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26. Juli 2018

Neuburg am Inn-Pfenningbach (Lkr. Passau). Bürger_innen und Lokalpolitiker_innen gelingt es, den Bau einer Geflüchtetenunterkunft endgültig zu verhindern. Ein örtlicher Unternehmer und die Regierung von Niederbayern waren im November 2015 übereingekommen, in einem leerstehenden Gebäude am Magauerhof eine Unterkunft für 150 Asylsuchende einrichten zu wollen.

Die „Passauer Neue Presse“ zitiert den Bürgermeister Wolfgang Lindmeier (CSU) aus der folgenden Gemeinderatssitzung: „Da sind wir uns eh einig, dass das ein Wahnsinn ist“. Über hundert Bürger_innen des 320-Einwohner_innen-Orts werden in einer Bürgerinitiative gegen die Unterkunft aktiv, die sie  „Pro Asyl – mit Maß und Ziel“ nennen. Führender Protagonist ist ein Journalist, es werden medienwirksame Bilder produziert, z. B. mit 120 protestierenden Bürger_innen vor dem betreffenden Gebäude.

Der Gemeinderat lehnt im November 2015 und im März 2016 zwei Anträge auf Bauvorbescheide (einmal für eine Unterkunft für 150 Personen, einmal für eine Unterkunft für 102 Personen) einstimmig ab. Die Lokalpolitiker_innen versuchen, formale Gründe für die Verweigerungshaltung anzugeben: der Kanal passe nicht, dann die Stromanschlüsse, die Trinkwasserleitung sei zu klein, der Löschwasserdruck in der Gemeinde zu niedrig, die Zufahrt nicht ausreichend etc.

Am Montag, 19. September 2016, folgt der Gemeinderat einem Vorschlag des Anwalts der Bürgerinitiative. Die Lokalpolitiker_innen ändern den Bebauungsplan für das betreffende Gebiet und erlassen sofort eine Veränderungssperre für die Immobilie, um weiterhin die Errichtung der Unterkunft zu verhindern. Das Landratsamt verwirft nach einer Prüfung die formalen Gründe, die die Gemeinde vorgebracht hatte, außerdem beanstandet die Rechtsaufsicht des Landratsamts die Veränderungssperre und so wird schließlich im Februar 2017 eine Baugenehmigung erlassen. Die Bezirksregierung unterschreibt einen Mietvertrag für eine Geflüchtetenunterkunft für 102 Personen.

Der Gemeinderat fasst am 19. Februar 2017 einstimmig den Beschluss, beim Verwaltungsgericht Regensburg gegen die Baugenehmigung zu klagen und leistet sich dafür die Mandatierung des bisher für die Bürgerinitiative tätigen Rechtsanwalts. Über 50 Besucher_innen der Gemeinderatssitzung reagieren mit „Bravo“-Rufen und Applaus. Auch Anwohner_innen kündigen ihrerseits Klagen an, mindestens fünf reichen eine solche auch ein: ihre Grundstücke würden durch die Geflüchtetenunterkunft „entwertet“. Am 23. Februar 2017 veröffentlichen die Neonazis der Partei „Der dritte Weg“ einen Artikel über die Angelegenheit. In Pfenningbach verteilen sie die „Der dritte Weg“-Flugblätter „Asylflut stoppen – auch in Pfenningbach“. Der Besitzer des für die Unterkunft vorgesehenen ehemaligen Sportartikelgeschäfts wird im Ort mittlerweile massiv angefeindet, ein Lokalmedium berichtet über Hetze in sozialen Netzwerken, Hass-Kommentare, einen tätlichen Angriff auf ihn mit einer Schaufel sowie über Hundekot, den Unbekannte an seiner Hausmauer und in seinem Hof verteilen. Schließlich muss der Unternehmer sogar aus Pfenningbach wegziehen.

Im Oktober 2017 erklärt der Verwaltungsgerichtshof München die vom Gemeinderat erlassene Veränderungssperre für rechtswidrig. Am 6. und 7. Juni 2018 weist das Verwaltungsgericht Regensburg die Baugenehmigungsklagen der Anwohner_innen und der Gemeinde ab. Eine Anlage für soziale Zwecke in einem Wohngebiet sei zulässig. Eine Sprecherin der Bürgerinitiative gegen die Geflüchtetenunterkunft kündigt gegenüber dem Bayerischen Rundfunk (BR) an, den Rechtsweg durch weitere Instanzen beschreiten zu wollen. Ein Hetzkommentator droht unter einem Artikel des BRs: „Das könnte brenzlig werden“.

Die dreijährige Verzögerungstaktik geht schließlich auf: Im Juli 2018 erklärt die Bezirksregierung von Niederbayern, dass sie den mit dem Eigentümer geschlossenen und zunächst bis zum 31. August 2018 laufenden Mietvertrag nicht mehr verlängern wird. Öffentlich kritisiert nur der SPD-Landtagsabgeordnete Bernhard Roos Anwohner_innen und Gemeinde: „Es kann nicht sein, dass sich ein Dorf so dermaßen gegen Menschen in Not auflehnt, dass der rechtliche Rahmen ausgehebelt wird.“

Quellen: u. a. Berichterstattung der „Passauer Neuen Presse“ (Online-Version, www.pnp.de) vom 17. November 2015, 6. Januar 2016, 12. Januar 2016, 12. August 2016, 20. September 2016, 14. Februar 2017, 20. Februar 2017, 21. Februar 2017, 22. September 2017, 2. März 2018 und 8. Juni 2018; Artikel auf www.wochenblatt.de vom 3. März 2017, 9. März 2017, 26. Oktober 2017 und 31. Juli 2018; Artikel von www.buergerblick.de vom 13. April 2017; Berichterstattung von TRP1 vom 19. Oktober 2017, 12. Juni 2018 und 26. Juli 2018; Artikel des BRs (www.br.de) vom 26. April 2018, 8. Juni 2018 und 26. Juli 2018.

 

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