Drücke "Enter", um den Text zu überspringen.

11. November 2023

Dasing (Lkr. Aichach-Friedberg). Die Gruppe „Reconquista 21“/R21 (ehemals „Wack’re Schwaben“/„Identitäre Bewegung“ (IB)) veranstaltet im Saal des Gasthofs „Zum Bäckerwirt“ (Friedberger Str. 10) unter konspirativen Umständen den sogenannten „Schwabenkongress“.

Zu den Teilnehmenden gehört der lokale AfD-Multiaktivist und -Kreisrat Simon Kuchlbauer. Bei der Veranstaltung referieren der österreichische Neofaschist Martin Sellner und Erik Ahrens, Mitarbeiter des AfD-Europaabgeordneten Maximilian Krah. Auf einer aufgestellten Fotowand hängen Bilder von Aktionen der „Jungen Alternative“ und der „Identitären Bewegung“, mittels eines Beamers werden Aktionen der IB vorgestellt, u. a. deren Auftritt auf dem Dach des Inselbads in Stuttgart-Untertürkheim im Juli 2023.

In der Öffentlichkeit wird das Dasinger Treffen erst im Nachhinein bekannt. Am Abend des 11. Novembers 2023 veröffentlicht Martin Sellner einen Videoclip, in dem er von der Veranstaltung erzählt: Im „Raum Augsburg“ habe ein „Schwabenkongress“ mit über 60 „vor allem jungen Leuten“ aus dem „Parteivorfeld“ stattgefunden. Es seien neben den Vorträgen auch Videoclips von Aktionen der „Identitären Bewegung“ gezeigt und ein rechtes Kinderbuch vorgestellt worden. Es handelt sich dabei um das Buch „Der kleine Fisch schwimmt gegen den Strom“, das der extrem rechte „Hydra-Verlag“ aus Dresden angekündigt hat.

Akteur_innen von R21 und der AfD-Jugendorganisation „Junge Alternative“ (JA) veröffentlichen in den unterschiedlichen sozialen Medien auffallend wenige Bilder der geheim vorbereiteten Veranstaltung. Und selbst die wenigen Fotos werden gepostet, ohne dabei auf die Veranstaltung und den Veranstaltungsort näher einzugehen. Sie werden von Teilnehmenden und IB-Fans auch nicht – wie sonst – vielfach weitergeteilt. Auf einem dieser wenigen Fotos, es wurde unzweifelhaft im „Bäckerwirt“ aufgenommen, stehen Sellner und ein R21-Aktivist vor dem Stadtwappen Dasings und vor einem R21-Roll-Up. Sellner formt dabei seine Hand zu einer Geste, die nicht zuletzt der Christchurch-Attentäter (und Sellner-Spender) als „White Power“-Symbol popularisiert hat. Die extrem rechte Organisation „Haymon“ aus Tirol twittert ein einziges Foto des, Zitat, „Vernetzungstreffens“. Darauf ist Martin Sellner als Vortragsredner auf der Bühne bzw. vor der holzgetäfelten Wand zu sehen. Ein anderes Foto des Tages zeigt die beiden bayerischen AfD-Landtagsabgeordneten Franz Schmid und Daniel Halemba zusammen mit dem „Junge Alternative“-Aktivisten Jan R. Behr vor der Theke des „Bäckerwirts“. Franz Schmid trägt ein T-Shirt, das die „Identitäre Bewegung“ in ihrem „Phalanx“-Shop verkauft: mit der Aufschrift „Sturmfest und erdverwachsen“ aus dem „Niedersachsenlied“ (des späteren NSDAP-Mitglieds Hermann Grote), im schwarz-gelben Design der neofaschistischen Organisation. Der „Phalanx“-Versand hat auf der geheimen Veranstaltung im „Bäckerwirt“ einen Verkaufsstand.

Der Ort Dasing ist sicher nicht zufällig ausgewählt worden. Es ist von hier nicht weit nach Gachenbach-Peutenhausen, wo Neofaschist_innen der „Identitären Bewegung“ und anderer Organisationen aus Bayern, Baden-Württemberg und der Schweiz am 9. Februar 2023 die Bewohner_innen einer Geflüchtetenunterkunft mit Rauchtöpfen und Transparenten einschüchterten. Auf der Flucht wurden einige von ihnen damals in Dasing auf einem Rastplatz von der Polizei festgesetzt. Auch der „Bäckerwirt“ ist einschlägig bekannt. Seit vielen Jahren finden hier die Veranstaltungen der AfD statt, z. B. im April 2023 mit der AfD-Europaabgeordneten Sylvia Limmer oder im Januar 2024 mit dem AfD-Bundestagsabgeordneten Rainer Rothfuß.

Nach Berichterstattung der „Augsburger Allgemeinen Zeitung“ und der Würzburger „Mainpost“ am Morgen des 31. Januar 2024 über das extrem rechte Treffen veröffentlichen „Reconquista 21“ und die IB-Plattform „Heimatkurier“ am Abend schnell selbst Berichte („Geh-Heim-Treffen gibt es auch im Süden“ bzw. „Der Schwabenkongress – Patriotische Vernetzung bei Augsburg“) und Fotos zu der bis dato ihrerseits noch nicht öffentlich thematisierten Veranstaltung. Abgesehen von den ausgewählten Fotos, gibt R21 strikt nur bekannt, was durch Medienrecherchen eh offenbar geworden ist. Der „Heimatkurier“ schreibt zudem, Sellner habe über die „Notwendigkeit und Machbarkeit des Remigrationskonzeptes“ gesprochen, Erik Ahrens über „wirtschaftliche Parallelstrukturen von rechts“. Außerdem habe man zusammen noch die „Eisenfaust“ (gemeint ist wohl das bei der IB beliebte Lied „Die Eisenfaust am Lanzenschaft“) gesungen. Die AfD Bayern bestätigt nun, dass zwei Mitglieder der Landtagsfraktion an dem Treffen teilgenommen haben, nennt aber keine Namen. Der AfD-Landesvorsitzende Stephan Protschka erwähnt in einem Interview mit dem BR-Fernsehen hingegen zumindest den Namen Franz Schmid – der zwischenzeitlich auch Vorsitzender der JA Bayern geworden ist.

Zwei Wochen nach dem „Schwabenkongress“, am 25. November 2023, gibt es in Potsdam ein weiteres geheimes Treffen von Martin Sellner, AfD-lern und anderen Neofaschist_innen, bei dem wieder über das Sellnersche Konzept der „Remigration“, also die millionenfache, zwangsweise (und daher erwartbar gewaltförmige) Deportation von Menschen, diskutiert wird. Das Bekanntwerden dieses Treffens und der dort besprochenen Vertreibungspläne führt zu vielen Demos gegen rechts, an denen sich hunderttausende Menschen beteiligen, sowie zu einem einem starken Aufleben der Debatte um ein AfD-Verbot. Wenige Tage später, am 30. November 2023, tritt Franz Schmid im Plenum des bayerischen Landtags ans Mikrofon und hält eine Parlamentsrede. Sein Thema: „Remigration“.

Durch die weitere Nutzung der Seite stimmst du der Verwendung von Cookies zu. Weitere Informationen

Die Cookie-Einstellungen auf dieser Website sind auf "Cookies zulassen" eingestellt, um das beste Surferlebnis zu ermöglichen. Wenn du diese Website ohne Änderung der Cookie-Einstellungen verwendest oder auf "Akzeptieren" klickst, erklärst du sich damit einverstanden.

Schließen