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Ein Paukenschlag oder ein Schlag ins Wasser?

Neonazi-Propaganda 'im Bewußtsein der Öffentlichkeit verankert' (O-Ton BIA).  Foto: Robert AndreaschDie „Bürgerinitiative Ausländerstopp“ (BIA) sowie Mitglieder neonazistischer Kameradschaften führten am Samstag, 22. Oktober 2011, einen konspirativ geplanten und nicht öffentlich angekündigten „Aktionstag“ in München durch. „Ein Paukenschlag“, lobten sich die Neonazis in einem anschließend auf der BIA-Website erschienenen Artikel. Die Realität sah anders aus: a.i.d.a. hat die „zahlreichen Aktivistentrupps“ (O-Ton BIA) auf ihrem angeblichen „Erfolgskurs“ dokumentiert.

Ein „markanter Akzent“?

Die „Bürgerinitiative Ausländerstopp“ habe „erneut“ mit einer „konzentrischen Verteilaktion“ einen „markanten Akzent setzen“ können, heißt es auf der Homepage der lokalen NPD-Liste über ihren sogenannten „Aktionstag“ am Samstag, 22. Oktober 2011, in München. Dank „mehrerer tausend Themenflugblätter“, so ist zu lesen, hätte sich die BIA bei der „öffentlichkeitswirksamen Aktion“ mit „aktuellen Gegenwartsthemen im Bewußtsein der Öffentlichkeit“ verankern können. Dem BIA-Eigenbericht zufolge sei der Tag, Zitat, ein „weiterer Paukenschlag“ auf dem „Erfolgskurs“ der Münchner Neonazis gewesen.

Was das von BIA-Stadtrat Karl Richter verantwortete Online-Portal im Nachhinein so euphorisch beschreibt, hatte mit dem tatsächlichen Geschehen nichts zu tun: Drei kleine Gruppen von Neonazis waren intern zu Verteilaktionen und Infoständen eingeteilt worden, wobei die Öffentlichkeit schlussendlich erfreulich wenig Notiz von der neonazistischen Propaganda nahm. Allerdings konnte sie auch nur wenig Notiz nehmen: Die Infostände der rassistischen „Bürgerinitiative Ausländerstopp“ blieben weitgehend verwaist, die in einigen Straßenzügen unter die Scheibenwischer parkender PKWs gesteckten Flugblätter konnten vollständig von Nazigegner_innen wieder eingesammelt werden und die Durchführung eines BIA-Infotischs im Hasenbergl wurde gar durch antifaschistischen Protest verhindert.

Der erste „Aktivistentrupp“:

Neonazis am Bahnhof Giesing auf 'Erfolgskurs'.  Foto: A-Photo
Neonazis am Bahnhof Giesing auf ‚Erfolgskurs‘. Foto: A-Photo
Sechs Neonazis, darunter der oberbayerische NPD-Bezirksvorsitzende Roland Wuttke, NPD-Infostand-Daueraktivist Volker Knetsch und mit Karl-Heinz Statzberger auch einer der führenden Neonazis des Kameradschaftsdachverbands „Freies Netz Süd“ (FNS), stellten sich kurz nach acht Uhr am Bahnhof Giesing auf.

Mit dem ursprünglich von der NPD für diesen Tag bundesweit angekündigten – und dann ziemlich in der Versenkung verschwundenen – „Aktionstag ‚Raus aus dem Euro!'“ hatte das Vorhaben in Giesing offensichtlich nichts zu tun. Die neonazistischen Aktivist_innen hatten vielmehr das neue, rassistische BIA-Flugblatt „Mieten runter! … und Münchner Wohnungen für Münchner Familien!“ dabei. Damit versuchen die Münchner Neonazis einerseits, mit rassistischer Agitation an soziale Themen anzudocken, andererseits führen sie mit acht Jahren Verspätung auch eine Idee des als Rechtsterrorist verurteilten Neonazikaders Martin Wiese aus. Wiese hatte für Oktober 2003 einen solchen „Aktionstag“ der oberbayerischen Kameradschaften, NPD-Untergliederungen und des damaligen rechten Sammelbeckens „Demokratie direkt“ zum Thema „Wohnen“  geplant, aufgrund seiner Inhaftierung im September 2003 war die Kampagne jedoch ins Wasser gefallen.

Die BIA zeigt 'Präsenz' am Bahnhof Giesing.  Foto: FTD
Die BIA zeigt ‚Präsenz‘ am Bahnhof Giesing. Foto: FTD
Auch der jetzige „Aktionstag“ begann kaum besser: Um die frühe Uhrzeit kam überhaupt kein Laufpublikum am von der Neonazitruppe abgestellten Servierwägelchen mit den neuen Flugblättern der „Bürgerinitiative Ausländerstopp“ vorbei. Also verteilten vier der sechs Neonazis ein paar Flugblätter in der Umgebung, bevor die Standbesatzung zusammenpackte und sich zum Margarethenplatz in Sendling begab. Hier gab es jedoch ebenfalls so gut wie keine Resonanz auf die sogenannte „Infoaktion“.
Eines der angeblich 'mehreren tausend Themenflugblätter'.  Foto: a.i.d.a.
Eines der angeblich ‚mehreren tausend Themenflugblätter‘. Foto: a.i.d.a.
Die Neonazis fuhren nun zum Einkaufszentrum „PEP“ nach Neuperlach. Nur wenige Minuten lang verteilten einige von ihnen ein paar Flugblätter der BIA vor dem Haupteingang, unter anderem ein neues Faltblatt („Keine Großmoschee in München!“) gegen das in München geplante „Zentrum für Islam in Europa“ (ZIE-M) sowie das Pamphlet „Genug ist genug – antideutsche Gewalt melden!“, welches offensichtlich noch von der Schulverteilung der Neonazis am 14. September 2011 übrig geblieben war.

Der zweite „Aktivistentrupp“:

Kein Interesse an den 'aktuellen Gegenwartsthemen' beim Infostand am Rosenheimer Platz.  Foto: a.i.d.a.
Kein Interesse an den ‚aktuellen Gegenwartsthemen‘ beim Infostand am Rosenheimer Platz. Foto: a.i.d.a.
Die zweite Kleingruppe begann ihre „Aktivitäten“ am Rosenheimer Platz. Der Vorsitzende des NPD-Kreisverbands Freising, Björn-Christopher Balbin (München) und der NPD-Landtagskandidat Christian Götz (Eichenau) stellten sich mit drei jüngeren Neonazis und einem kleinen Klapptisch reichlich lustlos hinter die Litfassäule an der Franziskaner Straße, wo praktisch kein Publikum am Stand vorbeikam. An ihr Tischchen lehnten die Neonazis – genauso wie in Giesing – drei Plakate (Kriminelle Ausländer Raus“ „Ordnung schaffen“), die noch aus dem Kommunalwahlkampf der BIA von 2008 („Liste 10“) stammten. Nur ganz vereinzelt (und meist vergeblich) bot ein Neonaziskin Passant_innen das neue BIA-Flugblatt an. In der Gegend rund um den Infotisch patrouillierte ein jüngeres Quartett, dem unter anderem die führenden Neonazi-Aktivisten Franz Sedlbauer („Kameradschaft München Nord“) und Michael Hutter (BIA, Ex-„Kameradschaft Miesbach“) angehörten. In den kleineren Straßen rund um den Rosenheimer Platz waren zu dieser Zeit über hundert neonazistische „Mieten runter!“-Flugblätter hinter die Scheibenwischer parkender Autos gesteckt worden. Antifaschist_innen konnten alle diese Flugblätter rasch vollständig einsammeln.

'Konzentrische Verteilaktion' (O-Ton BIA) in der Schweigerstraße.  Foto: a.i.d.a.
‚Konzentrische Verteilaktion‘ (O-Ton BIA) in der Schweigerstraße. Foto: a.i.d.a.
Kurz vor halb zehn Uhr nahmen die Neonazis ihr Klapptischchen unter den Arm und begaben sich über die Franziskanerstraße runter in die Au. Vor der „Schweiger-Apotheke“ in der Schweigerstraße bauten sie ihren „Infostand“ wieder auf. Die Crew um Christian Götz und Björn-Christopher Balbin am Stand wurde schon nach kurzer Zeit von Franz Sedlbauer, Michael Hutter & Co. besucht und schließlich gesellte sich auch noch Christian Adams, führender Aktivist der Kameradschaft „Kraken München“ hinzu. Die benachbarte Bushaltestelle sorgte immerhin für einen etwas regeren Publikumsverkehr in der Umgebung des Infostands. Einige der dennoch wenigen Passant_innen, denen überhaupt ein Flugblatt mitgegeben wurde, entsorgten es jedoch schnell wieder im Abfallkorb der Bushaltestelle.

Auch am Einkaufszentrum Riem-Arcaden zeigte die BIA 'Präsenz'.  Foto: a.i.d.a.
Auch am Einkaufszentrum Riem-Arcaden zeigte die BIA ‚Präsenz‘. Foto: a.i.d.a.
Am Mittag verlegten die Neonazis um Christian Götz, Björn-Christopher Balbin, Christian Adams, Michael Hutter und Franz Sedlbauer ihre „Info-Aktion“ auf den Willy-Brandt-Platz am Einkaufszentrum „Riem-Arcaden“ in der Messestadt-West. Völlig gelangweilt standen sie meist mit dem Rücken zu den Passant_innen. In zwei Stunden konnten sie so nur ganz vereinzelt Flugblätter an Passant_innen abgeben. Karl Richters BIA versuchte den völlig ausbleibenden Verteilerfolg im Münchner Osten im Nachhinein noch als „Präsenz zeigen“ schönzureden.

Der dritte „Aktivistentrupp“:

Die dritte Gruppe, die von Karl Richter persönlich angeführt wurde, traf am Samstag Morgen um kurz nach acht Uhr auf dem Parkplatz am U-Bahnhof Kieferngarten ein und baute dort einen kleinen Plastiktisch auf. Es kamen jedoch kaum Passant_innen am „Infostand“ der fünf Neonazis vorbei. In der Umgebung, unter anderem in der Zwirbel- und Schlossgartenstraße, verteilten Neonazis daher Flugblätter in Hausbriefkästen. Viele davon konnten durch Anwohner_innen und Antifaschist_innen gleich wieder eingesammelt werden.

Wie Neonazis am U-Bahnhof Kieferngarten 'einen markanten Akzent setzen'. Foto: Tom Lux
Wie Neonazis am U-Bahnhof Kieferngarten ‚einen markanten Akzent setzen‘. Foto: Tom Lux
Angeblich 'öffentlichkeitswirksame Aktion der BIA' an der Ungererstraße.  Foto: Tom Lux
Angeblich ‚öffentlichkeitswirksame Aktion der BIA‘ an der Ungererstraße. Foto: Tom Lux
Das Neonazi-Quintett zog nach einer guten Stunde in die Ungererstraße um. Doch auch hier gab es so gut wie keinen Kontakt zu Anwohner_innen oder Passant_innen. Karl Richter und die jungen Neonazis unterhielten sich statt mit den „einheimischen Münchnern“ (O-Ton BIA) ersatzweise untereinander (siehe Bild).

Die „Mieten runter!“-Flugblätter wurden auch in der Umgebung des Infostands in der Ungererstraße verteilt. Hierbei halfen Stefan Willy Reiche und Dominik Baumann, die führenden Aktivisten der militanten oberbayerischen Neonazikameradschaft „Jagdstaffel D.S.T.“ Die hunderten u. a.  in der Stengel-, Luxemburg-, Holland- und Barbenstraße ausgetragenen Zettel konnten von Anwohner_innen und Antifaschist_innen jedoch vollständig eingesammelt werden.

Das antifaschistische Finale:

Die Neonazis aus BIA, NPD und den Münchner Kameradschaften wollten ihre Propagandaaktivitäten ab Mittag im Stadtteil Hasenbergl fortsetzen. Der angebliche „Paukenschlag“, den die BIA im Aktionsbericht beschrieben hat, war bis dahin ausgeblieben. Er sollte auch nicht mehr kommen. Beim letzten geplanten „Infostand“ vor dem „MIRA“-Einkaufszentrum an der Schleißheimer Straße sorgten dann vielmehr die spontan zusammengeströmten Antifaschistinnen und Antifaschisten für den Schlussakkord. Der heftige antifaschistische Protest am „MIRA“ machte die Fortsetzung der eigentlich bis 15.00 Uhr geplanten BIA-„Infoaktion“ unmöglich; Karl Richter und Co. packten ihre wenigen Sachen und machten sich schnell auf und davon. Wenig verwunderlich, dass diese Episode im neonazistischen „Erfolgsbericht“ auf der BIA-Homepage komplett fehlt.

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