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2. Mai 2020

München. Am Wochenende finden in mehreren Städten Aktionstage sogenannter „Corona-Rebellen“ statt, die sich gegen die aktuell wegen der Coronavirus-Pandemie geänderte Rechtslage richten. In München wird für diesen Samstag gleich ein halbes Dutzend thematisch-ähnlicher Querfront-Versammlungen angemeldet.

Die sog. „Corona-Rebellen“ mobilisieren sich im Vorhinein vor allem über den anonymen Messenger „Telegram“. Eine der zentralen Chatgruppen nennt sich „Corona Rebellen München“, sie wird am 26. April 2020 gegründet. Rund zwei Wochen später wird sich der Name der Chatgruppe mehrfach ändern, u.a. in „Corona Patrioten München“ oder „Corona Termine München“.

Inhaltlich dominieren schnell verschiedenste verschwörungsideologische und pseudowissenschaftliche Äußerungen die mehreren Tausend Beiträge, die dort von den mehr als 800 Mitgliedern (Stand: 2. Mai 2020) in den folgenden Tagen gepostet werden. So wird die Gefahr, die durch das neuartige Coronavirus ausgeht, verharmlost oder komplett negiert. Die Schutzmaßnahmen vor dem Virus, inklusive der teilweise noch geltenden Kontaktbeschränkungen, seien übertrieben und würden in erster Linie der Kontrolle der Bevölkerung dienen. In diesem Zusammenhang fällt auch immer wieder der Begriff „Corona-Diktatur“, die Maskenpflicht wird mit dem Zwang zum Tragen von gelben Sternen bei Jüdinnen und Juden in der NS-Zeit verglichen.

Die allermeisten Nutzer_innen eint zudem auch, dass sie sich vehement gegen die z.T. aktuell rechtlich verpflichtenden Schutzmaßnahmen (wie das Maskentragen in Geschäften) sowie Impfungen aussprechen und den US-amerikanischen Milliardär Bill Gates bzw. die World Health Organization (WHO) als angebliche Profiteure oder sogar Urheber der Pandemie ausmachen. Dabei wird immer wieder auf rechte Internetportale verwiesen, auch Inhalte aus verschiedenen, extrem rechten Verschwörungsideologien („RFID-Chips“, „Adrenochrom“, „QAnon“ etc.) bzw. der „Reichsbürger“-Bewegung werden diskutiert.

Anstelle einer großen, zentralen Kundgebung finden die insgesamt sechs stationären Kundgebungen am Samstag zu unterschiedlichen Uhrzeiten an unterschiedlichen Orten (Odeonsplatz, Stachus, Max-Joseph-Platz, Marienplatz) statt, sodass Anwesende mehrere Demos hintereinander besuchen können. Die Versammlungsmottos lauten dabei z.B. „Erhaltung der Grundrechte auf der Grundlage des Grundgesetzes“, „Wiederherstellung der Grundrechte“, „Für Grundrechte, Freiheit und Selbstbestimmung“, oder „Stopp! Freiheit, Grundrechte und Selbstbestimmung“. Die Veranstalter_innen treten unter Namen wie „Nicht ohne uns“, „Corona Rebellen“ oder „Weißer Samstag“ auf. Angemeldet sind die Veranstaltungen zumeist für 30-50 Teilnehmer_innen, auch die Regelung, mindestens 1,5m Abstand untereinander zu halten ist Teil der Auflagen.

Die größten Kundgebungen finden schließlich am Max-Joseph-Platz (14.00-15.45 Uhr) und am Marienplatz (12.05-14.00 Uhr sowie 15.10-16.45 Uhr) statt. Zum großen Teil überlappen sich die Teilnehmer_innen bzw. bewegen sich nach Beendigung einer Demo zur nächsten. Die ursprünglichen Kundgebungen, die versammlungsrechtlich auf maximal 50 Teilnehmende begrenzt sind, sind z.T. mit Absperrband abgesperrt – dies jedoch nur vorgeblich, die weiteren Demonstrant_innen stellen sich einfach außerhalb der Absperrung dazu: in der Spitze bis zu 400 Personen.

Maßgeblich verantwortlich für die Organisation der „Corona-Rebellen“-Demos sind die 62-jährige Yoga-Lehrerin und Ernährungsberaterin Petra Kotthoff (München) sowie die 53-jährige Immobilienmaklerin Sina Bodden (Aschheim). Beide fungieren als Administratorinnen für die zentrale Telegram-Gruppe.

Unter den Teilnehmenden befinden sich zahlreiche rechte Akteur_innen, darunter AfD-Funktionär_innen wie Johannes Huber (Nandlstadt), Petr Bystron, Wolfgang Wiehle, Misha Bößenecker, Martin Köppl, Markus Walbrunn, Georg Höhenleitner (alle München), Hans-Jörg Müller (Ainring-Mitterfelden), Benjamin Nolte (München), Anne Cyron (Rosenheim), Sybill Constance de Buer (Burghausen), Wolfgang Kellermann (Erding) oder Oliver Multusch (Mühldorf). Auch die erst im April 2020 aus der AfD ausgetretene, ehemalige Bundestagskandidatin Brigitte Fischbacher (Baldham), der „Junge Alternative“-Aktivist Luis T. (München), der rechte, verschwörungstheoretische Autor Gerhard Wisnewski (München), die YouTuberin Miriam Hudson sowie die von „Pegida München“ bekannten Akteur_innen Birgit Weissmann, Richard W. (Sauerlach), Rolf H., Stefan Sch., Roland H., Monika Sch. und Daniel K. (alle München) sind vor Ort.

Mit dem Ex-BIA-Stadtrat Karl Richter, der „Dritter Weg“-Aktivistin Petra K. (beide München) und dem als „österreichischer Hitlerimitator“ bekannt gewordenen Harald Zenz lassen sich auch einige Neonazis bei den Kundgebungen blicken.

Die Versammelten, die zum allergrößten Teil nicht den vorgeschriebenen Mindestabstand wahren, tragen ebenso fast ausnahmslos und vermutlich absichtlich keine Mund-Nasen-Masken im Sinne des Infektionsschutzes. Viele haben eigene Schilder gemacht, auf denen verschwörungsideologische und impfkritische Slogans geschrieben sind. Einige Personen haben zudem auf ihre Klamotten oder Plakate den Buchstaben „Q“ gemalt, der auf den extrem rechten und antisemitischen „QAnon“-Verschwörungsmythos hinweist.

Immer wieder finden sich auch Gleichsetzungen der Pandemie-Maßnahmen mit autoritären oder gar faschistischen Regimen („Covid 1984“, „DDR 2.0“, „Schluss mit dem Corona-Faschismus“, „Gesundheitsdiktatur nein danke“, „Willkommen im Reich 4.0“), Referenzen auf eine angeblich regierungsgesteuerte „Lügenpresse“ („Unabhängige Presse, keine Propaganda“), Pandemie-Leugnungen („Die ‚Corona-Pandemie‘ ist ein erfundenes Märchen“, „Corona-Lüge“) oder Verweise auf andere Verschwörungsideologien („5G Stopp“, „Dezimierung der Menschheit durch Bill Gates“, „Georgia Guidestones“, „Verschwörung der Globalisten“) sowie pseudowissenschaftliche, impfkritische Statements („Ihr lasst euch und eure Kinder hochgiftige Substanzen spritzen“ (sic)) oder Werbung für den Film „Vaxxed“. Manche werben auch für die neu gegründete, verschwörungsideologische Partei „Widerstand 2020“ um den Sinsheimer Arzt Bodo Schiffmann. Redebeiträge im klassischen Sinne werden nicht gehalten, an manchen Orten gibt es jedoch offene Mikrofone.

Immer wieder mahnt die Polizei per Lautsprecherdurchsagen zur Einhaltung des Mindestabstands von 1,5 Metern, was jedoch von einer Vielzahl der Versammelten mit Buhrufen kommentiert wird. Nur zögerlich vergrößern Einzelne ihren Abstand zu den anderen Personen. Gegen Ende der Kundgebungen, gegen 16.45 Uhr, nimmt die Polizei insgesamt 31 Aktivist_innen vorübergehend fest und zeigt sie wegen Verstößen gegen das Infektionsschutzgesetz an, nachdem diese sich beharrlich geweigert hatten, die Örtlichkeiten zu verlassen.

Siehe auch: Pressemitteilung des Polizeipräsidiums München vom 3. Mai 2020.

Die Teilnehmenden halten keinen Abstand und tragen keine Masken. Foto: Robert Andreasch
der AfD machen Fotos mit anderen Teilnehmer_innen. (c) Robert Andreasch
Bundestagsabgeordnete der AfD posieren für Fotos mit anderen Teilnehmer_innen. Foto: Robert Andreasch
Einer der wenigen Aktivist_innen, der einen Mund-Nasen-Schutz trägt. Foto: Robert Andreasch
Die durch „Pegida“ wieder populär gewordene Parole „Wir sind das Volk“ auf einem Schild. Foto: Robert Andreasch
„weltweite Verschwörung der Globalisten“: strukturell antisemitische Inhalte auf einem Transparent. Foto: Robert Andreasch
Eine Demonstrantin wirbt auf ihrem Schild für den extrem rechten „Q-Anon“-Verschwörungymythos. Foto: Robert Andreasch
Ein Aktivist versucht, einen Foto-Journalisten mit einer Deutschlandflagge zu behindern. Foto: Robert Andreasch

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