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„Trauermarsch“ in der Provinz

Aufmarsch am 17. April 2011 in Schwandorf.  Foto: Jan NowakAm Sonntag, 17. April 2011, in Schwandorf: 60 Neonazis verherrlichen in einer geschichtsrevisionistischen Inszenierung öffentlich den Nationalsozialismus. Anlässlich des Jahrestages der Bombardierung Schwandorfs am 17.04.1945 durch amerikanische und kanadische Luftstreitkräfte hatten die NPD sowie die im bayernweiten Netzwerk „Freies Netz Süd“ (FNS) organisierte lokale Gruppe „Widerstand Schwandorf“ zu einem gemeinsamen „Gedenk- und Trauermarsch“ in die oberpfälzische Stadt mobilisiert.

Manfred Ritter, Anhänger der „Reichsbürgerbewegung“ hatte sich in ein Bettlaken gehüllt und eine Skelettmaske aufgesetzt. Als Gespenst führte der Inhaber einer Hausverwaltungsfirma aus dem nahen Neumarkt publikumswirksam den Neonazi-Aufmarsch in Schwandorf an. Um seinen Hals hing ein Schild, welches die Bombardierung Schwandorfs und weiterer Städte beklagte und in antiamerikanisch-verschwörungstheoretischer Manier vor der sogenannten „NWO“, der „Neuen Weltordnung“, warnte.

Der inhaltliche Tenor des Aufmarsches, Schwandorf wäre 1945 sinnloses Opfer amerikanischen Vernichtungswillens geworden, ist repräsentativ für den Umgang der neonazistischen Rechten wie auch von Teilen der bürgerlichen Mitte mit den am Ende des zweiten Weltkriegs nach Deutschland zurückgekehrten Kriegshandlungen: Die Luftangriffe durch die Alliierten werden aus dem restlichen Kriegsgeschehen herausgelöst, um so Deutschland als „Opfer“ des zweiten Weltkrieges zu präsentieren und auf diesem Wege eine Relativierung der deutschen Verbrechen zu erreichen. Neben den bekannten Großveranstaltungen „im Gedenken“ an die alliierten Bombardierungen in Dresden oder Chemnitz versuchen Neonazis schon seit einiger Zeit, auch in kleineren Städten entsprechende Aufmärsche zu etablieren.

Nun also auch in Schwandorf

An der Veranstaltung, welche kurzfristig vom lokalen NPD-Kreisvorsitzenden und Kopf des „Widerstand Schwandorfs“ Daniel Weigl (Wackersdorf) angemeldet wurde, nahmen 60 Personen teil. Diese waren überwiegend aus der Oberpfalz und Mittelfranken angereist, Einzelpersonen aus Niederbayern sowie Oberfranken waren ebenfalls anwesend. Dem symbolischen „Bombentod“-Skelett alias Manfred Ritter folgte der in Dreierreihen formierte Zug, ausgestattet mit schwarzen Fahnen und Transparenten. Unter den Teilnehmer_innen befanden sich die bekannten, langjährigen FNS- bzw. NPD-Aktivisten Norman Kempken (Nürnberg), Kai Zimmermann (Fürth), Robin Siener (Cham) und Simon Preisinger (Flossenbürg), der stellvertretende NPD-Bezirksvorsitzende Heidrich Klenhart (Postbauer-Heng), das frühere „Junge Nationaldemokraten“ (JN)-Landesvorstandsmitglied Michael Pongratz (Cham) sowie mit Michael Kastner (Plattling) und Heiko Schiederer (Kirchroth) zwei wichtige Führungspersonen des „Nationalen Bündnis Niederbayern“.

Die Stadt Schwandorf bot ein passendes Ambiente

Zwischenkundgebung am militaristischen Kriegerdenkmal.  Foto: Jan Nowak
Zwischenkundgebung am militaristischen Kriegerdenkmal. Foto: Jan Nowak

Der rechte Demonstrationszug zog schweigend und von theatralischer Musik begleitet zum Krieger- und Bombentotendenkmal am Schwandorfer Kreuzberg. Dieses in einer Parkanlage gelegene Bauwerk besteht aus einem Treppensockel mit vier Säulen und quadratischen Säulenabschluss, in der Mitte des Baus ist ein steinerner Sarkophag mit einem stilisierten Toten platziert. In die Säulen im Vordergrund sind ein trauernder Soldat sowie der Tod im Form eines Sensenmannes eingemeißelt, flankiert wird das Denkmal von Feuerschalen mit massiven Eisernen Kreuzen. Die am Platz angebrachten Fahnenmasten trugen Trauerbeflaggung. Für die Teilnehmer_innen der neonazistischen Demonstration war so ein perfektes Ambiente für ihre geschichtsrevisionistische und NS-verherrlichende Inszenierung gegeben, welches relativ leicht, zum Beispiel durch die Verhüllung des Bauwerks, durch die Stadt hätte gebrochen werden können.

Verherrlichung des Nationalsozialismus

Bei der Zwischenkundgebung am Kriegerdenkmal entzündeten die Neonazis die mitgebrachten Fackeln. Es sprachen Anmelder Daniel Weigl und Benjamin Boss (Amberg), Kopf des „Nationalen Widerstands Amberg“ (s. Bild). Die Redebeiträge schlugen in die gleiche Kerbe wie die restliche Inszenierung des „Trauermarsches“, es ging darum, die Deutschen kollektiv zu Opfern zu stilisieren und damit eine Relativierung deutscher Verbrechen zu erreichen. Durch „Totenrufe“, z. B. „Soldaten der Waffen-SS, ich rufe euch“ und die kollektive Antwort der Versammelten („Hier!“) wurde sich auch ganz direkt positiv auf den NS-Faschismus und dessen verbrecherischen Organe bezogen.

NPD-Aktivist Heidrich Klenhart in Schwandorf.  Foto: Jan Nowak
NPD-Aktivist Heidrich Klenhart in Schwandorf. Foto: Jan Nowak

Antifaschistische Proteste

Vor dem Weitermarsch entzündeten die Neonazis weitere Fackeln, konnten damit zunächst jedoch nur wenige Meter gehen. Etwa 30 Antifaschist_innen saßen auf der Straße und blockierten so die neonazistische Demonstration für knapp 10 Minuten. Aufmarsch-Anmelder Daniel Weigl äußerte gegenüber einem „Kameraden“ die Idee, die Veranstaltung „wie in Sulzbach aufzulösen und das selbst zu regeln“. Damit dürfte ein gewalttätiger Ausbruch der neonazistischen Veranstaltungsteilnehmer_innen aus der Polizeiumringung und ein anschließender Angriff auf Antifaschist_innen gemeint gewesen sein, wie im November 2010 während einer neonazistischen Demonstration in Sulzbach-Rosenberg passiert. Die blockierenden Gegendemonstrant_innen in Schwandorf wurden schließlich von Polizeikräften umringt und zum Teil auch festgenommen. Die Neonazis konnten an ihnen vorbei zurück zum Ausgangspunkt der Demonstration am Bahnhof gehen. Dort kam es, wie fast während des ganzen Aufzuges, noch zu Protest durch einige der etwa 120 anwesenden Antifaschist_innen und Bürger_innen.

Und nächstes Jahr?

Trotz der für die begrenzte Mobilisierungszeit beachtlichen Gegenproteste konnten die Neonazis ihren geschichtsrevisionistischen Aufmarsch wie geplant durchführen. Durch die Möglichkeiten, Fackeln mitführen sowie das ästhetisch wie inhaltlich bedenkliche Kriegerdenkmal für die Zwischenkundgebung nutzen zu können, hatte die Veranstaltung für die rechten Teilnehmer_innen durchaus Attraktivität. Der Versuch der Neonazis, durch die Verteilung von relativ neutral gehaltenem Mobilisierungsmaterial im Vorfeld auch Personen außerhalb der „Szene“ zu mobilisieren, ist gescheitert. Nicht messbar ist jedoch, inwiefern – angesichts der Ähnlichkeit des neonazistischen und bürgerlichen Gedenkdiskurses im Bezug auf die Bombardierungen deutscher Städte – die Neonazis für ihre Interpretation der Ereignisse von 17. April 1945 stumme Zustimmung erhalten haben. Abzuwarten bleibt, ob die lokale Neonaziszene den 17. April nun regelmäßig als Anlass für Aktivitäten in Schwandorf nutzen wird – vor dem Hintergrund der für sie attraktiven Rahmenbedingungen ist dies leider nicht unwahrscheinlich.

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