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Neonazis ermorden Mann in Kaufbeuren (aktualisiert!)

'Wir haben Blut geleckt'. T-Shirt aus dem aktuellen Angebot des Allgäuer Neonaziversands Oldschool-Records aus Memmingen/Bad-Grönenbach.  Screenshot: a.i.d.a.Ein Neonazi aus Thüringen und seine Gruppe haben auf dem Tänzelfest in Kaufbeuren mehrere Menschen aus rassistischen Gründen brutal angegriffen. Einer der Attackierten ist nun verstorben (Artikel aktualisiert, Stand 21. Juli 2013, 14.00 Uhr).

Der erste Angriff von rechts

Am Mittwoch gegen Mitternacht auf dem Tänzelfest in Kaufbeuren: Im Festzelt hat hier gerade noch die „Harmonie Oberbeuren“ gespielt. Mindestens sieben zum Teil alkoholisierte Männer im Alter von 22 bis 53 Jahren versuchen nun zum Ende des Fests, auf der kleinen Straße hinter dem Zelt drei Spätaussiedler zu provozieren. Ein 36-jähriger Thüringer und andere aus der Gruppe beleidigen die drei jungen Männer zuerst mit rassistischen Beschimpfungen, schließlich greifen sie sie auch körperlich an. Die Angegriffenen setzen sich gegen die rassistischen Schläger erfolgreich zur Wehr, mehrere Personen erleiden allerdings leichte Verletzungen.

Die mindestens sieben aggressiven Männer arbeiten derzeit im Auftrag der ostthüringischen Baufirma R. GmbH (Name bekannt) auf Baustellen in der Region.

Beziehungen von neonazis zu Baufirmen sind kein Einzelfall. Bayerische Neonazis aus den Kreisen des „Freien Netz Süd“ betreiben beispielsweise einen Bauhelferverleih. Auch Neonazis aus Thüringen betreiben ein solches Gewerbe mit Einsätzen in Bayern, z. B. ist der mutmaßliche NSU-Unterstützer André K. nach Erkenntnissen der LINKEN-Landtagsabgeordneten Katharina König zusammen mit Neonazis aus Altenburg und Jena derzeit unter dem Namen „Chaosbau 24“ und in Zusammenhang mit der Webseite „Bausanierung24“ für überregionale Bau- oder Montageaufträge aktiv.

Der zweite Angriff von rechts

Eine unbeteiligte Gruppe von fünf Personen, darunter auch ein 34-jähriger aus Kasachstan stammender Mann, folgt auf dem Tänzelfest aus bloßem Interesse den Security-Kräften, die sich zum Ort der Auseinandersetzung begeben.

Die Thüringer Schläger provozieren nun am Festzelt-Biergarten auch die dazukommende, unbeteiligte Gruppe – und werden schließlich erneut gewalttätig: Der 36-Jährige Rassist schlägt ohne Ankündigung auf den zufällig anwesenden 34 Jährigen ein, der daraufhin bewusstlos zu Boden geht. Der Angegriffene muss vor Ort reanimiert werden, leider ohne Erfolg, der Mann verstirbt am Donnerstag Nachmittag.

Einsatzkräfte der Polizei nehmen aufgrund einer Personenbeschreibung noch am Abend in unmittelbarer Tatortnähe den 36-jährigen Haupttäter Falk H. (Name bekannt, Meiningen) und den 22-Jährigen Markus V. (Name bekannt, Meiningen) aus seiner Gruppe fest. Der 36 Jährige ist wegen „rechtsmotivierten Taten“ polizeibekannt, wegen des dringenden Verdachts des Totschlags erlässt ein Richter Haftbefehl gegen ihn. Der 22 Jährige V. kommt wieder auf freien Fuß, er soll mit der Tat nicht unmittelbar in Verbindung stehen.

Rassismus, das Allgäu und der Mord

Nach dem Mord hat die Polizei in der Pressemitteilung zuerst den rassistischen Hintergrund der Angriffe und den rechten Hintergrund des verhafteten 36-Jährigen verschwiegen. Dies sei „ermittlungstaktischen Gründen“ geschuldet, erklärt Jürgen Krautwald, der Sprecher der Kriminalpolizei Kaufbeuren, später gegenüber der Lokalzeitung „Augsburger Allgemeine“.

Es folgt eine Flut an rassistischen Kommentaren in diversen lokalen Online-Medien, in denen in rassistischer Täter-Opfer-Verdrehung „Ausländer“ und „Russen“ für den Tod eines Menschen auf dem Kinderfest verantwortlich gemacht werden. Nachdem die Polizei die Presseaussendungen am Freitag um die tatsächlichen Hintergründe der Tat ergänzt, gehen die Hetzbeiträge teilweise dennoch weiter.

Die Beteiligten und die Neonaziszene

Die beiden zunächst Festgenommenen stehen nach a.i.d.a.-Informationen in Verbindung zu neonazistischen Kreisen. Falk H. hat im vergangenen Jahr auf einem Volksfest „Heil Hitler“ gerufen und den Arm zum Hitlergruß gereckt. Und Markus V. wird auf seinem facebook-Profil noch viel deutlicher: Bilder mit der schwarzen Sonne der SS finden sich hier genauso wie ein Kokettieren mit der Mordserie des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU): Markus V. hat eine „Pink Panther“-Figur mit Maschinengewehr gepostet. Zu seinen Online-Freunden gehören u. a. thüringer und sächsische Neonazis, die Jugendorganisation von „Pro Deutschland“ sowie der aus Bayern stammende frühere NPD-Bundesvorsitzende Udo Voigt.

„The show must go on“?

Es ist nur fünf Jahre her. In der Nacht zum 26. April 2008 erstach ein Neonazi in Memmingen den 40 Jahre alten Peter Siebert mit einem Bajonett. Siebert hatte sich mehrfach über zu laute Neonazimusik und die braune Gesinnung seines Nachbarn beschwert. Das Landgericht Memmingen verurteilte den Täter im Dezember 2008 wegen Totschlags zu acht Jahren und drei Monaten Haft. Die Richter sahen damals kein rechtes Motiv. Über Neonazigewalt wollen auch jetzt nur wenige reden. Die „Allgäuer Zeitung“ zitiert den Tänzelfestvereins-Vorstand Horst Lauerwald:

„Das wirft einen Schatten aufs Tänzelfest und wird auf das Kinderfest bezogen, obwohl es nichts damit zu tun hat – das geht mir an die Nieren.“

Das Fest, das noch bis zum 22. Juli andauert, wird am nächsten Tag ungehindert fortgesetzt. Dem Kaufbeurer Oberbürgermeister Stefan Bosse zufolge wird das „Tänzelfest-Boxen“ abgesagt, das „Tänzelfest-Feuerwerk“ soll aber stattfinden. User „Stefan“ aus Kaufbeuren ist trotzdem nicht in Trauer um den Ermordeten oder in Sorge um die Bedrohung durch mordende Neonazis, sondern bangt um das schöne Feuerwerk. Auf der Webseite des „Tänzelfests“ schreibt er ins Gästebuch:

„Lieber Tänzelfestverein, bitte sagt das Feuerwerk NICHT ab! Der schreckliche Todesfall ist schlimm, aber deswegen das Feuerwerk absagen? (…) Es klingt blöd aber es stimmt ‚THE SHOW MUST GO ON!'“

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