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Der Faschingsumzug von Eltmann

Ihre Rückfahrt vom gescheiterten Großaufmarsch in Dresden (13. Februar 2010) unterbrachen die Neonazis aus dem „Freien Netz Süd“ (FNS) im unterfränkischen Eltmann für einen längeren, unangemeldeten Fackelmarsch. Die örtliche Polizei rechtfertigt im Nachhinein ihr Nichteingreifen mit einer unfassbaren Begründung.

Eltmann im Landkreis Haßberge ist das, was mensch im Allgemeinen „Provinz“ nennen kann. Nur 5300 Einwohner_innen hat die kleine Stadt zwischen Steigerwald und Main. Aber sie liegt direkt an der Autobahn A 70 und auch nicht weit von der A 73 entfernt.

Dies machten sich am Samstag, 13. Februar 2010, die Neonazis aus dem bayerischen Kameradschafts-Dachverband „Freies Netz Süd“ zu Nutze: Gemeinsam waren sie mit einem Reisebus aus dem Fränkischen nach Dresden gereist. Beim Aufmarschversuch der „Jungen Landsmannschaft Ostdeutschland“ (JLO) waren die wichtigsten FNS-Aktivisten auf dem Platz vor dem Bahnhof Dresden-Neustadt versammelt: Die als Rechtsterroristen verurteilten Thomas Schatt und Karl-Heinz Statzberger hinter dem Transparent der „Kameradschaft München“ beispielsweise, Robin Siener vom „Widerstand Cham“, Tony Gentsch, Jürgen Schwab oder die Nürnberger Anti-Antifa-Aktivisten Norman Kempken, Michael Reinhardt und Sebastian Schmaus. Nachdem der Aufmarsch in Dresden durch antifaschistische Blockaden vereitelt wurde, machte sich auch das „Freie Netz Süd“ mit dem Reisebus vom Industriegebiet Dresden-Klotzsche aus wieder auf den Heimweg. Und verließ in Unterfranken die Autobahn für eine weitere neonazistische Aktion:

Der in Hessen angemietete Bus stoppte nach 21 Uhr am Schwimmbad in der Nähe des Eltmanner Sudetenplatz, die Nazis stiegen aus und machten sich entlang des Fichtenbachs auf den Weg. 500 Einwohner_innen aus Eltmann waren zu dieser Zeit bei der örtlichen „Faschingsshow“ in der Stadthalle zugegen. Die „Reisegruppe“ von „60 Nationalisten“, so heißt es später in einem Aktionsbericht auf der Homepage des neonazistischen „Freien Netz Süd“, „formierte sich in 3er Reihen und zog schweigend, mit Fackeln, Fahnen und Transparenten durch den Ort zum Kriegerdenkmal.“ Dieses Mahnmal vor dem Friedhofseingang an der B 26 ist eigentlich dem Andenken an die Gefallenen des deutsch-französischen Krieges 1870/71 gewidmet. Dem „Freien Netz Süd“ war das an diesem Abend egal, denn im Aktionsbericht heißt es weiter: „Dort wurde eine kurze Ansprache zum Gedenken an die Opfer des Bombenholocaust von Dresden gehalten.“ Grablichter wurden abgelegt. Die etwa einen Kilometer lange Strecke von der Bamberger Straße zogen die Neonazis anschließend zurück durch den Ort, um beim Vertriebenendenkmal auf dem Sudetenplatz erneut Halt zu machen.

AktivistInnen des FNS beim Aufmarsch in Augsburg am 27. Februar 2010. Foto: Robert Andreasch
AktivistInnen des FNS beim Aufmarsch in Augsburg am 27. Februar 2010. Foto: Robert Andreasch

Entlang der Aufmarschstrecke verklebten die Neonazis viele der „Nationale Sozialisten“-Aufkleber, die beim „Freien Netz Süd“ im „100%-Versand“ des FNS-Aktivisten Tony Gentsch (Toepen) erhältlich sind. Die Transparente, die eigentlich beim durch Antifaschist_innen verhinderten Aufmarsch in Dresden getragen werden sollten, wurden nun auch ausgebreitet, z. B. ein schwarzes mit der Aufschrift: „Die Art der Sieger war zu allen Zeiten, Lüge statt Wahrheit zu verbreiten!“. Die Neonazis gaben Fackeln aus und entzündeten diese. Gegen 23.30 Uhr fuhren sie mit ihrem Reisebus wieder ab.

In Gera und Leipzig unterbanden Polizeieinheiten am gleichen Abend Aufmarschversuche von aus Dresden zurückreisenden Neonazis. Nicht so in Eltmann: Dabei sprechen neben der offensichtlich vorhandenen Ortskenntnis und dem über einstündigen Programm  auch die vorbereiteten Fackeln, die in Dresden nicht zulässig gewesen wären, am deutlichsten gegen die Version eines „spontanen“ und angeblich „nicht strafbaren“  Aufmarsches. Diese Interpretation vertraten im Nachhinein jedoch die lokalen Polizeibehörden: „Da es sich offenkundig um eine spontane Kundgebung gehandelt hat, steht wohl keine Straftat im Raum“, behauptete Klaus Barthelmes von der Staatsschutzabteilung der Kriminalpolizei in Schweinfurt gegenüber der Lokalzeitung „Fränkischer Tag“.

Von Seiten der Polizei war der abendliche Neonaziaufmarsch in der Öffentlichkeit zuerst konsequent verschwiegen worden. Den Grund hierfür machte die Lokalzeitung auf ihrem Internetportal (www.infranken.de) Ende Februar öffentlich: Polizeibeamte waren demnach an diesem Abend beim Aufmarsch doch vor Ort gewesen. Die Begründung für deren Nichteingreifen ist unfassbar:  Demnach sei die Polizeistreife davon ausgegangen, dass es sich beim neonazistischen Fackelmarsch um eine „Art Faschingszug“ gehandelt habe!

 

 

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