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Die Lücke zwischen den Bildern

Die a.i.d.a.-Bibliothek umfasst auch Comics, die sich mit dem Nationalsozialismus, der Shoah oder der radikalen Rechten befassen. Neu dazugekommen ist Barbara Yelins Comicroman „Irmina“ über den Alltag, das Schweigen und die Frage von Verantwortung und Entscheidungsmöglichkeiten jeder/s Einzelnen während des Nationalsozialismus. Cornelia Fiedler sprach mit der Münchner Autorin und Zeichnerin.

Das Cover von Barbara Yelins 'Irmina'.[Das Interview erschien zuerst im „Münchner Feuilleton“ (www.muenchner-feuilleton.de).]

Auf die Idee zu Ihrem Comicroman brachten Sie Briefe aus dem Nachlass Ihrer Großmutter: Die junge Irmina geht 1934 aus Deutschland nach London und verliebt sich in Howard, einen Studenten aus Barbados. Ist das die reale Konstellation?

Die Eckpunkte der Handlung stimmen grob, ja, ich habe mir aber große Freiheiten in der Figurenzeichnung und den Dialogen genommen. Die biografischen Anteile funktionieren wie Puzzleteile innerhalb des Romans. Natürlich hatte ich auch überlegt, den familiären Hintergrund gar nicht zu erwähnen. Nur, wenn das alles ausgedacht wäre, würde es sehr unglaubwürdig klingen…

Stimmt: Irmina muss dann zurück nach Deutschland und lebt dort ein völlig gegensätzliches Modell: Sie arbeitet im Kriegsministerium, heiratet einen SS-Mann, wird Hausfrau, unterstützt das NS-Regime. Im dritten Teil, in den 80er Jahren, folgt dann sogar noch ein Wiedersehen mit Howard. Wie passt das zusammen?

Irmina ist anfangs mutig und unkonventionell, das aber immer schon auf eine sehr egozentrierte Art. Wichtig ist ihr, dass sie weiterkommt. Howard und sie sind beide Außenseiter, das verbindet sie. Aber Irminas Widersprüchlichkeit ist dort schon angelegt. Sie verteidigt ihn, als er aufgrund seiner Hautfarbe angegriffen wird, sie wird dabei aber selbst diskriminierend. Sie ist mutig aber nicht klug. Für mich war das primär eine Figurenerforschung: Was weiß sie, was kriegt sie in Deutschland mit, wie kann es sein, dass jemand so handelt?

Zur Frage, was wusste die normale deutsche Bevölkerung, liefert der Roman einige Schlüsselszenen: Einmal wird auf offener Straße der Hausrat deportierter jüdischer Nachbarn versteigert…

Aus der Entstehung von 'Irmina'.  Copyright: Barbara YelinAllen, die das gesehen oder dort gekauft haben, muss klar gewesen sein, dass die Eigentümer niemals zurückkommen. Ich habe viel mit Augenzeugenberichten und Tagebüchern gearbeitet und versucht, im Kleinen zu ergründen, wie sich jemand wie Irmina im Alltag verhalten hat. Auf den Recherchen, dem Zeichnen und Ausprobieren, was sie gesagt haben könnte, basiert meine Vermutung, dass wohl sehr, sehr wenig darüber gesprochen wurde. Das ist ein Thema des Romans: diese Sprachlosigkeit, das Schweigen als ganz relevanter Faktor für das Wegschauen. Ich denke, es war möglich zu wissen, aber das Schweigen half, es auszublenden.

Das Schweigen von damals wirkt bis heute in den Familien nach. Jeder kennt Bruchstücke aus den Geschichten der eigenen Großeltern. Sie aber offen zu fragen, was sie gewusst, erlebt, getan haben, das habe ich zum Beispiel nie hingekriegt.

Ich habe es versucht, aber man muss auch noch eine Antwort bekommen. Ich wusste nicht, wohin mich diese Geschichte führt, was die Kernfrage wird. Letztlich war es die Widersprüchlichkeit dieser Figur und die damit verknüpfte Schuldfrage.

„Irmina“ ist auch eine Geschichte über Entscheidungen, über ungenutzte Möglichkeiten.

Es gibt Momente, da hat Irmina keine Wahl, manchmal aber schon. Mit jeder kleinen Entscheidung, jedem Schritt hin zum angestrebten sozialen Aufstieg, wird ihr Weg, ihr Blick enger. Ihre Perspektive verengt sich auch auf der Bildebene, irgendwann kommt die Politik nur noch durch die Ritzen der Wohnung rein.

Aus 'Irmina'.  Copyright: Barbara YelinWelche Rolle spielt der Zeichenprozess, wenn Sie Figuren und Plot entwickeln?

Wenn ich loslege, sind die Texte nur Gerüst, dann kommt das Storyboard, das aufzwirbelt, wie der Plot szenisch funktioniert. Mein ganzes Begreifen und Entwickeln einer Story kommt von der Zeichnung her. Deshalb hat es etwas sehr prozesshaftes, Inhalt und Technik sind eng verschränkt.

Sie haben fünf ganz verschiedene Comics veröffentlicht, darunter den historischen Kriminalroman „Gift“ mit Autor Peer Meter, aber auch „Riekes Notizen“, humorvolle Alltags-Comicstrips, erschienen in der Frankfurter Rundschau. Wie finden Sie Ihre Themen, was treibt Sie an?

Was „Irmina“ und „Gift“ verbindet, ist mein Interesse dafür, wie Menschen ticken, für Ambivalenzen und Widersprüche. Und ich finde den nahen, präzisen Blick oft viel spannender, als die epische Perspektive von oben. Sehr wichtig ist mir auch die Recherche, um den eigenen kleinen Themenkreis zu erweitern. Und natürlich muss mich ein Thema so lange interessieren, wie ich daran arbeite – bei „Irmina“ waren das über zwei Jahre. Ich bereite in allen meinen Arbeiten Fragen auf, nicht Antworten. So funktionieren ja Comics, du hast zwei Panels, zwei Bilder und dazwischen ist die berühmte Lücke. Was da drin passiert, entsteht beim Leser, in der Imagination.

Beim Lesen von „Irmina“ bekommt man, ohne dass das erklärt würde, ein Gefühl dafür, was dieses System stabilisiert hat, wenn man sich eine Masse von Menschen vorstellt, die ähnlich ticken, wie sie.

Jemand wie Irmina, die ihren Mann beim Aufstieg unterstützt, hat letztlich eben nicht nur nichts dagegen getan, sondern, wie es Dr. Alexander Korb in seinem Nachwort auffächert, vom Nationalsozialismus und dem Judenmord profitiert. Mich hat die Arbeit daran schon mitgenommen. Das sind ja unsere Großeltern- oder Urgroßeltern, natürlich hätten wir die gern als Widerstandskämpfer. Leider war es in den allermeisten Fällen nicht so. Im Buch schwingt ja auch die Frage mit, was hätte man selbst getan? Von sich zu glauben, man hätte den Mut besessen, Widerstand zu leisten, halte ich für eine große Behauptung. Weiter gedacht, geht es auch darum, wie wir uns heute verhalten. Das fiel mir bei der Arbeit daran so oft auf: Wie viele Situationen gibt es, wo man extrem schnell den bequemeren Weg wählt, obwohl man weiß, dass wir unsere Wohlstandsansprüche auf Kosten ganzer Kontinente ausleben? Dabei ist unsere Informationsgesellschaft heute doch unvergleichbar transparenter.

Aus 'Irmina'.  Copyright: Barbara YelinAus der Entstehung von 'Irmina'.  Copyright: Barbara YelinAus 'Irmina'.  Copyright: Barbara Yelin

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