist_innen treffen sich Personen aus den Organisationen „Demokratie direkt“ und „Deutsche Partei“ mit Aktivist_innen der neonazistischen „Schutzgruppe“ der Kameradschaft Süd in einem Nebenraum der Kneipe „Schampus“ in Neufahrn, um das weitere Vorgehen gegen die Grundsteinlegung zu besprechen. „Demokratie direkt“, die Organisation um Roland Wuttke, REP-Stadtrat Johann Pius Weinfurtner, den CSU-Akteur Thomas S. Fischer, Dirk Hohensohn u. a., meldet eine Protest-„Mahnwache“ gegen den Festakt an.

Bei „Demokratie direkt“ erscheint ein Text „Für eine Lösung, die dem Frieden dient. Der St. Jakobsplatz darf nicht zum Hochsicherheitstrakt werden“, in dem es zynisch heißt: „Ein Verzicht auf das Kulturzentrum an diesem Ort ist ein Beitrag zu Aussöhnung und entzieht dem Antisemitismus den Boden“. Zum Zeitpunkt, als die extrem Rechten dreist darüber schreiben, „angesichts der Gefahr durch Terroranschläge“ solle man „den St. Jakobsplatz einem anderen Zweck (z.B. familiengerechte Wohnungen – wie ursprünglich geplant)“ widmen, besprechen die eng mit „Demokratie direkt“ verbundenen Neonazis der „Kameradschaft Süd“/Aktionsbüro Süddeutschland“ genau solche militanten Anschläge. Die Neonazis trainieren zu dem Zeitpunkt paramilitärisch, haben sich mit Schusswaffen, einer Handgranate und Sprengstoff eingedeckt und diskutieren Anschlagspläne gegen mehrere Ziele. Sie lehnen aus antisemitischer Motivation nicht nur die Neubauten der Synagoge, des Kulturzentrums der Israelitischen Kultusgemeinde und des Jüdischen Museums ab, sie empfinden auch die Wahl des Datums der Grundsteinlegung als „unverschämt“: der 9. November ist für sie ein „Heldengedenktag“ zur Erinnerung an die beim Hitler-Putsch am 9.11.1923 in München getöteten Nationalsozialisten.

Seit der Termin der Grundsteinlegung am St.-Jakobsplatz veröffentlicht wurde, sprechen sie davon, unbedingt etwas gegen das neue jüdische Gemeindezentrum unternehmen zu wollen. Gemeinsam wird zuerst über eine Demonstration, dann über das Verspritzen von Schweineblut diskutiert. Der Anführer der Kameradschaft, Martin Wiese, spricht mehrfach von „massiver Störung“ und auch davon, vor dem oder am 9. November einen Bombenanschlag verüben oder eine Handgranate werfen zu können: „So ein Zeichen am Jakobsplatz wäre schon ein Ding“. Alexander M. fragt er nach einer Möglichkeit, eine Bombe durch die Sicherheitskontrollen zu bringen, nach einer potentiellen Zündmöglichkeit durch Stolperdraht und bittet ihn, eine angefangene Rohrbombe fertig zu bauen. Er überlegt auch, die Bombe in einem angrenzenden Gebäude zu deponieren oder im Vorbeifahren von einem Motorrad aus zu werfen.

Hausdurchsuchungen im August 2003 und Festnahmen mehrerer Neonazis nach Körperverletzungsdelikten im September 2003 durchkreuzen schließlich konkretere Anschlagsvorbereitungen. Die „Demokratie direkt“-Kundgebung wird abgemeldet. Der Festakt zur Grundsteinlegung findet ungestört mit 600 Gästen statt. Eine Namensliste der während der Schoa aus München deportierten Jüdinnen:Juden wird in den Grundstein eingemauert.

Die Agitation der Münchner extrem Rechten gegen die Neubauten geht nach dem 9. November 2003 jedoch weiter. „Pro München“, die u. a. aus „Demokratie direkt“ hervorgegangene Organisation, veröffentlicht im Dezember 2006 einen Text „So wollten die Münchner ihren St. Jakobs-Platz nicht haben“. Der ehemalige Parkplatz, so heißt es darin, habe durch die Bebauung „seine Urbanität und Beschaulichkeit verloren“. Antisemitisch wird geraunt: „Einflussreiche Kräfte bestimmten gegen den Willen der Bürgermehrheit“.

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